Sonntag, 3. März 2013

Posteuphorie


Liebe Mathilda,



die Euphorie über meinen Mut hielt noch bis Freitagmorgen an und wandelte sich dann in eine "Ich-versteck-mich-mal-lieber-vor-ihm"-Kleinheit. Ich fuhr stolz und mutig auf die Arbeit. Was konnte mir schon noch passieren? Doch auf der Arbeit angekommen und mit dem Wissen, dass er im Nebenraum arbeitet und ich am Donnerstagabend am liebsten über ihn hergefallen wäre (und er das wusste), war ich schon sehr angespannt. Ich stand ziemlich unter Druck was unsere erste the-day-after-Begegnung betraf. Sollte ich sie vermeiden? Sollte ich sie forcieren? Was soll das bloß werden? Werde ich jemals wieder "normal" mit ihm umgehen können? 1. Was ist normal? 2. War es jemals normal?

Wir schlichen - mechanisch unsere Arbeit tuend (darin sind wir mit unserem unendlichen Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl sehr gut und uns äußerst ähnlich) - ziemlich umeinander herum, so dass wir uns nicht begegneten. Der Vormittag verstrich ohne wirklich brenzliche Situationen. Doch dann trat ich um 13:00 Uhr aus dem Klinikgebäude auf den Hof heraus, um in die Kantine zu gehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er nicht mehr in der Nähe war. Nur so hatte ich mich überhaupt aus meinem Büro getraut. Dann hörte und sah ich wie Flo gerade aus dem Nebengebäude kam. Eine Begegnung war nun nicht mehr zu verhindern. Entlastend an unserem ersten Zusammentreffen war, dass wir uns zumindest allein begegneten, fernab von anderen Blicken oder Ohren. Er erblickte mich und wartete bis ich bei ihm angekommen war. Bevor ich was sagen konnte, erzählte er mir, dass er sich gerade zum Essen verabredet hat und fragte, ob ich auch zum Essen gehen würde. Ich bestätigte ihm das. Und außerdem ist das meine Essenzeit! Schon seit Jahren! Nach mir bzw. meinem Magen kann man die Uhr stellen. Wir gingen ein Stück wortlos nebeneinander her und ich redete mir ein, dass es ganz einfach ist mit ihm zu reden. Was sage ich bloß? Die Situation von gestern, unseren persönlichen Klartext, totschweigen? Ich beschloß, dass das keinen Sinn macht, da es sowieso wie ein voll beladener Öltanker im Raum steht. Ich fragte schließlich, ob er gut nach Hause gekommen ist. Er dasselbe. Dann schnitt er ein anderes, fachliches Thema an, ob es auf der Station etwas gebe. Alles klar, er wollte den Öltanker ignorieren. Ich stieg darauf ein, berichtete ihm von einer Klientin, die offensichtlich alkoholabhängig ist und keine Einsicht hat. Sie müsse wegen ihrer eingeschränkten Nierentätigkeit 3 l täglich trinken und das würde sie nicht mit Saft und Wasser abdecken können. Solange wir den Öltanker nicht streiften, war es sofort wieder locker und leicht zwischen uns. Erstaunlich! Und so merkwürdig! Menschen sind zu vielfältigen Verdrängungsleistungen fähig. Hätte ich nicht mit gerechnet.

Und dann passierte mir das Oberpeinliche, dass ich ausgerechnet heute vergessen hatte, mein Portemonnaie mit zum Essen zu nehmen. Ich bemerkte das erst als mir bereits mein Essen aufgetan war und ich vor der Kasse stand. Ok, es kamen nicht viele Leute in Frage, die ich hätte anpumpen können. Aber ausgerechnet Flo? Was blieb mir anderes übrig als ihn zu fragen, ob er mich auslösen kann? Das kollidierte jetzt wirklich mit meinem "Ich-bin-so-selbständig-und-brauche-deine-Hilfe-nicht"-Cluster. Warum stellt einem das Leben solche Aufgaben, wo es doch eh schon schwer und viel zu kompliziert ist? Gerade deswegen! Hilfevermeidungs-Cluster hin oder her, die Realität verlangte was anderes. Also fragte ich ihn. Er lächelte, bejahte und übernahm meine Rechnung. Was habe ich über mich gelernt?: Es ist mir nicht unangenehm, ihn um eine Affäre zu bitten, aber nicht um 3 Euro? 

Beim Essen dann - wir sitzen mit zwei Assistenzärztinnen an einem Tisch, Flo mir frontal gegenüber - flirtete er schon ordentlich mit einer der Ärztinnen, aber auch wir sprachen (und flirteten?) miteinander. Wir aßen das Gleiche. Keine Ahnung mehr, was es war. Es schmeckte nicht und ich aß sowieso nur aus Vernunft. Zum Nachtisch bot er mir ein Stück von seinem Schokoriegel an. Ich zögerte. Schon wieder was von ihm annehmen, damit er sein eigenes Gewissen beruhigen kann? Was solls, dachte ich, er hatte ja auch schon mein Essen bezahlt. Und nahm ein Stück. Es schmeckte besser als das Mittag. Und dann schaute ich ihn Schokolade essend an und mir fiel auf, dass er die gleichen Klamotten wie am Donnerstagabend trug. Ich übrigens auch. Never change a winning cloth? Und er war wie am Vorabend nochmal nicht rasiert. Und unheimlich sexy. Da hätten wir ja eigentlich gleich weitermachen können. Das ist absurd!


Nun ja, diese Auslösung beim Mittagessen, dieses in seiner Schuld stehen, konnte ich dann doch nicht auf mir sitzen lassen. Ich wollte ihm das Geld zurückgeben, denn bei Geld hört ja bekanntlich die Freundschaft auf. Kurz nach dem Mittagessen und wieder flüssig machte ich mich auf in sein Zimmer (mutig übrigens, wo ich doch den ganzen Vormittag den Kontakt vermieden hatte), aber er war nicht da. Ich war bewaffnet mit den 3 Euro und einem Umschlag falls ich ihn nicht antreffen würde. Vorbereitung ist alles. Ich wollte es auf jeden Fall loswerden. So schob ich ihm den Umschlag mit den Worten „Danke dir, Eva“ unter der Tür durch. So bin ich also frei von materieller Schuld ins Wochenende gestartet und schwanke nun zwischen aufgeregter Vorfreude auf den Montag und doch der großen Sorge, dass er sich nach alle dem doch abwenden könnte. Langweilig ist es jedenfalls nicht!


"If love was a word, I don't understand.
The simplest sound, With four letters.
Whatever it was, I'm over it now.
With every day, It gets better.
 
Are you loving pain, loving the pain?
And with everyday, everyday
I try to move on.
Whatever it was,
Whatever it was,
There's nothing now.
You changed.
New Age."
Marlon Roudette - New Age"

Posteuphorische Grüße,
Eva

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