Freitag, 14. Dezember 2012

Vom Sinn und Unsinn des Kaffeekochens




Das Wetter ist trist, die Tage kurz. Manchmal hat es den Anschein, dass es gar nicht richtig hell wird. Schnee ist schön, nur kommt danach leider der Schneematsch. Praktisch unausweichlich muss das ganze Zeug ja irgendwann wegtauen. Das gilt übrigens nicht nur für Schnee, sondern auch für die großen Lebensthemen, insbesondere die Liebe. In der Matschphase bin ich offensichtlich noch nicht, denn als ich gestern auf die Arbeit fuhr, zeigte sich die Post-Mein-Vater-muss-nun-doch-nicht-sterben-Stärke mit der gefühlten Kraft von 10 Pistenraupen. Ich kam also mit dieser Stimmung, die schwer zu beschreiben ist, gestern auf dem Parkplatz an. So etwas wie die "Geh-aufs-Ganze-er-weiß-sowieso-Bescheid“-Stimmung. Flirte, gucke, verunsichere ihn, mache ihn auf dich aufmerksam. Sei einfach du selbst und sprich das aus, was du gerade denkst. Sei locker! So ungefähr. Ich parkte neben ihm ein und dachte: Hoffentlich rutsche ich bei dem Matsch nicht mal aus Versehen in sein Auto. Das wäre wirklich peinlich. Oder eine neue Form der Kommunikation? Nein, das ist wohl eher nicht mein Stil. Also, Konzentration und Einparken geglückt.

Flo war früh dran. Ich sah ihn bereits in seinem hell erleuchteten Zimmer sitzen. Aus der Dunkelheit heraus kann man gut in helle Räume schmachten. Offiziell traf ich ihn dann zur morgendlichen Besprechung. Er war bereits allein im Raum als ich dazu kam. Er begann gerade damit, die noch heruntergelassenen Rollos hochzuziehen. Nach einer kurzen lächelnden Begrüßung sagte ich entsprechend meiner beschriebenen Stimmung genau das, was mir auf den Lippen lag: 


„Na, du bist also optimistisch, dass dadurch etwas Helligkeit hereinkommt?“ 


„Na, das hoffe ich doch.“ gab er erwartungsvoll zurück. 


Ja, und? Was noch? Was willst Du mir noch sagen? Das ermutigte mich nach der Besprechung weiteren intensiven Kontakt zu ihm zu suchen. Ich drehte ich mich zu ihm um. Nah sehr nah. Ich tauchte in seinen Augen ab. Er war nicht frisch rasiert. In seinem Gesicht stoppelte sein Bart, was ich als sehr männlich empfand. Dazu noch ein Rollkragenpullover, den er zum Glück an dem Tag nicht trug, und ich wäre verloren. Ich hielt seinem Blick stand und sagte ihm, dass ich morgen nicht da sein würde. Er darauf „Fortbildung?“ „Nein, ein Tag Urlaub.“ sagte ich süffisant grinsend. Er stieg darauf ein und verzog scherzhaft neidisch das Gesicht. Das alles war mit viel Lächeln verbunden. Es war einfach eine lockere Stimmung. Mit dieser aufgesogenen Stimmung verließ ich als erste den Raum und wusste, dass er bald hinterherkommen musste. Ich ging wie eine Raubkatze vorneweg. Ich kam mir unheimlich sexy vor diesem Tag, hatte einen Rock an und wahrscheinlich einen Eisprung. Er kam mir hinterher (sehr gut!). Und er rief meinen Namen (noch besser!). Ich höre das gerne wie er meinen Namen sagt. Er fragte mich, ob ich in die Ambulanz gehen würde, was ich ihm bestätigte. Also gingen wir gemeinsam hinüber. Er meinte recht bald, dass er sich nicht in die Kaffeerunde in der Ambulanz trauen würde, da er die Weihnachtspäckchen für das Wichteln noch nicht abgegeben hatte. 


„Mmmmh … ich habe diese Weihnachtspäckchen noch nicht abgegeben. Ich glaube nicht, dass es gut ankommt, wenn ich jetzt das auftauche.“


Ein leitender Arzt wird zum leidenden Arzt, weil er eine Abwatschung durch einige Schwestern befürchtet? Ich meldete ihm zurück, dass das wirklich äußerst verwerflich sei.


„Das ist wirklich ein schlimmes Vergehen.“


Weihnachtspäckchen vor Schwestern zurückhalten ist schließlich fast mit Mobbing gleichzusetzen. Das ist doch Flirten oder? Eva, das hat er bereits bestätigt, dass er mit dir flirtet. Aber nicht nach Ground Zero! Er flirtet mit mir, ich flirte mit ihm, obwohl er weiß, dass ich ihn liebe, und er das angeblich nicht erwidert. Schon dreist! Von wem? Er überlegte weiter wegen der Kaffeerunde. Ein Grund doch jetzt hinzugehen:


„Nachher ist bestimmt wieder die Kaffeekanne leer.“ 


Ohhh! kann man da nur sagen. Der arme Flo kommt nicht zu seinem Kaffee. Offensichtlich hatte er die Zeiten, in denen mit gefühlten Kaffeekannen zu rechnen war, detailliert beobachtet. Aber nicht nur er:


„Ach komm, die sind doch ganz froh darüber, wenn du ihnen Kaffee kochst." 


