Liebe Mathilda,
ich übe mich in Habituation an Passatwinde. Keine Ahnung, was das soll. Da ich nun vermehrt in unserem neuen Therpiezimmer zu tun habe, ist die Versuchung groß, Flo öfter mal zu besuchen. Und so klopfe ich heute schon wieder Mal bei ihm an. Etwas forscher und lauter als beim letzten Mal. Vielleicht etwas zu forsch, denn von drinnen höre ich ihn "Jawohl!" sagen. Sind wir hier beim Militär? Amüsiert und ebenfalls mit "Jawohl." trete ich ein, um mich bei ihm von einer Klientin, die er mir geschickt hatte, zu entlasten. Da er mir keinen Platz anbietet (es gibt ja auch keinen weiteren als seinen Schreibtischstuhl, auf dem er ja schon sitzt, in seinem Zimmer), schiebe ich charmant ein paar seiner Sachen zur Seite und setzte mich auf seinen Rollkontainer, so dass er mir ein gutes Gegenüber ist für das, was ich vorhabe. Ich erzähle von der wirklich (psychisch) schwer chronisch kranken Klientin und dass ich sie gleich an eine bestimmte Tagesklinik weitergeschickt habe. Er meint daraufhin, dass es dort zahlreiche Ärzte und Therapeuten gebe und dass "Laura" - seine Frau - dort Kurse gibt? Keine Ahnung, ich habe nicht genau verstanden, was sie dort tut und es ist mir auch eigentlich egal. Eigentlich!? Muss er, sobald wir uns näher gegenüber sitzen, seine Frau als Abwehrzauber ins Spiel bringen? Ich gehe auf den Abwehrzauber ein und stelle eine Rückfrage zu ihr. Immerhin ein Fortschritt in Richtung normale Unterhaltung zwischen zwei Kollegen. Die Antwort habe ich vergessen. Dass er wieder gleich von seiner Frau anfängt, kann ein Schutz von ihm sein. Vielleicht denkt er, ich mache wieder irgendwas und überfordere ihn mit meinen Gefühlen. Kann er lange drauf warten. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, ihm meine Gefühlswelt nochmal zu unterbreiten. Er weiß es ja und wird es nicht vergessen. Das macht es mir einfacher. Ich werde nur noch Taten und Körpersprache walten lassen. Er hatte sich als ich hereinkam gerade die Hände eingecremt. Er cremt jedenfalls noch etwas weiter während er mir zuhört. Das kann ich schon lange denke ich mir und hole gedankenverloren meine Lippenpflege aus der Kitteltasche. So eine kleine Dose, wo man sich das vorwiegend lecker fruchtig riechende Zeug mit dem Finger auf die Lippen aufträgt. Ich creme mir also genüsslich die Lippen ein. Nicht wie in einem schlechten Porno, sondern eher sinnlich und dabei über die Klientin überlegend (wie in einem guten Porno). Ich will ihn sabbern sehen! Irgendwo kann er doch auch nur ein Mann sein.
Wie ich so auf seinem Rollcontainer sitze, schaue ich direkt auf das Fahrrad und frage ihn, ob er radeln will. Und schon fängt Herr Mollis an, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Es ist so einfach. Man braucht nur eine Frage stellen. Es ist sein altes Rennrad, welches er in der 9. Klasse geschenkt bekommen hat. Ich stelle mir den 16jährigen Florian vor, der garantiert schon die gleiche Frisur trägt. Er hat damals einige Pickel und weiß wohl noch nicht so richtig, wo es mit seiner sexuellen Orientierung hingeht. Niedlich. Er erzählt mir, dass er das Rad mit in die Klinik genommen hat als er zum Anfang noch zur Untermiete bei zwei älteren Damen wohnte. Tatsächlich, das hatte ich ganz vergessen, dass er die ersten 3 oder 4 Monate hier in der Nähe zur Untermiete wohnte bevor seine Familie hinterherkam. Und dann sei er zwischen diesem Zimmer und der Klinik hin- und hergefahren. Man stelle sich den Womanizer im Haushalt zweier älterer Damen vor. Nicht zu fassen... Und nun habe er es noch immer hier stehen, weil er erstens keinen Platz zu Hause hätte und den Vorsatz hätte wieder damit zu fahren. Das alles erfahre ich mit solcher Leichtigkeit, dass ich beschließe in schöner Regelmäßigkeit bei ihm vorbeizuschauen. Ihm scheint das keineswegs unangenehm zu sein und er bekommt hier wohl äußerst selten Besuch. Und mir gefällt es und vielleicht gewöhne ich mich ja auch an ihn, so dass ich keinen trockenen Mund mehr bekomme, wenn ich so mit ihm allein und auch noch über halbprivate Dinge spreche. Auch gegen den trockenen Mund war die Lippenpomade eine gute Idee. Nach einer Weile beschließe ich zu gehen. Ich will das schön selber in der Hand behalten, wann ich gehe. Er fragt mich "Und...gehst Du jetzt nach Hause?" Ich denke, ja du Schleimer, ich werde jetzt wegen Dir ganz beschwingt in den Abend gehen. Ich sage "Ja, bin bald weg." Gegenseitige Schönen-Abend-Wünsche folgen und er lässt die Grüße für die Familie sehr passend weg. Es geht zumindest hier nur um uns beide. Als ich die Tür öffne und mir wieder unser Bild von der Teamstaffel ins Auge springt sagt er sanft in meinem Rücken "Ja, dann wohl ... bis morgen?" Ist das eine Frage? Ein bisschen wehleidig. Selber schuld denke ich und sage fröhlich "Bis morgen." Das ist doch ein großer Fortschritt, dass ich mich traue einfach so bei ihm einzufallen, mich normal mit ihm unterhalte, das Gespräch beende und ein bisschen spüre, dass er gerne noch etwas länger geplaudert hätte. So muss das sein. Und ich kann dabei schön habituieren. Der Plan ist: Ich suche seine Nähe, damit ich ihn besser kennen lerne (auch seine Fehler) und er so seine Faszination für mich verliert. Ob das aufgehen wird?
"Oh, here she comes
She´s a maneater."
Grace Mitchell - Maneater
Liebe Grüße von Eva
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