Liebe Mathilda,
übermüdet und heiser nach einem ausgelassenen Indie-Rock-Abend mit meinen Mädels ist mir heute ganz dumpf im Kopf. Einen Kater haben ist das Eine. Damit die Dinge erstaunlicherweise klarer sehen das Andere. Es wird schon einen Grund haben, warum Künstler gerne psychedelische Drogen nehmen. Bei mir reichen noch immer 2 Gläser Prosecco, die mich zu folgender Erkenntnis geführt haben:
1. Meine Stimmung ist zu abhängig von Flo bzw. von Flo´s Verhalten mir gegenüber.
2. Das muss ich ändern.
3. Wie soll ich das bloß ändern?
zu 1. Ich kam heute in die Klinik und hatte völlig vergessen, dass sich kurzfristig ein Fotograf angesagt hatte, der Bilder für einen neuen Flyer machen wollte. Ich - natürlich klamotten- und frisurtechnisch nach der durchzechten Nacht überhaupt nicht darauf eingerichtet - schaute in den Spiegel, ob da noch etwas zu machen sei. Unerwarteterweise stellte ich fest, dass die Haare ganz entspannt saßen. Nicht so als wäre ich gestylt, mehr so als hätte ich entspannt geschlafen und sei nun locker-fluffig in den neuen Tag gestartet. Es gibt sie noch, die positiven Überraschungen! Ich frage mich manchmal, wo mein Körper das nach 7 Monaten Daueranspannung und "hypomaner Abwehr" so herholt. Nach dem entlastenden Blick in den Spiegel ließ ich mich in verschiedenen Posen fotografieren und dachte dabei innerlich kichernd an Heidi Klum´s Ratschläge. Hatte wohl doch noch Restalkohol in mir. Die Fotosession meistere ich souverän und war vom Ergebnis ganz angetan. Tiefenschärfe auf Fotos ist was Geniales, aber nur bei Leuten, die das können. Und der Fotograf konnte es offensichtlich. Nach den ersten Klientenkontakten war ich auch wieder komplett nüchtern. Gegen so viel Leid hilft selbst Restalkohol nicht. Und Flo? Ich begegnete ihm auf der Treppe (welch ein Ereignis!) und es durchzuckte mich wieder dieser Ruck. Ich dachte: Oh je, es ist immer noch da! Was habe ich auch erwartet? Gefühle verbrauchen sich ja nicht vom einen auf den anderen Tag. Was heute anders war, war einfach, dass wir keinen Blickkontakt hatten. Er war auch sehr im Stress, viele Operationen usw. Du merkst, dass ich sofort Ausreden für ihn erfinde, um sein Bild aufrechtzuerhalten. Ich erwartete schon gar nicht mehr, ihn heute nochmal zu treffen. Und dann kam er plötzlich zwischen zwei Operationen in OP-Kleidung in die Ambulanz. Was Klamotten doch ausmachen! "Ich habe heute leider kein Foto für Dich" wäre Heidi´s Antwort gewesen. Er stürmte an meinem Büro vorbei in einen der hinteren Räume, um nach ein paar Minuten wieder zurück zu laufen. Er war bereits wieder vorbeigelaufen als er anhielt, zurückkam und bei mir hereinschaute. Ich rahmte gerade ein Bild und er interessierte sich sowohl für den Inhalt als auch für den Rahmen, den er sehr schön fand. Auch in Eile bleibt er ein Ästhet. Wenn auch heute nicht vom eigenen Aussehen her. Selbst mit Tiefenschärfe hätte man hier nicht mehr viel machen können. Was war bloß passiert? Hatte er oder ich die halbe Nacht durchgefeiert? Leider kam just in diesem Moment ein Anruf auf seinem Handy, so dass ich nicht herausfinden konnte, warum er so heruntergekommen aussah. Flo war bereits richtig weit in mein Büro hineingegangen, was sonst gar nicht seine Art ist. Seit November hatte er praktisch um jeden Zentimeter, den er sich weiter in mein Zimmer traute, gerungen, so dass ich innerlich schon langsam mit den Augen rollte. Telefonierend versuchte er auf meinem Rechner den OP-Plan aufzurufen. Ich kann wirklich froh sein, dass ich nicht gerade einen neuen post über ihn geschrieben habe. Da stand er nun, in seiner OP-Kleidung. Grün und sportlich und irgendwie ganz klein. Manchmal kann dieses Emergency-Outfit ja wirklich anziehend sein, aber jetzt hatte es einfach viel von einem gestressten Retter, der auf seinen Rettungseinsätzen schon einige seiner schönen Federn gelassen hatte. Wollen wir das bei einer Affäre? Nein, wir wollen schöne, ästhetische und gepflegte Körper mit einem wachen Geist! Was mich aber wirklich störte, war, dass wir nicht wirklich kommuniziert haben und er ohne Gruß wieder ging. Und darum fühle ich mich jetzt scheiße. Vielen Dank Herr Mollis! Das war Punkt 1 aus meiner Erkenntnisliste. Ist ja immer gut, die Gründe für solche Stimmungswechsel herauszufinden. Und wie ändere ich das nun?
