Liebe Mathilda,
so, das war ein leichter Tag! Gute Stimmung bei mir - miese Stimmung auf der Arbeit. Dort waren irgendwie alle angespannt, überfordert und aufgescheucht als ich heute die Station betrat. Ich komme dazu als Flo, eine Ärztin und Schwester S. über eine Klientin lautstark diskutieren. Ich gerate in diese Situation und beschließe, dass ich, da auch ich die Klientin betreue, hier nicht unbeteiligt am Rand stehen kann. Ich frage freundlich (ich hatte mir doch vorgenommen immer zu fragen): "Wo ist denn das Problem?" Dauraufhin ruft Flo genervt in die Runde "Es gibt kein Problem!" Holla, da war Spannung drin. Ich trete einen Schritt zurück und warte, was passiert. Es gab natürlich ein Problem. Ich bezog diese doch harte Antwort erstmal nicht auf mich, sondern auf die Situation und vernahm, dass die besagte Klientin, deren Weg unausweichlich ins Sterben führte, einfach mal viel Aufmerksamkeit erforderte, was offensichtlich das Pflegepersonal überforderte. Flo machte gegenüber Schwester S. einige kurzangebundene Ansagen, von denen ich mir kaum vorstellen kann, dass sie nun umgesetzt werden. Für mich zeigte sich, was ihn aus der Fassung bringt: schlecht versorgte, hilfsbedürftige, sterbende Klienten. Nach seinen Ansagen würgte er die weitere Diskussion ab und bereitete sich darauf vor, zu der Klientin zu gehen. Sein Blick fiel auf mich. Es war als hätte er einen Schalter umgelegt, denn zu mir war Flo ganz sanft und fragte, ob wir zusammen zu der Klientin gehen würden. Ich weiß von meiner entspannenden Wirkung auf manche Menschen, aber dieser Wechsel von eben noch auf 180 zur betont sanften Sprache, die kaum Worte braucht, war es schon ein gewaltiger Schritt.
Wir gingen zu zweit zu der Klientin, standen allein am Bett der Sterbenden, deren Geist voll erhalten war. Und es war so leicht! Wir sprachen beide mit ihr, ergänzten uns, waren uns bewusst, dass es hier nur um sie ging (oder nicht?). Er hat schon eine ordentliche Portion Empathie! Warum erstaunt mich das so? Es haut mich einfach um, weil es selten ist oder weil ich es in der Ausprägung noch nicht erlebt habe oder weil mein Gehirn von Flo vernebelt ist. Wir machten es der Klientin so angenehm wie möglich, verstellten ihr Bett, halfen ihr in ihrem zusammengesunkenen Zustand etwas auf. Flo kam auf die Idee, ihren Nachttisch in der Höhe zu verstellen, damit er an ihre täglich schrumpfende Größe angepasst würde. Am Ende kommt es mir stets so vor als wenn der Mensch von Tag zu Tag buchstäblich weniger wird. Auch von ihr war nicht mehr viel da. Ganze Menschen verschwinden auf diese Weise beim Sterben. Als Flo auf diese Idee kam, stand ich näher an dem Nachttisch als er. Ich begann mich daran zu versuchen, den Tisch zu verstellen. Ich wußte, dass es irgendeinen Kippmechanismus geben musste und setzte meine Hände rechts und links der Tischplatte an. Flo war bereits nah an mich herangetreten und wartete das Ergebnis meiner Aktion nicht ab. Er griff - und jetzt bekomme ich beim Aufschreiben Herzklopfen - über meine Hände, um den Tisch zu verstellen. Er berührte mich die ganze Zeit, hatte seine Hände wie ein Hülle über meine gelegt! Ja ehrlich, er rahmte meine Hände behutsam ein und stand auch sonst sehr dicht neben mir. Ich war schon ein bisschen elektrisiert. Möchte mal wissen, ob er da tatsächlich nur an die Sterbende dachte :-) Oder ist ihm in einer Situation, in der er einer sterbenden Frau Erleichterung verschaffen kann, einfach alles andere egal? Auch die Kollegin, die dicht neben ihm einen seelischen Notstand erlebt? Ich befreite mich bei erster Gelegenheit aus seinem Griff (Warum eigentlich?) und setzte meine Hände an einer anderen Stelle wieder auf den Tisch. Und er tat es nochmal. Er griff wieder auf meine Hände, weil der Tisch etwas klemmte. Seine Hände fühlten sich angenehm.... sehr angenehm an! :-))))))))))))) Nicht zu kalt, nicht zu warm, nicht schwitzig, einfach sehr sehr angenehm. Die Sterbende sah uns beide völlig ruhig an und sagte nichts. Wissend und ohne Worte. Wir, die wir so arbeiteten an ihrem (und wohl auch unserem) Wohlergeben: Flo, der seinen kurzzeitigen Contenance-Verlust auf der Station verarbeitete. Ich, die am richtigen Abstand zu ihm arbeitete und sich trotzdem kein zweites Mal dem Genuss seiner Berührung entziehen wollte. Ehrlich, es war herrlich. Intensiv. Nah. Pur. Das berühmte Chi? War es das, was ich als Kribbeln in den Händen spürte? Wo so viel Tod ist, kann auch so viel Leben sein. Und so fühlte ich mich in diesem Sterbezimmer sehr lebendig.
