Das
Wetter ist trist, die Tage kurz. Manchmal hat es den Anschein, dass es gar
nicht richtig hell wird. Schnee ist schön, nur kommt danach leider der
Schneematsch. Praktisch unausweichlich muss das ganze Zeug ja irgendwann
wegtauen. Das gilt übrigens nicht nur für Schnee, sondern auch für die großen
Lebensthemen, insbesondere die Liebe. In der Matschphase bin ich offensichtlich
noch nicht, denn als ich gestern auf die Arbeit fuhr, zeigte sich die
Post-Mein-Vater-muss-nun-doch-nicht-sterben-Stärke mit der gefühlten Kraft von
10 Pistenraupen. Ich kam also mit dieser Stimmung, die schwer zu beschreiben
ist, gestern auf dem Parkplatz an. So etwas wie die
"Geh-aufs-Ganze-er-weiß-sowieso-Bescheid“-Stimmung. Flirte, gucke, verunsichere
ihn, mache ihn auf dich aufmerksam. Sei einfach du selbst und sprich das aus,
was du gerade denkst. Sei locker! So ungefähr. Ich parkte neben ihm ein und
dachte: Hoffentlich rutsche ich bei dem Matsch nicht mal aus Versehen in sein
Auto. Das wäre wirklich peinlich. Oder eine neue Form der Kommunikation? Nein,
das ist wohl eher nicht mein Stil. Also, Konzentration und Einparken geglückt.
Flo
war früh dran. Ich sah ihn bereits in seinem hell erleuchteten Zimmer sitzen. Aus
der Dunkelheit heraus kann man gut in helle Räume schmachten. Offiziell traf
ich ihn dann zur morgendlichen Besprechung. Er war bereits allein im Raum als
ich dazu kam. Er begann gerade damit, die noch heruntergelassenen Rollos
hochzuziehen. Nach einer kurzen lächelnden Begrüßung sagte ich entsprechend
meiner beschriebenen Stimmung genau das, was mir auf den Lippen lag:
„Na,
du bist also optimistisch, dass dadurch etwas Helligkeit hereinkommt?“
„Na,
das hoffe ich doch.“ gab er erwartungsvoll zurück.
Ja,
und? Was noch? Was willst Du mir noch sagen? Das ermutigte mich nach der
Besprechung weiteren intensiven Kontakt zu ihm zu suchen. Ich drehte ich mich
zu ihm um. Nah sehr nah. Ich tauchte in seinen Augen ab. Er war nicht frisch
rasiert. In seinem Gesicht stoppelte sein Bart, was ich als sehr männlich
empfand. Dazu noch ein Rollkragenpullover, den er zum Glück an dem Tag nicht
trug, und ich wäre verloren. Ich hielt seinem Blick stand und sagte ihm, dass
ich morgen nicht da sein würde. Er darauf „Fortbildung?“ „Nein, ein Tag
Urlaub.“ sagte ich süffisant grinsend. Er stieg darauf ein und verzog
scherzhaft neidisch das Gesicht. Das alles war mit viel Lächeln verbunden. Es
war einfach eine lockere Stimmung. Mit dieser aufgesogenen Stimmung verließ ich
als erste den Raum und wusste, dass er bald hinterherkommen musste. Ich ging
wie eine Raubkatze vorneweg. Ich kam mir unheimlich sexy vor diesem Tag, hatte
einen Rock an und wahrscheinlich einen Eisprung. Er kam mir hinterher (sehr
gut!). Und er rief meinen Namen (noch besser!). Ich höre das gerne wie er
meinen Namen sagt. Er fragte mich, ob ich in die Ambulanz gehen würde, was ich
ihm bestätigte. Also gingen wir gemeinsam hinüber. Er meinte recht bald, dass
er sich nicht in die Kaffeerunde in der Ambulanz trauen würde, da er die
Weihnachtspäckchen für das Wichteln noch nicht abgegeben hatte.
„Mmmmh
… ich habe diese Weihnachtspäckchen noch nicht abgegeben. Ich glaube nicht,
dass es gut ankommt, wenn ich jetzt das auftauche.“
Ein
leitender Arzt wird zum leidenden Arzt, weil er eine Abwatschung durch einige
Schwestern befürchtet? Ich meldete ihm zurück, dass das wirklich äußerst
verwerflich sei.
„Das
ist wirklich ein schlimmes Vergehen.“
Weihnachtspäckchen
vor Schwestern zurückhalten ist schließlich fast mit Mobbing gleichzusetzen. Das
ist doch Flirten oder? Eva, das hat er bereits bestätigt, dass er mit dir flirtet.
Aber nicht nach Ground Zero! Er flirtet mit mir, ich flirte mit ihm, obwohl er
weiß, dass ich ihn liebe, und er das angeblich nicht erwidert. Schon dreist!
Von wem? Er überlegte weiter wegen der Kaffeerunde. Ein Grund doch jetzt
hinzugehen:
„Nachher
ist bestimmt wieder die Kaffeekanne leer.“
Ohhh!
kann man da nur sagen. Der arme Flo kommt nicht zu seinem Kaffee. Offensichtlich
hatte er die Zeiten, in denen mit gefühlten Kaffeekannen zu rechnen war, detailliert
beobachtet. Aber nicht nur er:
„Ach
komm, die sind doch ganz froh darüber, wenn du ihnen Kaffee kochst."
