Valentinstag

Liebe Mathilda,

halt dich fest, Mr. Mollis suchte mich heute ganz vorsätzlich in meinem Büro auf, um unser Treffen voranzutreiben. Es geht voran! Mann, was bin ich aufgeregt! Grrrrrrrrrrrrrrrrrrr! 

Erst dachte ich heute: Na Flo, gehst du mir etwa aus dem Weg?, denn er warf mir nur schnell ein „Guten Morgen“ zu als wir fast gleichzeitig auf dem Parkplatz ankamen und lief dann schnell davon. Ich machte mich nach der Besprechung auch ziemlich schnell aus dem Staub, weil es einfach keinen Grund gab heute noch länger auf der Station zu bleiben. Vielleicht hat das auch dazu beigetragen, dass er heute offensiver wurde. Geh einen Schritt zurück und dein Gegenüber kommt einen Schritt näher. Donnerstag ist mein Tag! 

Ich saß mit meinem Morgenkaffee in eine Klientenakte vertieft an meinem Computer als ich vernahm, dass er sich auf dem Flur vor meinem Büro herumtrieb. Ich rieche ihn ja sechs Meilen gegen den Wind und wünschte mir wie so oft „Komm rein. Komm rein. Komm rein“ und er tat es! Er kam in mein Zimmer ebenfalls mit einer Kaffeetasse bewaffnet. Fröhlich beschwingt setzte er sich. Definitiv zielgerichtet. Der hat was vor, dachte ich. Er fing an von einer Klienten zu erzählen und als er beim Erzählen bemerkte, dass ich mir Zeit nahm, stand er wie beiläufig auf, um die Tür zu schließen. Ich beobachtete interessiert und zugegebenermaßen überrascht – innerlich stand mir der Mund offen – sein Treiben. Allein mit ihm und er hatte es forciert! Innerlich machte ich einen Hüpfer. Äußerlich war ich ganz ruhig, hörte mir das, was er über die Klientin sagte, an. Dieser Fallbericht war sicherlich ein Aufhänger, ein Pseudogrund, aber nicht die wirkliche Ursache, wegen der er sich mit mir in meinem Zimmer verbarrikadiert hatte. Ich bin so happy, dass er zu mir gekommen ist. Ist schon anders als wenn ich immer den ersten Schritt machen muss. Wir redeten, es war so einfach, ein Wort gab das andere. Wir redeten noch einmal über den Film. Ach, da fällt mir ein, dass ich ihm ja die Mail-Adresse der Regisseurin schicken sollte. Naja, auch nicht schlecht. Kann er auch mal einen Tag auf eine Mail warten. Jedenfalls kam er gleich wieder auf sein „Beziehungsthema“ und warum die Partner der Klienten nicht so im Film vorkamen. Er zog den Schluss - tatsächlich! - dass Eheprobleme durch eine Krankheit nicht verschwinden? Wie kommt er bloß darauf? Denkt er, dass Eheprobleme durch eine Krankheit verschwinden könnten. Oder dass sie dadurch ausgelöst werden? Ist die Botschaft, dass einer von uns beiden (oder wir beide) Beziehungsprobleme hat? Meint er, dass ich mit ihm ein Beziehungsproblem habe? Oder er mit mir? Keine Ahnung, auf jeden Fall Beziehungsebene. Und es war sehr angenehm. Gar nicht inquisitorisch. Von keinem von uns. Das ging eine Weile hin und her bis wir die Thematik genügend beleuchtet hatten. Noch immer nicht sein wahrer Grund, warum er hier mit mir allein bei geschlossener Tür in meinem Büro saß. Er näherte sich dem Thema an, kreiste es ein. Beim Thema Beziehung war er immerhin schon. Und dann kam er - yes! - tatsächlich von selbst auf unser Treffen zu sprechen! Ja, es passierte das, was ich nicht geglaubt hätte. Er überrascht mich! Er treibt die Aktivitäten für ein Treffen zwischen uns voran. Und das, obwohl er weiß, dass ich ihm etwas mitteilen möchte, was mit uns beiden zu tun hat. Es gibt nicht viele Interpretationsmöglichkeiten dafür. Auf jeden Fall scheint es ihm wichtig zu sein, scheine ich ihm wichtig zu sein. Entweder spricht er es an, weil er doch so neugierig ist und nun endlich wissen will, was ich ihm sagen will oder er will es hinter sich bringen? Aber so wirkt es nicht. Oder er hat ebenfalls eindeutige Absichten. Ich hyperventiliere gleich! Er meinte, dass wir Anfang nächster Woche nach einem Termin gucken sollten, dann hätte er einen besseren Überblick wie die Woche werden würde. Klingt ein bisschen nach Aufschieben, aber darf er auch. Auf jeden Fall hat er es auf dem Schirm und ist definitiv daran interessiert, dass es stattfindet. Es bleibt also noch Zeit, die Location auszusuchen. O.k., es wird nun tatsächlich dazu kommen! Ich muss mich sortieren, sonst drehe ich durch! Ich stimmte allem zu, war cool und flirtig dazu. Ich freute mich.

