Donnerstag, 16. Januar 2014

Prinz Charming


Liebe Mathilda,
 

heute war nach gefühlten 2 Wochen Flo-Abstinenz (weil ich sehr beschäftgit war und er sehr beschäftgit war) mal wieder ein richtig schöner Arbeitstag. Wobei, schöne Arbeitstage habe ich hier seit Betty immer. Es ist wirklich herrlich und passt einfach. Und neben der Tatsache, dass sie über Flo bescheid weiß, gibt es einfach eine Menge andere Sachen, die uns zu Hochformen auflaufen lassen. Synergieeffekte nennt man das wohl. Eine Anekdote, die wirklich extreme Situationskomik liefert, will ich Dir schildern: Für unseren halbfertigen, aber bereits jetzt sehr schönen neuen Therapieraum haben Betty und ich in eine Kaffeemaschine investiert. Nach einiger Überlegung, welche Maschine es sein soll, haben wir uns für die kükenförmige Dolce Gusto (aus dem Schnabel kommt der Kaffee und auf dem Rücken trägt das Küken den Wassertank) entschieden, die nun seit letzter Woche hier steht und an der man einfach nicht vorbeikommt. Als heute unsere Stationsschwester zu uns stieß und wir ihr den neuen Mitbewohner ("Das Küken") vorstellten, kam Betty der Gedanke, dass sie der Schwester ja das "Du" anbieten könnte. Das tat sie dann auch und sagte zu ihr: "Zwar hat sich erst das Küken (und schaut dabei unbewusst auf mich) vorgestellt und dann ich..." Ich war die erste, die anfing zu lachen. "Mit Küken meinst Du wohl die Kaffeemaschine und nicht mich." Schwester Annemone ist erst irritiert, dachte auch, dass Betty eher mich als das Küken ansah, und stimmte dann mit in mein Lachen ein. Betty checkt die Situation als letzte und wir liegen vor Lachen fast auf dem Boden. Mal sehen, was Betty noch so vor hat. Ich bin nun wohl das "Küken", da unser Altersunterschied ja auch monströse 7 Jahre beträgt. Betty nennt es "Wechseljahre vs. Pubertät" und geht dabei mit sich selbst hart ins Gericht. Vielleicht aber ist sie auch über meine pubertären Gefühlswallungen amüsiert, wenn Flo im Raum ist. Mit ihr an meiner Seite ist es auf jeden Fall einfacher, Prince Charming zu durchschauen. Und so genügte heute ein Blick zwischen ihr und mir als Flo auf der Station begann, mit einer Schwester zu flirten, die über ihrer Schwesternuniform einen Schal mit kleinen Bommeln trug: "Ist das auf der Arbeit denn erlaubt?" fragte er sie zuckersüß. In Gedanken machte ich mich fast ein bisschen lustig über ihn. Sehr heilsam so innerlich die Augen zuverdrehen über den leitenden (oder leidenden?) Arzt, der es doch stets mit der gleichen Masche versucht. Naja, wenn er es bei mir macht, finde ich es dann doch ganz nett.

Ich treffe ihn heute morgen im Treppenhaus. Ganz unvorbereitet schließt er sich von einem Seitenaufgang kommend meinem Aufstieg an. Und da sind sie wieder: die Schmetterlinge. Wenn ich nicht vorbereitet bin, schleichen sie sich ein. Wir steigen zusammen die Treppe hinauf und er sagt vergnügt so was wie "Im Frühtau zu Berge..." Meine letzte Begegnung mit ihm lag etwas zurück, war mir aber in guter Erinnerung, denn er rezitierte poetisch ein Gedicht. Insofern schließt meine jetzige Begegnung daran nahtlos an. Ich sage sehr sinnig auf diese unsinnige Äußerung "Wir werden die Kuh schon irgendwie vom Eis führen." Das ist der Satz, der mir von der ellenlangen mail unseres Klinikchefs in Erinnerung geblieben ist. Aufgelockerte Stimmung als ich Flo die Verlinkung dazu erkläre. Inzwischen sind wir oben angekommen und er fragt "Machen wir heute zusammen Visite?" Ja, und ich würde noch ganz andere Sachen mit dir zusammen machen. Doch vorerst müssen wir beide in unterschiedliche Richtungen.

