Dienstag, 30. April 2013

Beziehungsdenken

Liebe Mathilda,

ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell an meine Grenzen komme. Ist es so schwer, auf Distanz zu gehen? Körperlicher und seelischer Abstand zu Dr. Florian A. Mollis ist offensichtlich nur zu erreichen, indem ich mich in meinem Büro einschließe. Was soll ich bloß machen mit einem Typen, in den ich verliebt bin, der aber keine Nägel mit Köpfen machen will, dafür aber mit mir Mittagessen geht? Wer hier nicht Hoffnung schöpft, ist depressiv. Okay, vom gemeinsamen Mittagessen zur gemeinsamen Affäre ist es auch nochmal eine Entwicklung, aber zumindest die Richtung ist die selbe und hat definitiv nichts mit Abstand halten und Rückzug zu tun. 

Beim gemeinsamen und von ihm initiierten Mittagessen mit ein paar anderen Leuten komme ich darauf zu sprechen, ob meine aktuelle Praktikantin bei einem ärztlichen Aufklärungsgespräch dabei sein kann. Flo und ich sitzen über Eck. Ich kann ihn schön ansehen (und anschmachten) und habe bereits beim ersten Bissen meines Mittagessens mein Vorhaben, auf Abstand zu gehen, über Bord geworfen. Flo kann mir solche fachlichen Anfragen nicht nur nicht abschlagen; er ist wie von allen meinen fachlichen Ideen ziemlich begeistert, stimmt zu und beginnt sofort nett-narzissenmäßig von seinen Erfahrungen in Aufklärungssituationen zu berichten. Alle (weiblichen) Anwesenden hängen an seinen Lippen. Fällt also gar nicht auf, wenn ich das auch tue. Naja, was hier abgeht ist schon der Narzißt, der sich in der Aufmerksamkeit der anderen sonnt, so dass kaum noch Platz für etwas anderes ist. Und er verrät einmal mehr seine persönliche Präferenz im Leben: Miteinander in Kontakt kommen und aufeinander reagieren. Echt scheiße bei einem so sympathischen, gutaussehenden Typ! Es sei doch immer soooo spannend wie der andere reagiere, um dann wieder darauf zu reagieren. Er meint dabei vordergründig Klientengespräche, aber ich habe diese Aussage von ihm schon einmal gehört. Ich habe sie ihm sogar mal vorgehalten als ich ihm gestanden hatte, dass ich mich in ihn verliebt habe. Ich sagte ihm damals, dass er doch auf spannende Kommunikationssituationen stehe und er nun eine habe. Daran muss ich denken als er am Mittagstisch sein filmreifes Plädoyer für menschliche Begegnung und Kommunikation hält. Ich weiß nicht, ob er dabei auch an "unsere" Begegnung denkt. Manchmal hat er ja ein Gedächtnis wie ein Elefant und es kommt mir noch mehrmals während des Gespräches so vor als ob er mir zwischen den Zeilen etwas sagen will. Keine Ahnung, kann auch Beziehungsdenken und beginnender Wahn sein. Naja, und als er sagt, dass alle Klienten ganz unterschiedlich reagieren, manche so und manche so, ergänze ich ihn und nehme damit genauso zwischen den Zeilen bezug auf sein Verhalten. Ich sage "... und manche gar nicht oder zumindest glauben Sie, dass Sie gar nicht reagieren..." Ich meine damit ihn selber, der vermutlich glaubt, mir neutral zu begegnen und dabei nicht merkt, dass er doch auf mich reagiert. Zum Abschluss sagt er, dass er es immer wieder erstaunlich findet wie viel Vertrauen ihm entgegengebracht würde. Er wisse gar nicht woher das komme und wisse auch nicht, womit er das verdient habe. Und dabei sieht er (ausschließlich) mich so an, so irgendwie mit einem entschuldigenden Blick. Was soll das denn? Versöhnungsblick oder was? Oder einfach nur so dahingesagt? Ich bin ja eher für klare Kommunikation, denn alles andere lässt sich einfach schwer einschätzen. Natürlich wäre es schön, wenn er mich meinte, aber es könnte auch ganz allgemein gemeint sein. Ja, und weil ich das nicht auseinanderhalten kann, sage ich dann bis zum Ende des Mittagessens lieber gar nichts mehr dazu. Vielleicht sollte ich ihn das nächstes Mal einfach fragen wie er das meint? Ja, fragen war schon immer gut. Nur nicht so stumm sein! Was mich wieder vor die große Frage stellt: Stumm sein und Abstand halten oder Fragen stellen und Kontakt aufnehmen.

Ich bin keinen Schritt weiter und diesem extrem sympathischen, gutaussehenden Arsch scheint viel daran zu liegen, dass ich in dieser Position verharre. Warum warum warum komme ich bloß nicht von ihm los? 

Liebe Grüße von Eva

Montag, 29. April 2013

Neustart

Liebe Mathilda,

das war er also, mein erster Arbeitstag. Mein Neustart des Programms "Flo und ich" mit dem hinzugekommenen Modul "Abstand halten". Vorerst eine Demoversion. Ob das Programm läuft und ich dann die Vollversion kaufen werde, kann ich nach dem einen Tag noch nicht sagen. Hier kommt mein heutiger Tag mit Flo:

Ich fahre mit einiger Aufregung in den Knien auf die Arbeit. Ich versuche mir immer wieder mein Vorhaben einzutrichtern und höre Coldplay. Ich bin froh, dass er mir noch nicht auf dem Weg zur Arbeit begegnet. Oder ich versuche mich zu überzeugen, dass ich darüber froh sein sollte. Jede Minute, in der ich ihm nicht begegne, ist von Vorteil. Schließlich habe ich auch die letzten beiden Wochen gut ohne ihn überstanden. Und so würde die Sehnsucht auch weiterhin abnehmen, wenn ich ihn möglichst lange nicht wiedersehe. Doch natürlich ist eine Begegnung, wenn man in einem so kleinen Team zusammenarbeitet, nicht zu vermeiden. Und zugegebenermaßen freue ich mich auch irgendwie darauf. Ich sehe gut und erholt aus, habe schließlich der schottischen Wildnis getrotzt und Nessi besiegt. Ich fühle mich selbstbewusst als ich auf die Station komme und Flo am Stationstresen stehen sehe. Seine Silhouette löst leichte Bestürzung in mir aus, denn es ist der altbekannte Ruck, der mich durchzieht. Egal, ich kann ja jetzt nicht umkehren. Ich gehe weiter auf ihn zu. Als er mein Erscheinen registriert, nehme ich nur wahr wie er mich so von oben nach unten und wieder nach oben abscannt (Ich habe seinen Blick fast auf meinem Körper gespürt), den Mund aufmacht und irgendetwas dazu (Wozu? Zu meinem Aussehen? Zu meinem Erscheinen nach dem Urlaub?) sagen will… und es nicht herausbekommt. Ich freue mich innerlich wie Sau über seine offentsichtliche Verunsicherung und weiß gleichzeitig, dass das nicht ins Modul "Abstand halten" passt. 3 Sekunden später hat zumindest Flo sich wieder in der Gewalt und verwickelt mich in ein Fachgespräch. Netter Ablenkungsversuch, den ich wohlerzogen mitmache. Er updatet mich (lieber wäre es mir ohne "up") über unsere aktuellen Klienten auf der Station. Ich kann ihm folgen, habe aber parallel einen anderen Denkprozeß laufen. Ich habe bemerkt, dass er offensichtlich auf mich reagiert (hihi). Ich denke ´So cool wie Du tust bist Du nicht. Und wenn Du mich schon nicht willst / kannst / möchtest, dann sollst Du wenigstens unter Deiner eigenen Zurückhaltung leiden.` Ich merke: Das ist Abstand halten für Fortgeschrittene. Ich muss erstmal die Grundlagen lernen, darf mich nicht gleich wieder so von ihm umhauen lassen. Wir kommen uns bei dem Fachgespräch gleich wieder zu nah. Als mir das nach dem ersten Genuß dieser Begegnung bewusst wird, entferne ich mich räumlich etwas von Flo. Innerlich etwas durchgerüttelt beende ich diese Begegnung als das Fachliche geklärt scheint. Das war genug. Ich versuche, ihm für den Rest des Tages aus dem Weg zu gehen. Dafür ist der erste Arbeitstag gut geeignet, denn es haben sich jede Menge Klientenanmeldungen, mails und Papiere angehäuft, durch die ich mich erstmal durcharbeiten muss. Und dann ist es geschafft: Ersten Tag ohne umzufallen überstanden. Insgesamt wirkt das nicht wirklich wie Abstand halten, sondern eher wie mich vor ihm in Sicherheit bringen.

