Montag, 11. Februar 2013

Er ist übern Berg

Liebe Mathilda,

ein neuer Tag, eine neue Woche mit einer ungewöhnlichen Wendung.

Die Topmeldung des Tages (hihi): Flo hat sich heute ganz lange mit mir unterhalten und sich wohl wieder beruhigt. Und er sieht mich wieder an!!!

Soweit die Schlagzeilen, jetzt die ausführlichen Meldungen, denn ich muss das schließlich richtig auskosten, dass Flo wieder auf der von mir anvisierten Bahn ist. Ich fuhr mit gemischten Gefühlen auf die Arbeit, nicht die übliche Euphorie, sondern die schmerzende Gewissheit, dass ich wohl erstmal nicht in seiner Nähe sein werde. Ich malte mir aus wie er das Treffen mit mir vermeiden würde. Optimistisch ist anders. Und dann tauchte er auch nicht in der morgendlichen Besprechung auf. Ich fragte mich, was bei ihm los sei und war etwas erleichtert, ihn dann auf der Station zu treffen. Trotz aller positiver und negativer Befindlichkeiten, die zwischen mir und ihm abgehen, möchte ich ja im Grunde nichts anderes als dass es ihm gut geht. Ich traf ihn also auf der Station und es war erstmal wie zu erwarten eine angespannte Situation. Bevor die Visite begann, sahen wir uns abschätzend an ...

… und lächelten! Da ist mir schon ein Stein vom Herzen gefallen als er wieder in Kontakt zu mir ging. Während der Visite war es ganz merkwürdig normal. Und dann gab es einen kurzen Zeitraum zwischen zwei zu visitierenden Klientinnen, wo wir beide wartend, allein und zusammen auf dem Flur standen. Jeder für sich an den in Kliniken üblichen Handlauf gelehnt. Keiner sagte etwas. Ich wusste auch nichts zu sagen. Und doch war es so merkwürdig vertraut. So als ob wir im Grunde wussten, was zwischen uns abgeht. Ich hätte gern seine Gedanken gewusst. Es war die erste Begegnung nach der Ohrfeigen-Mail von ihm. Für ihn und für mich. Ich bin schon irgendwie erleichtert, dass ich nicht zu der Party gehe. So kann ich mich auf das Treffen mit ihm konzentrieren, dass es nach dem heutigen Stand wohl geben wird. Ich wüsste jedenfalls nicht, was dagegen sprechen sollte. Ich bin gern mit ihm allein. Wir müssen ja auch nicht reden. Nein, wir könnten uns auch berühren und anfassen. So langsam geht meine Fantasie mit mir durch. Ich möchte so gern bei ihm sein. Ich will seine Lippen ausprobieren. Ausprobieren wie sie küssen. Ich möchte in seinem Haar wühlen. Und er riecht so gut! ...