Als wir uns später auf der Station wiedertreffen, scheint er richtig heiß auf die Visite und sagt: "Ich war ja gefühlt die ganze letzte Woche nicht hier." Ich sage dicht neben ihm stehend "Das ist mir auch schon aufgefallen. Was war denn los?" Dazu drehe ich mich zu ihm und wir sehen uns von einer wirklich schönen Nähe an. Er sieht erschöpft aus. Ich sehe seine Falten um die Mundwinkel. Und dennoch leuchten seine Augen. Er beginnt sich sofort zu entleeren "Meine Frau und zwei Kinder sind krank. Am Dienstag konnte sie nicht mal aufstehen und ich musste das mit den Kindern organisieren. Und am Mittwoch habe ich aus Versehen meinen Wecker eine Stunde zu spät gestellt. Und ... Moment, heute war ich doch ganz normal da? ... Achja, und musste dann musste früher aus der Besprechung, weil in der Sprechstunde drei Patienten gleichzeitig bestellt waren..." Okay, ich bedauere ihn ein bisschen, aber nicht zu sehr. Alles schön dosieren. In der darauffolgenden Visite geht es zu wie zu unseren besten Zeiten. Ein Wort gibt das andere. Manchmal denke ich sogar das gleiche wie er. Eine Klientin hatte sich in ihren Drainageschläuchen verheddert. Ich denke "Hat sie nachts damit gestrickt?" Und Flo fragt sie scherzhaft "Sie sollten aber nachts nicht häkeln." Eine andere Klientin - 73jährig - wirkt sehr viel jünger. Vor dem Patientenzimmer sind sich alle einig, dass wir froh wären, wenn wir mit 73 noch so aussehen würden. Flo beginnt von seiner Schwiegermutter zu erzählen, die ebenfalls 73jährig noch sehr jung aussehen würde. Alle stimmen mit ein, dass das ja auch an den Genen liegt und irgendwer sagt, dass er seine Frau wohl wegen der Schwiegermutter ausgesucht habe. Ich bin heute schlagfertig und frage ihn neckend "Aber Du hast schon erst Deine Frau und dann die Schwiegermutter kennengelernt?" Darauf weiß er nichts mehr zu sagen, bei so viel weiblicher Power. Ich bin so stolz: Ich habe einen Witz über ihn und seine Frau gemacht.
Noch etwas später zwischen zwei Visitenpatienten tritt Prinz Charming wieder auf den Plan. Er sagt zu unserer Stationsschwester Annemone: "Gestern hatten sie aber eine tolle Frisur." Annemone darauf: "Ach, die war nur mützentauglich." Ich darauf zu Annemone: "Er meint: Gestern hattest Du endlich mal eine tolle Frisur." und betone das "Gestern" Flo müsste sich in seinem einseitigen Flirtgebahren eigentlich ertappt fühlen, lässt sich aber nicht aus der Reserve locken. Kontrolliert wie immer. Betty, die neben ihm steht, gibt noch einen drauf und fragt ihn: "Du wirst auch nicht rot oder?" Ganz eindeutig: Hier ist die weibliche Power in der Überzahl. Da kann er uns mit seiner üblichen Schleimer-Art nicht umhauen. Natürlich haben alle, einschließlich Flo, sichtlich Spaß daran. Und so verbringen wir eine wirklich wunderbar fluffige Visite. Danach verabschiede ich mich, hoffe noch, dass er in meine Richtung muss. Er kann sich jedoch vom Stationstresen noch nicht losreißen und muss wohl noch die Frisuren der anderen Schwestern besprechen. Ich gehe los. Im Treppenhaus gehe ich langsam, in der Hoffnung, dass er hinterher kommt, und tippe eine SMS. Es klappt. Schon kommt Flo angerannt und fragt "Und bei Euch so?" Ich bin kurz irritiert, weil ich denke er meint Tino und mich. Er meint jedoch wie es mit Betty läuft. Gemeinsam gehen wir über den Hof und ich berichte ihm wie sich alles so gut zusammenfügt. Und dass wir jetzt eine Kaffeemaschine in unseren Therapieraum haben UND ER UNS JA MAL BESUCHEN KOMMEN KANN! Er darauf - und das klingt wirklich ehrlich gemeint: "Das freut mich echt für Dich." Schmelz! Wahrscheinlich ist es ihm aufgrund seiner Ablehnung mir gegenüber eine ziemliche Erleichterung, dass es mir hier wieder gut zu gehen scheint. Trotzdem schön! Aber will ich das wirklich? Und wenn ja, mit welcher Aussicht? Wäre es da nicht besser zu sagen: No more Mr. Mice Guy?

Liebe Grüße wo immer Du auch gerade bist,
Eva

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