zu 2. und 3.: Ich könnte beginnen, eine Negativliste über ihn zu führen. Alles, was mir an ihm missfällt, sammeln, mit hundert multiplizieren und darauf fokussieren. Sein heutiger Auftritt würde schon ein paar passable negative Eigenschaften liefern. Ich
weiß nicht, vielleicht versuche ich mir das auch nur einzureden, damit ich mir ein realistisches Bild von ihm mache. Das Schlimme ist, ich weiß das alles. Ich weiß, was Liebe mit meinem Gehirn und meinem Herz macht und trotzdem bin ich ziemlich machtlos. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, will ich mich ja gar nicht von ihm lösen. Ich will ihn haben und das Kompromiß, das ich bereit bin einzugehen, ist, dass ich ihn nicht ganz haben will.
Wie steht er nur zu mir? Ich muss ihm Zeit lassen. Allein, wenn ich mir überlege wie lange ich gebraucht habe, um mir meine Verliebtheit nicht mehr zu verbieten. Und er ist wahrscheinlich das erste mal in solch einer Situation, dass ihm eine Frau, mit der er obendrein sehr gerne zusammenarbeitet, auf den Kopf zusagt, dass sie gerne eine Affäre mit ihm hätte. Ich kann natürlich nicht wissen, ob ihm das noch nie passiert ist, denke aber, dass der Großteil der Frauen aus der Ferne schmachtet oder es sich aufgrund von Insuffizienzgefühlen aus dem Kopf schlägt. Ich fand weder distanziertes Anschmachten noch unversuchtes Ausdemkopfschlagen akzeptabel, so dass ich nun mit einem Flo vorlieb nehmen muss, der sich erstmal selbst wiederfinden muss.
"Wer liebt,
muss sich verlieren
und sich wiederfinden können."
So lautet mein Kalenderspruch im Paulo Coelho-Veränderungen-Kalender diese Woche. Ich bin so hoffe ich über das Stadium des Verlierens hinweg und finde mich gerade selbst wieder. Und, Herr Mollis, hat scheinbar große Angst vor sich selbst bzw. davor, sich zu verlieren. In der Zwischenzeit muss ich weiter leben, muss mich wiederfinden. Ich merke, dass ich nicht stehen bleiben möchte. Ich muss auch meinen eigenen Weg unabhängig von ihm finden. Und das ist schwer. Ich würde viel lieber den Kontakt zu ihm bewahren und intensivieren, soweit er es zulässt. Und die Grenzen ohne große Worte verschwimmen lassen. Ich habe genug gesagt. Er weiß, was ich will. Und ich bin neugierig wie viel er davon zulässt. Oh Gott, was habe ich vor? Das mit dem gemeinsamen Mittagessen ist doch ein guter Anfang und es gibt zahlreiche Situationen, in denen ich mit ihm allein bin. Und dann? Könnte ich ihn z.B. fragen wie es ihm geht? Ich weiß nicht, ob ihn das zu sehr bedrängt, aber was soll's? Ich glaube nicht, dass ich damit was kaputt machen kann. Und was passiert, wenn er mich fragt wie es mir geht? Ich müsste eine Antwort parat haben und da ich mich ja gerade selbst wiederfinde, ist diese Antwort jeden Tag neu. Für heute wäre das in etwa: „Ich fühl mich unheimlich stolz, dass ich dir gesagt habe, was ich empfinde und was ich daraus machen möchte, aber ich bin auch verwirrt, was du eigentlich möchtest.“ Das ist wohl zu konfrontativ und könnte dazu führen, dass er sich weiter abgrenzt. Aber das ist es ja gerade. Wenn er Schwierigkeiten hat mein Angebot abzulehnen, wie wäre es dann, wenn ich weitergehe und weiterfrage und weiterflirte? Besteht da nicht die Gefahr, dass er wankelmütig wird? Eine Gefahr, der ich mich gerne aussetzen würde.
So, das ging ja mal richtig an Punkt 2. und 3. vorbei.
Liebe Grüße,
Eva
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