Dienstag, 22. Juli 2014

Unter Freundinnen



Liebe Mathilda,

Und nun? Das war´s dann also? Keine aufgeregten Geschichten mehr aus dem romantischen Klinikalltag?

Die wie auch immer geartete Beziehung zwischen Flo und mir ändert sich weiter. Mit etwas Abstand zu Flo und mit meinen persönlichen Erlebnissen, allen voran Tinos lnagersehnten Antrag natürlich, wird der Blick klarer. Viel mehr von meinem Unterbewusstsein lässt sich wohl nicht zutage fördern. Und es reicht auch einfach! Das verrät auch dieser Traum: 

Flo und ich hatten einen schönen Arbeitstag mit schönen (und in der Tendenz eher platonischen) Begegnungen verlebt. Als Resümee dieses Tages treten wir uns gegenüber und ich sage zu ihm: "Wenn es immer so wäre, könnte ich damit leben." Ich finde meinen Satz filmreif. Florian gibt mir allerdings zu verstehen, dass er nicht so leben könne und beginnt (und hier dreht noch immer mein Wunschdenken frei) sich mir noch mehr anzunähern ... und ich weiß nicht, wollte oder hat er mich geküsst?
Ein bisschen geschehen ist es ja, auch wenn ich es nur geträumt habe. Eigentlich kann ich mir ja alles vorstellen und muss es gar nicht in der Realität erleben. Wie damals mit dem sehr heilsamen, mehlichen Kuss. Als Tendenz hätte ich sowohl Lust, ihn abzuweisen und in seinen Tanzbereich zurückzuschieben als auch, es einfach gut sein zu lassen. Wie soll also meine Geschichte enden?

Im realen Leben mache ich mir Gedanken wie es zwischen Flo und mir denn nun sein könnte. In unserer Klinik gibt es gerade Abwanderungen vom Chefarzt und einigen anderen. Wer denkt da nicht auch ans Weggehen? Für mich wäre es ein großer Verlust, wenn Flo jetzt gehen würde. Naja, bisher ist er ja da und es ist ganz okay zwischen uns. Er umarmt mich weiterhin nicht, aber alle anderen. Ich will das nicht seiner Distanz zuschreiben, sondern seiner Angst. Der hat einfach Schiß, dass es nochmal feurig zwischen uns wird. Und ich frage mich, kann ich jemals "normal" mit ihm umgehen? Wenn ich einem männlichen Wesen begegne und man irgendwelche zwischenmenschlichen Nuancen austauscht, fühle ich mich doch immer wie eine Frau. Das schwingt doch immer mit. Oder? Kennst Du Beziehungen, die da völlig von frei sind. Nehmen wir mal "Peter", den Hausarbeiter, der immer brav den Konferenzraum für die Veranstaltungen umräumt. Der ist immer supernett und himmelt vermutlich die halbe weibliche Belegschaft an. Ich versuche freundlich zu sein, ihn aber nicht zu ermutigen. Er ist wirklich ein bisschen verrückt und er täte mir einfach leid. Mit anderen Männern, die ich wahrscheinlich attraktiver finde und denen ich auch zutraue das zu verkraften, verfalle ich schon mal ins Flirten. Es ist einfach anders als wenn ich mit weiblichen Kolleginnen zu tun habe. Mein Körper straft sich irgendwie und ich versuche gut auszusehen. Ich will offensichtlich gefallen. Habe wohl gerade wieder einen Eisprung, dass mir das so auffällt. Kann es also mit Männern nie rein platonisch sein? Schwingt da immer was Sexuelles mit? Und wie ist das für lesbische Frauen? Haben die das dann bei anderen Frauen? Diese Fragen führten mich zu der Überlegung, ob ich nicht versuchen sollte, mir Flo als Freundin!! vorzustellen, damit mal dieses unerwiderte sexuelle Gebahren da aus unserer Beziehung kommt. Klingt abgefahren, aber vielleicht könnte ich mich auf diese Art mehr wie ich selbst verhalten und müsste mir nicht ständig Gedanken machen, ob ich ne Grenze überschreite. Ich könnte einfach ich selbst sein und Späße machen und lachen. Und er würde mitlachen wie eine "Freundin". Brauche ich denn noch eine Freundin? Nein, aber ich möchte ihn lieber als "Freundin" als gar nicht. Und irgendwie passt das auch, ihn sich als Freundin zu wünschen, denn er ist schon sehr weich und weiblich.