Das alles machte mir so großen Mut, dass ich auf seine Ohrfeigen-Mail zu sprechen kam. Ich wollte das gerne aus dem Weg räumen, war es doch das einzige, was wie ein riesiger Brocken zwischen uns stand. Ich fasste den Plot nochmal zusammen und beschrieb seine ruppige und sehr klare Antwort. Es war ihm etwas unangenehm. Und er fragte eher vorsichtig-zurückhaltend (irgendwie süß) ob ich denn nun tatsächlich nicht zu der Party kommen würde. Ich bejahte das und vielleicht hat das auch ein bisschen Druck von ihm genommen. Irgendwann schickte er sich an aufzustehen und zu gehen. Und dann sprach ich ihn so scherzhaft wegen seines abgeranzten Kittels an, von dem wie er mir erzählte, einfach die Knöpfe abgefallen waren. Die gewaschenen Kittel würden aber einfach nicht zu ihm zurückkommen. Ich gab ihm im Hinausgehen jedenfalls den Tipp, dass er ja in die Wäscherei gehen und sich einen frischen Kittel holen könnte. Und das beschreibt in einer kleinen Alltagssituation auch sehr gut unser Beziehungsmuster. Wenn etwas, was du haben möchtest, nicht zu dir kommt, musst du dich auf die Suche danach machen. Sei es in der Wäscherei. Sei es im Büro einer Therapeutin. Sei es sonstwo. Flo gab daraufhin echt narzißtenmäßig zu, dass ihm das zu lästig sei und er das deswegen nicht tun würde. Ist das ein kleiner Ausblick darauf, dass er keine weiteren Schritte auf mich zu machen wird? Ich antworte darauf „Tja, na dann musst du wohl darauf warten, dass sie [die Kittel] zu dir zurückfinden.“ Sehr wahr und sehr flirty! Ich stehe mächtig unter Adrenalin glaube ich. Oh Himmel! Hoffentlich erweckt er damit keine Hoffnung, die er gar nicht bedienen kann. Er muss wissen, was er tut. Er ist schon korrekt und (leider) keinesfalls grenzüberschreitend, aber er weiß, was mit mir los ist und er fordert es heraus. Das muss ihm bewusst sein. Es kann nicht nur Mitleid sein oder sein Harmoniebedürfnis oder doch? Ich kann das nicht objektiv betrachten. Mathilda, was meinst du dazu? Und welche Themen er mir gegenüber anschneidet: „Paarhygiene“, „Neuer Partner nach Tod des alten Partners“. Ich weiß nicht, mir schwirrt der Kopf im positiven Sinne.

Ich bin so froh, dass ich dir das alles erzählen kann und gehört werde. Ich glaube ich wäre sonst schon geplatzt. Es gibt kaum Menschen, mit denen man sich ernsthaft darüber austauschen kann wie man verheiratete Familienväter anbaggert. Du bist ein besonderer Mensch und dafür danke ich Dir.

Besondere Grüße von Eva