Okay, ich schweife ab. Wie ging's dann weiter in der Visite? Er gab sich wie immer große Mühe mit den Klienten. Und dann fischte er in meinem Gebiet, was ich ja schon ganz gerne selbst mache. Manchmal schießt er übers Ziel hinaus und ich weise ihn sanft in seine Schranken. Ich habe noch nie einen Arzt erlebt, der so auf die Menschen eingeht. Schmachtfaktor 10! Und dann ganz unverhofft gibt er mir noch eine Möglichkeit, mit ihm allein zu sein. Wahrscheinlich konnte ich - perplex wie ich war - erstmal gar nicht damit umgehen. Oder es war der reine Selbsterhaltungstrieb? Ich sagte ihm, dass ich noch zu einer Klienten gehen müsse, als er mich fragte, ob ich mit ihm in die Ambulanz gehen würde. Ich hätte das schon wahnsinnig gerne getan. Ich würde ja normalerweise jede Gelegenheit nutzen, in seiner Nähe zu sein. Und dann dachte ich, dass ich ihn ruhig noch etwas zappeln lassen kann. Das macht mich höchstens interessanter für ihn, was ich ja auch gerne möchte. Also lehnte ich schweren Herzens ab. Gut, ein bisschen hatte ich auch Schiss mit ihm allein zu sein. Als ich ihm dann 15 Minuten später in die Ambulanz folgte, hatte ich keinen Schiss mehr. Ich war ja nun vorbereitet, dass er wieder zu mir in Kontakt geht. Ich holte mir einen Kaffee aus dem Aufenthaltsraum und lauerte auf ihn. Ich wusste, dass er im Nebenraum war und vielleicht auch lauerte. Und ich musste nicht lange darauf warten, schon schneite er herein. Er war schon irgendwie erfreut, mich zu sehen und setzte sich mit seiner Kaffeetasse gleich hin. Und erzählte dabei, dass er zurzeit so müde und erschöpft sei. Und ich gleich „Oh, warum denn das?“. Er darauf "Das weiß ich gar nicht so." Naja, ich könnte mir schon einen Grund vorstellen. Meine mail hatte ihn doch zumindest ziemlich aufgefüllt. Nur meine Gedanken dazu, aber ich setzte mich natürlich sofort zu ihm. Und irgendeine göttliche Schwester machte die Tür von außen zu, so dass wir wirklich allein waren. Danke! Er führte dann noch weiter seinen Erschöpfungszustand aus und erzählte, dass er manchmal gar nicht wisse, was er sage. Moment, will er sich selbst für unzurechnungsfähig erklären? Herr Dr. Mollis? Geht's noch? Ich weiß in deiner Gegenwart nie, was ich sage. Doch kann es wirklich sein, dass sein momentaner Zustand etwas mit mir zu tun hat? Warum erzählt er mir das? Oder bin ich einfach eine angenehme und gerade greifbare Therapeutin, bei der er sich mal ausheulen kann? Ich - als Person - würde das nicht ausnutzen bei einem männlichen Therapeuten, der mir vor drei Monaten seine Liebe gestanden hätte. Was geht bloß in seinem Kopf vor?

Das Gespräch ging weiter wie gewohnt, ganz einfach ohne große Mühen. Es ging um Klienten, deren Partner verstorben waren. Wie sind wir bloß dahingeraten? Echt, unsere Überleitungen sind wirklich herrlich. Bald waren wir bei dem Thema, was das mit einem selbst macht, wenn der Partner stirbt. Er erzählte von seinem Großvater, der sich im Alter nochmals liiert hatte und damit sehr glücklich gewesen sei. Was will er mir bloß damit sagen? Warte auf mich bis ich alt bin? Ich erzählte ihm auch von meinem Vater und dass ihm einige Frauen Avancen machen würden, ihn das aber völlig empören würde. Flo meinte, dass es gut sei, wenn man sich für solche Fälle die Absolution vom Partner geholt habe, um spätere Schuldgefühle zu vermeiden. Ist das etwa ein Thema zwischen ihm und seiner Frau? Und ich stimmte ihm zu, auch weil das Verliebtsein ja im Alter nicht aufhört. Dem stimmte er nun wieder lächelnd zu. Da geht doch was, oder? Wir verstehen uns. Wir sind uns gedanklich sehr nahe, vermieden aber beide seine Ohrfeigen-Mail zu thematisieren. Es war so schön, mit ihm zu reden, aber ich habe irgendwie immer das Gefühl, dass er niemals von sich aus darauf zu sprechen kommen würde. Er denkt vielleicht, ich kann es nicht ertragen, wenn wir offen darüber reden. Er ist und bleibt sehr diskret, sehr zurückhaltend, sehr bedacht. Er wird das nicht von sich aus ansprechen. Ich glaube, auch das Treffen wird er nicht von sich aus ansprechen. Ich kann das auch gerne wieder tun, wenn er sich darauf einlässt. Es ist schon eine merkwürdige Kommunikation. So nah und trotzdem wird dieser Bereich fein säuberlich ausgespart. Wir haben ein Geheimnis - miteinander und voreinander. Wir teilen ein Geheimnis und das ist sehr aufregend. 

Geheimnisvolle Grüße,
Eva

1 Kommentar:

  1. liebe eva,

    das hört sich echt sehr gut an!!! zuletzt fühlen sich die männer halt doch sehr geschmeichelt und werden zugänglich! ;)

    ganz liebe umarmung und bis später

    mathilda

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