Dieser Gedanke half mir als ich mich heute entschloss zur Patientenveranstaltung dazubleiben und Flo - "die Referentin" - anzumoderieren, ihn in Absicht voller Habituation 90 Minuten referieren zu sehen und ihm dann die Blumen zu überreichen. Ich teilte ihm das am Montag schon mal mit, damit er sich drauf einstellen konnte, denn bei seinem letzten Vortrag hatte ich ihm sich selbst überlassen, weil mir das zuviel war, ihn 90 Minuten anzuschmachten. Gestern aber meinte er, dass er das auch allein machen könne und ich ja nicht bleiben müsse. Ich war versucht ihn zu fragen, ob er ein Problem damit hat, wenn ich dabei bin, aber die Sekretärin stand daneben. Vielleicht wollte er auch einfach nett sein und mir Arbeit ersparen. Vielleicht bin ich aber auch zu nett und er wollte mich tatsächlich nicht dabei haben. Oder es setzt ihn zumindest unter Druck.
Heute dann sah ich ihn den ganzen Tag nicht. Gegen 15 Uhr beschließe ich, mal in seinem Zimmer nachzusehen. Ich werde reingebeten, schließe die Tür hinter mir und sehe ihn an dem Vortrag arbeiten. Ich: "Ich wollte mal gucken, ob Du überhaupt da bist." Er: "Ja, ich bin da (und grinst) ... und arbeite noch an dem Vortrag." Er hat Schiß vor seinem eigenen Vortrag! Er fragt, ob ich ihn anmoderiere und im gleichen Moment bietet er mir nochmals an, nicht bleiben zu müssen und dass er das auch allein hinbekommt. Er ist aufgeregt und weiß wohl selbst nicht, was er will. Er sagt es nett, nicht so als wolle er mich nicht dabei haben, sondern um mir einen Ausweg zu lassen. Ich mag hier jedoch keinen Ausweg. Ich trete weiter in den Raum und lehne mich an eine Wand zu großformatigen Bilderrahmen, die seit wer weiß wie langer Zeit aufgehängt werden möchten. Dann setze ich an, um mit seiner Vermutung aufzuräumen, dass er das nicht allein schaffen könnte und sage ihm: "Ich traue Dir das natürlich allein zu, aber ... es ist ein Statement." Ich erkläre ihm daraufhin, dass ich mich über die Schwestern geärgert hatte als die übliche Liste, in die man sich für die jeweilige Patienten-Veranstaltung als Verantwortlicher eintragen kann, fast leer zu mir zurückgekommen war. Mit meinem Erscheinen will ich mich einfach hinter meine eigene Veranstaltungsreihe stellen und dass er nun gerade den auserkohrenen Vortrag hält, ist das Sahnehäubchen. Das mit dem Sahnehäubchen sage ich ihm nicht. Ich will ja nicht, dass er kolabiert. Als ich ihm das so erklärt habe, wirkt er erleichtert. Und ich auch. Und dann will ich ihn möglichst ungestört weiterarbeiten lassen. Ich öffne die Tür und stiere wie immer auf unser Staffellauf-Bild mit dem danebenhängenden Kalender von 2012! Was hat er eigentlich 2013 gemacht?

Später strömen die Teilnehmer in den Konferenzraum, so dass fast jeder Platz besetzt ist. Ein guter Auftakt. Ich bereite alles vor und mache Smalltalk mit den mir gut bekannten Patientinnen. Um drei vor 5 beschließe ich ihn abzuholen bzw. nachzusehen, ob er nicht doch kolabiert ist. Ich trete in sein Zimmer, wo er sich echt flomäßig am besten noch den obersten Knopf von seinem Kittel zuknöpft. Ein bisschen Schutzkleidung braucht er halt. Ich sage: "Dein Fanclub ist da." Er lacht und lockert sich etwas. Der hat echt Vortragsangst. Der Arme. Auf den 20 Metern bis zum Konferenzsaal erzähle ich ihm, dass "die Hütte voll ist". Flooding nennt man das wohl. Es ist aufgelockert und ein bisschen so als wäre ich der Trainer und er der Boxer, der gleich in den Ring steigt. Ich frage scherzhaft, ob ich ihn noch etwa pushen soll. Wie das unter "Freundinnen" halt so ist. Im Vortragsraum dann noch ein letztes Einschwören. Eine Absprache wie und als was ich ihn vorstelle ist nicht nötig. Stattdessen überreiche ich ihm den Schlüssel für den Raum, da ich vermutlich nicht ganz bis zum Schluss bleiben werde.

Wenige Augenblicke später beginne ich aus dem Stehgreif mit meiner Rede (irgendwie muss ich doch noch auf die Bühne). Ich produziere wohlformulierte Sätze und mache das richtig gut. Ich baue einen Spannungsbogen auf, um dann die "Torte" von Arzt zu präsentieren. Als ich ihn vorstelle, sehen wir uns tief in die Augen. Hach, ich fühl mich toll. Mit einer Freundin wäre das nicht ganz so erotisch. Er bedankt sich für die einleitenden Worte und hält einen guten Vortrag. Er verwendet mittlerweile mehr Bilder (hat er von mir abgeguckt) und schöne Metaphern (und ganz ohne meine Hilfe). Und die Patientinnen trauen sich zwischenzufragen. Wenn er auf Fragen eingeht, ist er richtig gut. Die Patientinnen sind begeistert. Er erklärt´s medizinisch, aber so dass sie es verstehen. Am Ende kommt nochmal mein Part und ich überreiche ihm die Blumen mit den spontanen Worten: "Ohne Blumen kommst Du hier nicht weg. Vielen Dank." Bei der Überreichung berühren sich unsere Hände. Er hat eiskalte Finger. Also doch die Vortragsangst. Oder Vampir!

Liebe Grüße,
Eva

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