Es
ist der zweite Weihnachtsfeiertag im Jahr 2012. Den angekündigten Weltuntergang
haben wir überstanden. Dennoch erlebe ich hier gerade meinen ganz persönlichen.
Meinen eigenen Absturz. Ich sitze Feuerzangenbowle-trinkend in meiner Wohnküche, vor einem oppulent
gedeckten Tisch, der alle Leckereien für ein Raclette enthält. Konstantin und
die eingeladenen Freunde, die seit gesteren bei uns sind, haben innerhalb von
wenigen Stunden einen fiesen Magen-Darm-Virus bekommen, den Kai letzte Woche bei uns
eingeschleppt hatte. Heute Mittag hatte es zunächst das befreundete Päärchen
erwischt, die sich nächstes Jahr wohl überlegen werden, in solch ein Gebiet
biologischer Kampfstoffe zu fahren. Seit einer Stunde geht es nun Konstantin
schlecht. Ich blieb bisher verschont und möchte das auch bleiben. Und so wird
aus unserem anvisierten Racletteabend eine One-woman-show. Alle schlafen (wenn
sie nicht gerade auf dem Klo sitzen oder hängen) und ich habe mich mit dem
Raclette hier verschanzt. Soviel zu meiner aktuellen Weltuntergangssituation. Schlimmer geht immer. Und so versuche ich wo sie schon einmal da ist, die bewusstseinserweiternden Eigenschaften der Feuerzangenbowle zu nutzen
und mir zu überlegen, ob das nun die Strafe Gottes für meine gefühlsmäßige
Aufruhr in 2012 ist.
Mit
Konstantin ist es nach unseren Gesprächen sehr pur und schön. So wie ich es
mag. So wie es war als wir uns kennenlernten. So wie es war als ich mich in ihn
verliebte. Mir ist wieder klarer, warum ich mich in ihn verliebte, mich für ihn entschieden hatte. Er ist ein liebevoller Partner und Vater unseres Kindes. Anders kann
ich das nicht sagen. So klar, dass es auch angetrunken keiner weiteren Worte bedarf. Einfach riiiiiichtiiiiiig!
Und das Thema "Flo" ist gerade eher
frustrierend. Und so unklar, dass es leider viel mehr Worte braucht. Resumierend ist mir aufgefallen, dass ich schon Angst habe, den
Kontakt zu ihm zu verlieren. Wir waren uns mal so nah. Naja, wohl eher gefühlt.
Gesagt hat er ja, dass aus uns nichts wird. Wenn ich seine Reaktionen so
zusammenfasse, geht er mir warum auch immer aus dem Weg. Das will ich nicht,
aber er offensichtlich. Nur eine beispielhafte Situation: Vor seinem Infekt gab
er mir mein Buch zurück, dass ich ihm vor Monaten ausgeliehen hatte. Ich sah es
schon von weitem leuchten als er mit dem Buch unter dem Arm bewaffnet in die
Ambulanz kam. Als wir uns kurz daruf im Vorbeigehen sahen, teilte er mir mit,
dass er es mir geben wolle, aber… Ja, warum tat er es denn eigentlich nicht?
Stattdessen wollte er es in sein Fach legen und mir später geben. Hää? Ich steh
mal wieder auf dem Schlauch und fragte mich warum er das tat. Vielleicht war
die Situation für ihn nicht entsprechend. Keine Ahnung! Er bleibt ein Rätsel
für mich.
Manchmal nervt mich das dermaßen, dass ich ihn zur Rede stellen
möchte. Wut ist ein gutes Gefühl und deutet auf Veränderung hin. Und dann fand
ich, als ich in mein Büro zurückkehrte, mein Buch auf meinem Tisch wieder. Er
hatte es inklusive einer Post-it-Notiz dort hingelegt, in der er sich dafür
herzlich bedankte und auf den Inhalt bezugnehmend angab, schon etwas die Welt verbessert zu haben. Als ich
das Buch beim Hereinkommen auf meinem Tisch liegen sah, atmete ich instinktiv
den Raumduft ein. In der Hoffnung etwas von seinem Duft wahrzunehmen. Es ist
faszinierend, er betritt den Raum zu einer Besprechung oder ähnlichem und ich
atme nur ihn ein. Ich bin absolut fixiert darauf. Ich freute mich über die
Notiz und ärgerte mich gleichzeitig, dass er damit einen persönlichen Moment
mit mir vermieden hatte. Und später als ich in meinem Büro bei offener Tür
dokumentierte und ihn daran vorbei laufen hörte, bat ich inständig, dass er
doch hereinkommen möge. Seine Schritte hielten inne (mein Herz auch), er ging
zurück und steckte den Kopf durch die halboffene Tür. Er sagte mir nochmal mündlich,
dass er mein Buch dort hingelegt hatte. Ich sagte ihm innerlich lächelnd, dass
ich es gefunden hatte. Und schon war er wieder weg. Er traute sich
offensichtlich nicht zu mir ins Zimmer. Ich weiß nicht, was er erwartete. Nein,
ich muss mich korrigieren: Er traute sich nicht zu mir ins Zimmer als ich
anwesend war. Muss wohl an mir liegen. Was soll das Ganze? Ich hatte ihn doch
bereits darum gebeten, dass wir so normal wie möglich miteinander umgehen. Und
nun? Wird es ein verkrampftes Aufeinandertreffen? Ich hätte so gerne Kontakt zu
ihm. Aber das hätte ich mir wohl vor meinem Geständnis überlegen sollen. Während
einer kleinen Weihnachtsfeier vor 2 Wochen hatte ich kein persönliches Wort mit
ihm gewechselt. Ich bin echt frustriert. Was bildet er sich eigentlich ein,
mich so unglücklich zu machen? Naja, ist sein gutes Recht, den Kontakt zu mir
zu vermeiden. Er hat mir nichts versprochen. Vielleicht sollte ich ihn wieder
mal darauf ansprechen. Er bekommt noch Angst vor mir. Scheint doch sehr
harmoniesüchtig zu sein. Nur tut er mir gerade sehr weh. Es hat den Anschein
als lasse er mich links liegen. Ach ich weiß nicht. Der Zettel auf dem Buch ist
nicht gerade gleichbedeutend mit links liegen lassen. Es ist manchmal so
frustrierend, dass ich mir verbiete, an ihn zu denken.