Mir
war aufgefallen, dass er in letzter Zeit öfter selbst zu Kaffeepulver und
Filtertüte gegriffen hatte. Und ja, ich habe das wirklich gesagt. Er war offensichtlich
darüber amüsiert und musste lächeln, dass mir das aufgefallen war. Wirklich
wahr! Dass eine solch unkonventionelle Vorgehensweise in einem hierarchisch
geführten Haus zu einiger Unruhe führt – auch wenn es „nur“ ums Kaffeekochen
geht – kann man sich leicht vorstellen. Dies ging sogar so weit, dass die
Schwestern nun mehr Kaffee kochten.
„Ist
dir mal aufgefallen, dass jetzt morgens immer zwei Kannen Kaffee gekocht
werden?"
Sicherlich
eine Reaktion der Mitarbeiterinnen auf den Kaffee kochenden leit/denden Arzt.
Er fühlt sich in dieser Situation als „Hahn im Korb“ sichtlich wohl. So meine
Interpretation.
Es
war so ein schönes Gefühl als ich bemerkte wie vertraut und räumlich nahe wir
nebeneinander hergingen. Natürlich peinlich genau bemüht, dass wir uns nicht
berührten.
Auf
dem Flur trafen wir die Verwaltungschefin, die sogleich ein Attentat auf Flo
vorhatte. Da wir alle den gleichen Weg hatten, gingen wir zu dritt über den
Hof. Flo kam in die Mitte. Das muss ein tolles Bild abgegeben haben: der junge
dynamische Arzt in der Mitte umrahmt von unserer äußerst attraktiven
Verwaltungsleiterin und mir, der äußerst aparten Therapeutin, beide berockt.
Ich glaube ich drehe durch! Und wieder lief ich so nah neben ihm, dass sich
unsere Hände praktisch berührt haben. Er würde das vielleicht abstreiten, aber
für mich war es so. Und wenn wir einige Male nicht alle nebeneinander passten,
da wir als Dreiergespann nicht durch eine Tür passten, ging ich ein paar
Schritte vor oder er ließ mich ein paar Schritte vor. Und ich spürte seine
Blicke auf mir. Ich fühlte mich gestern wirklich sehr attraktiv. Verdammter
Eisprung! Habe heute einen kurzen Rock gekauft. Das ist der beste Beweis. Die
Verwaltungschefin kündigte eine Klientin an, die in der nächsten Woche bei uns
aufgenommen würde. Sie kam 700 km durchs Land gereist, um sich hier behandeln
zu lassen. Wir sind zwar eine Spezialabteilung, aber das ist schon
ungewöhnlich. Auf die Frage, warum sie eigentlich unbedingt hierher kommen
wollte, sagte die Verwaltungschefin:
„Sie
wollte sich von einem Frauenteam behandeln lassen."
„Und
dann trifft sie auf mich.“ stellte Flo ironisch fest.
Die
Komik dieser Situation war kaum zu übertreffen. Er kann sich durchaus selber
nicht so ernst nehmen. Das macht ihn nur umso sympathischer. Wobei
wahrscheinlich alles, was er tut, in mein Wahnsystem integriert wird und ihn
noch attraktiver für mich macht.
In
der Ambulanz angekommen, mieden wir beide dann doch den Kaffee. Ein bisschen
wie verbündete Sünder, die noch nicht ihre Wichtelgeschenke abgegeben haben.
Ich sortierte im Anmeldebereich meine Papiere. Er auch. Bis ich mich
schließlich an meine Geh-aufs-Ganze-Stimmung erinnerte und mich zu ihm
umdrehte. Bartstoppeln und Augen fixierten mich. Ich fragte ihn das nächst Beste,
was mir in den Sinn kam:
„… und was sagst du denn heute Frau X?“
Es
ging um eine Klientin, deren Familiendynamik ihn schwer mitgenommen hatte, und
mit der er heute das abschließende Gespräch haben würde. Er fragte sich
lächelnd selbst
„Was
sage ich ihr heute?" und sah dabei in die Luft als stünde die Antwort
dort. "Entfernung im Gesunden. Nachfolgende Therapie abgelehnt. Von
ihr."
Das
sagte er als müsste er sich das selbst erst noch glauben. Und mal ehrlich, das
passt schon auch gut auf unsere Situation: Entfernung der Gefühle im Gesunden?
Nachfolgende Behandlung von ihm abgelehnt. Meinte er das? Ich glaube nicht an
zufällig gewählte Worte. Jede Äußerung hat seinen Sinn. Mehr noch als diese
versachlichenden Worte macht mich nachdenklich wie er das sagt. Was findet da
eigentlich auf unserer Beziehungsebene statt? Ich will mir ja nichts einbilden,
aber ich glaube wirklich, dass ich ihn sehen, ihn verstehen kann. Dass es
einfach funktioniert zwischen uns beiden. Ich hätte es knistern hören
können. Ach Flo. Es ist schon irgendwie so als könnte ich ihn nach Ground
Zero öffentlich anschmachten. Zumindest für ihn sichtbar. Was wird er von mir
denken? Er muss sich darüber bewusst sein, dass ich die Gefühle ihm gegenüber
nicht innerhalb von einem Monat abstellen kann. Und nun Flirten wir wieder wie
vorher miteinander. Was denkt er sich eigentlich dabei? Nicht dass ich etwas
dagegen hätte und er fühlt sich auch sichtlich wohl in dieser Rolle, aber was
geht bloß in seinem fröhlich gelockten Kopf vor? Was läuft da hinter den
Bartstoppeln und den sanften Augen mit den blassen Brauen ab?
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