Vielleicht ist diese Situation, in der sich die Gegensätze von Leben und Tod so deutlich zeigen und es doch das eine ohne das andere nicht gibt, auch ein Hinweis darauf wie ich mich entscheiden sollte: Einfach das, was ist, genießen. Du sagtest neulich - als ich wohl noch nicht so weit war - sinngemäß, dass ich ja die besten Möglichkeiten habe, mich einfach auszuprobieren. Es tat so gut zu hören, dass ich mich ja nicht von Flo lösen muss, denn ich bin ja nicht auf der Suche. Ich hab ja alles, was ich brauche. Das nimmt mir sehr viel Druck, denn das alles ist auch schwer für mich.
Elektrisierte Grüße,
Eva
Wir gingen zu zweit zu der Klientin, standen allein am Bett der Sterbenden, deren Geist voll erhalten war. Und es war so leicht! Wir sprachen beide mit ihr, ergänzten uns, waren uns bewusst, dass es hier nur um sie ging (oder nicht?). Er hat schon eine ordentliche Portion Empathie! Warum erstaunt mich das so? Es haut mich einfach um, weil es selten ist oder weil ich es in der Ausprägung noch nicht erlebt habe oder weil mein Gehirn von Flo vernebelt ist. Wir machten es der Klientin so angenehm wie möglich, verstellten ihr Bett, halfen ihr in ihrem zusammengesunkenen Zustand etwas auf. Flo kam auf die Idee, ihren Nachttisch in der Höhe zu verstellen, damit er an ihre täglich schrumpfende Größe angepasst würde. Am Ende kommt es mir stets so vor als wenn der Mensch von Tag zu Tag buchstäblich weniger wird. Auch von ihr war nicht mehr viel da. Ganze Menschen verschwinden auf diese Weise beim Sterben. Als Flo auf diese Idee kam, stand ich näher an dem Nachttisch als er. Ich begann mich daran zu versuchen, den Tisch zu verstellen. Ich wußte, dass es irgendeinen Kippmechanismus geben musste und setzte meine Hände rechts und links der Tischplatte an. Flo war bereits nah an mich herangetreten und wartete das Ergebnis meiner Aktion nicht ab. Er griff - und jetzt bekomme ich beim Aufschreiben Herzklopfen - über meine Hände, um den Tisch zu verstellen. Er berührte mich die ganze Zeit, hatte seine Hände wie ein Hülle über meine gelegt! Ja ehrlich, er rahmte meine Hände behutsam ein und stand auch sonst sehr dicht neben mir. Ich war schon ein bisschen elektrisiert. Möchte mal wissen, ob er da tatsächlich nur an die Sterbende dachte :-) Oder ist ihm in einer Situation, in der er einer sterbenden Frau Erleichterung verschaffen kann, einfach alles andere egal? Auch die Kollegin, die dicht neben ihm einen seelischen Notstand erlebt? Ich befreite mich bei erster Gelegenheit aus seinem Griff (Warum eigentlich?) und setzte meine Hände an einer anderen Stelle wieder auf den Tisch. Und er tat es nochmal. Er griff wieder auf meine Hände, weil der Tisch etwas klemmte. Seine Hände fühlten sich angenehm.... sehr angenehm an! :-))))))))))))) Nicht zu kalt, nicht zu warm, nicht schwitzig, einfach sehr sehr angenehm. Die Sterbende sah uns beide völlig ruhig an und sagte nichts. Wissend und ohne Worte. Wir, die wir so arbeiteten an ihrem (und wohl auch unserem) Wohlergeben: Flo, der seinen kurzzeitigen Contenance-Verlust auf der Station verarbeitete. Ich, die am richtigen Abstand zu ihm arbeitete und sich trotzdem kein zweites Mal dem Genuss seiner Berührung entziehen wollte. Ehrlich, es war herrlich. Intensiv. Nah. Pur. Das berühmte Chi? War es das, was ich als Kribbeln in den Händen spürte? Wo so viel Tod ist, kann auch so viel Leben sein. Und so fühlte ich mich in diesem Sterbezimmer sehr lebendig.
Vielleicht ist diese Situation, in der sich die Gegensätze von Leben und Tod so deutlich zeigen und es doch das eine ohne das andere nicht gibt, auch ein Hinweis darauf wie ich mich entscheiden sollte: Einfach das, was ist, genießen. Du sagtest neulich - als ich wohl noch nicht so weit war - sinngemäß, dass ich ja die besten Möglichkeiten habe, mich einfach auszuprobieren. Es tat so gut zu hören, dass ich mich ja nicht von Flo lösen muss, denn ich bin ja nicht auf der Suche. Ich hab ja alles, was ich brauche. Das nimmt mir sehr viel Druck, denn das alles ist auch schwer für mich.
Elektrisierte Grüße,
Eva
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen