Dienstag, 15. Juli 2014

Mein persönlicher Glückskollege

Liebe Mathilda,

mit Flo sitze ich heute in der Besprechung als unsere Sekretärin Kaffee einschenkt. Flo bekommt zuerst eingegossen, da er ihrer Meinung nach den größten Kaffeedurst hat. Aufgelockerte Stimmung, so dass ich einhake und zu ihm sage: "Ja, für Deinen Kaffeedurst bist Du ja bekannt." Er schaut unsicher fragend zu mir: "Wirklich?" und fragt sich selbst welches Fremdbild von ihm in der Klinik existiert. Ich freue mich, dass ich ihn verunsichert habe, und löse dann meine Bemerkung mit einem Kichern auf. Er kichert mit. Währenddessen schenkt die Sekretärin weiter Kaffee ein. Flo befindet, dass in meine Tasse zu wenig Kaffee gekommen ist, und ordert welchen nach: "Frau Cormann braucht noch einen Schluck." Ich kommentiere das mit: "Ja, Frau Cormann, die auch für ihren Kaffeedurst bekannt ist." Und dann nimmt er die Milchtüte und gießt mir im natürlich optimalen Verhältnis die Milch dazu. Er weiß das. Ich muss nix sagen. Auch mal angenehm. Er schenkt auch Oberlippe Milch ein. Beide Herren siezen sich weiterhin hartnäckig und zuviel Milch bekommt Oberlippe keinesfalls ab. Bei einer neuen Ärztin wäre ihm das nicht passiert. Aber das wussten wir ja eigentlich von Flo. Dr. Radio bekommt auf Nachfrage auch Milch eingegossen. Mal will sie und mal will sie nicht, aber heute eben will sie. "Jeder so wie er es braucht." sagt Flo dazu und führt die lockere Stimmung weiter. Dr. Radio, ihres Zeichens radiologisches und altjungferliches Urgestein, fällt beim Kichern fast vom Stuhl. Das übersteigt wohl die erotischen Reize der gesamten Woche, wenn Flo ihr so etwas erwidert. Und so mache ich selbst aus einer Runde des Kaffee- und Milcheinschenkens eine detailierte Beschreibung. Ich freue mich einfach, wenn es lustig zugeht.
Zwischen Flo und mir funktioniert es heute einfach. Und das liegt wohl an meiner Lockerheit. Er reagiert größtenteils und wird nicht selber aktiv. Er macht in der Besprechung einen Vorschlag für ein neues Projekt, bei dem er sich mit mir zusammensetzen will. Und ich überlege ernsthaft, ob ich ihm ein gemeinsames Patienten-Forum vorschlage. Naja, man rückt gerade mal wieder näher zusammen, um dann, wenn es gefährlich werden könnte, wieder voreinander zurückzuweichen. Kenn ich ja alles. In der Besprechung geht es um das Schreiben der diktierten Briefe, das hier gerade eine externe Firma übernommen hat. Flo findet das Ergebnis sehr passabel, es würden qualitativ hochwertige Briefe dabei herauskommen. Dr. Radio schaltet sich ein: "Außer was die Kommas betrifft." Flo - unser Ober-Legastheniker - darüber amüsiert: "Das merke ich nicht, denn ich weiß selber nicht, wo sie hinkommen." "Geht mir auch so." stimmt Oberlippe mit ein und alle lachen. Na wunderbar, haben die beiden also eine Gemeinsamkeit gefunden. Und wenn es nur Rechtschreibfehler sind.
Nach der Besprechung wollen Flo und ich zusammen auf die Station gehen. Wir warten auf den Chef, so dass Zeit für eine private Unterhaltung bleibt. Er fragt mich wie mein Kurzurlaub war. Ich berichte ihm von der stürmischen See und der Sauna. Er fragt, ob wir gleich von der Sauna ins Meer stürzen konnten. Ich antworte ihm amüsiert, dass das Meer ungefähr 800m entfernt war. Selbst Flo befindet, dass das zu weit für ein Tauchbad ist. Und natürlich stelle ich ihn mir dazu nackt am Strand flitzend vor. Ohne seine Frau. Keine Ahnung wo sie ist. In meiner Vorstellung jedenfalls kommt sie nicht vor. Dann kommt der Chef dazu und fegt meine Fantasie hinfort. 
Während des Übergangs auf die Station diskutieren wir übers Glück. Herrlich. Flo ist informiert über den Glücks-Index und die Verteilung innerhalb Europas und Deutschlands. Er scheint sich wirklich informiert zu haben. Wird doch nicht auf mein Anraten hin Hirschhausen gelesen haben? Egal weswegen, er scheint sehr interessiert. Ich gebe noch den Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen zum besten, den Hirschhausen mal erwähnte. Die Ostdeutschen, die Potential zum Glücklichwerden hatten, seien aus dem Osten weggegangen. Flo beginnt "die Ostdeutschen" in Schutz zu nehmen und bezweifelt die Befragungspraktik. So tun wir jeder etwas für den Teil Deutschlands, aus dem wir nicht kommen. Wiedervereinigung im Treppenhaus einer Klinik! Es ist ein tolles Gespräch. O und ich werfen uns Fakten und Ansichten zum Thema Glück an den Kopf. Der Chef guckt zu. Als wir fast angekommen sind, versperrt er den weiteren Weg die Treppe hinauf und bringt unsere kleine Gruppe zum Stehen bis wir zumindest das Wichtigste zu Ende diskutiert haben. Ich - Wir haben tollen Blickkontakt. Ich könnte ihn knuddeln. Auch mit Bart. Und mehr auch nicht. Keine Schmetterlinge, keine kognitiven Aussetzer. Einfach eine sehr flüssige, interessierte, spannende Unterhaltung, die Freude macht. Wenn er schon nicht mein Liebhaber sein kann, kann er dann nicht mein persönlicher Glückskollege sein?
 
Liebe Grüße von Eva

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