Mir war aufgefallen, dass er in letzter Zeit öfter selbst zu Kaffeepulver und Filtertüte gegriffen hatte. Und ja, ich habe das wirklich gesagt. Er war offensichtlich darüber amüsiert und musste lächeln, dass mir das aufgefallen war. Wirklich wahr! Dass eine solch unkonventionelle Vorgehensweise in einem hierarchisch geführten Haus zu einiger Unruhe führt – auch wenn es „nur“ ums Kaffeekochen geht – kann man sich leicht vorstellen. Dies ging sogar so weit, dass die Schwestern nun mehr Kaffee kochten.


„Ist dir mal aufgefallen, dass jetzt morgens immer zwei Kannen Kaffee gekocht werden?" 


Sicherlich eine Reaktion der Mitarbeiterinnen auf den Kaffee kochenden leit/denden Arzt. Er fühlt sich in dieser Situation als „Hahn im Korb“ sichtlich wohl. So meine Interpretation.

Es war so ein schönes Gefühl als ich bemerkte wie vertraut und räumlich nahe wir nebeneinander hergingen. Natürlich peinlich genau bemüht, dass wir uns nicht berührten.

Auf dem Flur trafen wir die Verwaltungschefin, die sogleich ein Attentat auf Flo vorhatte. Da wir alle den gleichen Weg hatten, gingen wir zu dritt über den Hof. Flo kam in die Mitte. Das muss ein tolles Bild abgegeben haben: der junge dynamische Arzt in der Mitte umrahmt von unserer äußerst attraktiven Verwaltungsleiterin und mir, der äußerst aparten Therapeutin, beide berockt. Ich glaube ich drehe durch! Und wieder lief ich so nah neben ihm, dass sich unsere Hände praktisch berührt haben. Er würde das vielleicht abstreiten, aber für mich war es so. Und wenn wir einige Male nicht alle nebeneinander passten, da wir als Dreiergespann nicht durch eine Tür passten, ging ich ein paar Schritte vor oder er ließ mich ein paar Schritte vor. Und ich spürte seine Blicke auf mir. Ich fühlte mich gestern wirklich sehr attraktiv. Verdammter Eisprung! Habe heute einen kurzen Rock gekauft. Das ist der beste Beweis. Die Verwaltungschefin kündigte eine Klientin an, die in der nächsten Woche bei uns aufgenommen würde. Sie kam 700 km durchs Land gereist, um sich hier behandeln zu lassen. Wir sind zwar eine Spezialabteilung, aber das ist schon ungewöhnlich. Auf die Frage, warum sie eigentlich unbedingt hierher kommen wollte, sagte die Verwaltungschefin:


„Sie wollte sich von einem Frauenteam behandeln lassen." 


„Und dann trifft sie auf mich.“ stellte Flo ironisch fest. 


Die Komik dieser Situation war kaum zu übertreffen. Er kann sich durchaus selber nicht so ernst nehmen. Das macht ihn nur umso sympathischer. Wobei wahrscheinlich alles, was er tut, in mein Wahnsystem integriert wird und ihn noch attraktiver für mich macht. 

In der Ambulanz angekommen, mieden wir beide dann doch den Kaffee. Ein bisschen wie verbündete Sünder, die noch nicht ihre Wichtelgeschenke abgegeben haben. Ich sortierte im Anmeldebereich meine Papiere. Er auch. Bis ich mich schließlich an meine Geh-aufs-Ganze-Stimmung erinnerte und mich zu ihm umdrehte. Bartstoppeln und Augen fixierten mich. Ich fragte ihn das nächst Beste, was mir in den Sinn kam:


 „… und was sagst du denn heute Frau X?“ 


Es ging um eine Klientin, deren Familiendynamik ihn schwer mitgenommen hatte, und mit der er heute das abschließende Gespräch haben würde. Er fragte sich lächelnd selbst 


„Was sage ich ihr heute?" und sah dabei in die Luft als stünde die Antwort dort. "Entfernung im Gesunden. Nachfolgende Therapie abgelehnt. Von ihr." 


Das sagte er als müsste er sich das selbst erst noch glauben. Und mal ehrlich, das passt schon auch gut auf unsere Situation: Entfernung der Gefühle im Gesunden? Nachfolgende Behandlung von ihm abgelehnt. Meinte er das? Ich glaube nicht an zufällig gewählte Worte. Jede Äußerung hat seinen Sinn. Mehr noch als diese versachlichenden Worte macht mich nachdenklich wie er das sagt. Was findet da eigentlich auf unserer Beziehungsebene statt? Ich will mir ja nichts einbilden, aber ich glaube wirklich, dass ich ihn sehen, ihn verstehen kann. Dass es einfach funktioniert zwischen uns beiden. Ich hätte es knistern hören können.  Ach Flo. Es ist schon irgendwie so als könnte ich ihn nach Ground Zero öffentlich anschmachten. Zumindest für ihn sichtbar. Was wird er von mir denken? Er muss sich darüber bewusst sein, dass ich die Gefühle ihm gegenüber nicht innerhalb von einem Monat abstellen kann. Und nun Flirten wir wieder wie vorher miteinander. Was denkt er sich eigentlich dabei? Nicht dass ich etwas dagegen hätte und er fühlt sich auch sichtlich wohl in dieser Rolle, aber was geht bloß in seinem fröhlich gelockten Kopf vor? Was läuft da hinter den Bartstoppeln und den sanften Augen mit den blassen Brauen ab?

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