Mittwoch, 12. Dezember 2012

Ernstfall geprobt

Mein Vater und ich starren wie die Kaninchen, die vor einer Schlange sitzen, auf einen Bildschirm in einem abgedunkelten, unpersönlichen Raum. Der Bildschirm ist klein; im Vergleich zu den Flachbildschirmen, die man heute so gewöhnt ist. In der Unterschungstechnik haben solche Bildschirme wohl noch nicht Einzug gehalten. Was sollen bloß die verschiedenen Schattierungen bedeuten? Was kann man dort überhaupt erkennen? Ist es gut oder schlecht, wenns schwarz oder weiß ist? Und ist es vielleicht sogar gut, wenn wir nicht so genau bescheid wissen? Unser Mangel an Expertenwissen, nötigt uns, auf andere Informationsquellen auszuweichen. In diesem Falle: das Gesicht des untersuchenden Arztes. Wie guckt er den Bildschirm an? Und schaut er an der einen Stelle nicht ein bisschen zu lange hin? Warum tut er das? Was vermutet er dort? Verdammt nochmal, sag doch, was du da siehst!

Befund o.B.
Ein negativer Befund.
Keine malignomverdächtigen Herde.
Nichts zu finden. Es ist harmlos! Und ihr solltes den Stein plumsen hören.
Mit dieser Nachricht ist alles easy...



Nachdem mein Vater und ich den untersuchenden Arzt mit Lob und Anerkennung überhäuft hatten, begann sich die entspannende Wirkung der guten Nachricht in uns selbst auszubreiten. Wir fuhren in ein nettes kleines Restaurant am Wohnort meines Vaters und aßen und tranken dort als gäbe es kein Morgen. Danach fuhren wir zu Mutter auf den Friedhof, um ihr von dem schönen Ergebnis zu berichten. Wir kippten ein Glas Sekt auf ihr Grab. Sie sollte schließlich auch was von der großen, vergnügten Erleichterung spüren. Dann sagte mein Vater, dass sie nun doch noch etwas auf ihn warten müsse. Sie war noch nie ungeduldig, sondern freute sich vermutlich mit uns. Hat ja alle Zeit der Welt. Es war so rührend wie sich mein Vater zu ihr niederbeugte und ihr diese Worte sagte. Ein Gefühl von Trauer und Erleichterung traf mich mit voller Wucht. Und ich fragte mich: Ist das Liebe bis über den Tod hinaus? Boah... letztendlich liegen sie doch sehr nach beieinander - die großen Lebensthemen: Krankheit, Tod, Liebe, Hoffnung...

Die Lebensthemen, mit denen alle Menschen konfrontiert sind. Sei es als Betroffener oder Begleiter, als Leidtragender oder als Freund, als Klient oder als Therapeut. Ebenso wie der Bote einer schlechten Nachricht oft geköpft wird, wird der Bote einer guten Nachricht oft mit überschwenglicher Freude überschüttet. Für die Menschen, die solch einen Beruf wählen, sollte das gut überlegt sein. Es gibt medizinische Fachrichtungen, in denen eher schlechte und in denen eher gute Nachrichten vermittelt werden müssen, wenn man z.B. mal die Onkologie mit der Geburtshilfe vergleicht. Für das Ergebnis, dass diese Ärzte übermitteln müssen, können sie freilich gar nichts, aber einer muss es ja sagen. Machen wir uns nichts vor: Es besteht eine Notwendigkeit, alle Nachrichten - auch die schlechten - zu übermitteln. Und damit besteht für den Übermittler auch immer die Gefahr, die Wucht der aufkommenden Gefühle abzubekommen. Wie die Busfahrer im zu spät kommenden Bus oder die Fahrkartenverkäufer am Schalter, wenn die Fahrpreise erhöht wurden. Oder empfindet es mancher Arzt gar als persönliche Herausforderung, schlechte Nachrichten "gut" zu vermitteln. Gibt es das überhaupt? Es ist eine Kunst, die erlernt werden muss. Es gibt Kurse zur Übermittlung schlechter Nachrichten: Braeking Bad News. Und ich möchte hier einfach mal all denen danken, die viel Zeit und Mühe darauf verwenden, sich das mühevoll anzueignen und ihre Klienten gut aufzuklären. Es ist mitnichen etwas, was einem in die Wiege gelegt wird; was man eben kann oder was man nicht kann. Es ist viel Arbeit, die nur darüber zu bewältigen ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Danke, all ihr Ärzte, die ihr Euch mit Euren eigenen Ängsten beschäftigt, um hoffnungsvolle und hoffnungslose Klienten zu begleiten, die Eure Hilfe brauchen.

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