Ich fürchte, ich halte das sonst nicht aus.
"Ich versteh' dich nicht, weil du nicht dieselbe Sprache sprichst.
Alles Schall und Rauch.
Herz im Ausverkauf.
Ich versteh' dich nicht. Du versprichst viel - doch du hältst es nicht.
Alles Schall und Rauch.
Herz im Ausverkauf.
Ich versteh' dich nicht. Du versprichst viel - doch du hältst es nicht.
Du wirst hier nicht mehr gebraucht.
Alles Schall und Rauch.
Schall und Rauch."
Alles Schall und Rauch.
Schall und Rauch."
Tim Bendzko - Schall und Rauch
Was
fange ich noch an mit diesem Abend außer festzustellen wie frustrierend es ist,
Herrn Dr. Florian A. Mollis begegnet zu sein? Ist das armseelig wie ich hier
sitze, zwischen Pilzen, Käse, Gemüse, meiner verlassenen Raclettepfanne, schmachtend,
wütend und eigentlich doch ganz zu Hause? … Ich bin langsam total betrunken
nach der fünften Tasse Feuerzangenbowle. …Ich hoffe in diesem Zustand
gelockerter Kontrollinstanzen auf wichtige Erkenntnisse. Doch vor allen
Erkenntnissen kommen die Fragen. Zu viele Fragen für meinen Geschmack. …Was
soll ich bloß tun? Soll ich die Situation jetzt einfach so auf sich beruhen
lassen? Soll ich da nochmal intervenieren? Und wenn ja, wie und mit welcher
Intention? Sollte ich weiter Kontakt zu ihm suchen? Ich könnte ihm ein neues
Buch in sein Fach legen (das wäre zumindest mit gleicher „vermeidender“ Münze
zurückgezahlt). Mit dem Hinweis „Neue Tipps für Weltverbesserer“. Dann würde
ich mich auf seine Kommunikationsebene begeben. Birgt natürlich die Gefahr,
dass er es mir zurück gibt mit dem Hinweis nicht mehr so mit mir kommunizieren
zu wollen. …Neee, schließlich hat er mit so komischen Kommunikationswegen
angefangen. Ich meine, er bricht eher in mein Büro ein als mir persönlich zu
begegnen! …Ich das jetzt gut oder schlecht? …Schon wieder Fragen. Diese
befürchtete Reaktion, dass er ein Buch von mir abwehrt, ist dann doch sehr weit
hergeholt. Und selbst wenn, dann wäre es immerhin eine Reaktion und besser als
gar nicht zu wissen, woran ich bin. Ich könnte ihn auch direkt darauf
ansprechen, dass ich den Eindruck habe, er gehe mir aus dem Weg. Ich könnte ihm
auch sagen, dass ich es schade finde, dass wir gar nicht mehr dazu kommen
miteinander zu sprechen. ………Pffff…Vielleicht bewerte ich das alles auch über.
Ach,
ich weiß nicht. Noch mehr Feuerzangenbowle als Strategie für die Bewältigung
eines total verkorksten Abends? Einen Versuch ist es wert.
Groß-
und kleinschreibung werden langsam egal.
satzzeichen
sind auch nur begrenzungen zwischen sätzen die einfach hinaus in die welt
wollen
alles egal
vieles
will ausgesprochen werden
wie
viel davon will auch gehört werden
manchmal
hasse ich ihn dafür… dass er in mein leben getreten ist
und
dann …liebe ich ihn wieder dafür
eva
aus der küche
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