Grüße auf der Flucht,
Eva

Sonntag, 28. April 2013

Der Sonntagabend-Ermutigungs-Post: Every day is a new beginning...

Liebe Mathilda,

der "richtige" Abstand ist immer etwas Persönliches, Temporäres und stimmt leider, aber auch spannenderweise zwischen den Menschen nicht immer überein.




Morgen gehts in die Praxis. Arbeitsbeginn 7.00 Uhr.

Liebe Grüße,
Eva

Samstag, 27. April 2013

Don´t let it break your heart

Liebe Mathilda,



um in meiner Wankelmütigkeit etwas zu tun, habe ich mich nochmal damit beschäftigt wie ich Flo eigentlich verlassen hatte als ich in meinen Urlaub ging (Ich verspreche mir wohl irgendeinen Habituationseffekt davon.). Ich war ganz selbstbewusst, ganz bei mir und ganz klar. Ich hatte ihm doch die mail wegen der Demenzklientin geschrieben. Du erkanntest diese "Mutterverantwortungsgefühle" in meinen Worten und ich musste schmunzeln. Dein Kommentar dazu hilft mir bei der Bekämpfung meiner momentanen Unsicherheit. Das trifft es sehr gut und ist einfach in jeder Beziehung absolut abtörnend. Will nicht seine Mami sein! Bin ich schon von meinem eigenen Kind. Also, weg mit den "Mutterverantwortungsgefühlen" gegenüber Flo. Das einzige, wofür ich verantwortlicht bin, bin ich selbst (und mein Kind). Und deswegen kümmere ich mich in meinen letzten Urlaubstagen (es ist doch jedes Mal schlimm, wenn es endet) sehr verantwortlich um neue Musik für mich (und mein Kind). Offensichtlich bricht gerade eine Coldplay-Phase an.


"When your tired of waiting, 
And you just find you never had a start, 
C'mon baby, dont let it break your heart.

Well she said, 
when you're tired of aiming your arrows, 
still you never hit the mark.
Ohhh, even when you're ready, 
theres shadows, still we never gone apart.
C'mon baby, dont let it break your heart."


Ja, und damit es mir nicht (mehr) das Herz bricht, muss ich Abstand zu ihm halten. Meinen Willen zum Abstandhalten muss ich ihm konsequent und bestimmt begreiflich machen. Viellicht so: "Bitte 3 Meter Abstand halten!" oder "Bitte Abstand halten. So gut kennen wir uns auch nicht." Wenn ich weiter dort arbeiten möchte, wo ich arbeite, und meine Arbeit gut machen möchte, ist ein Mindestmaß an Kommunikation mit Flo nötig. Es ist nötig, dass wir uns zeitnah über Klientengeschichten, -behandlungen, -therapieergebnisse austauschen. Es ist nicht nötig, dass wir flirten und uns sagen wir mal näher als einen halben Meter (??? Wie groß ist bloß der richtige Abstand???) kommen. Etwas für Fortgeschrittene: Abstandhalten ohne das die Arbeitsbeziehung darunter leidet. Ein Ding der Unmöglichkeit? Oder einfach nur Übungssache?
Hier nochmal ein Bild, das die unterschiedlichen Individualdistanzen verdeutlicht. Wenn ich mir das so ansehe, war Flo auf jeden Fall in meiner Intimzone. Er mag eine andere Individualdistanz haben, so nah wie er mir manchmal kommt. Und da sollte ich ihn möglichst nicht mehr hinlassen. Meine Entscheidung, mein Willen, mein gebrochenes Herz!







Verantwortliche Grüße,
Eva

Donnerstag, 25. April 2013

Wieder da

Liebste Mathilda,




ich bin wieder da! Heute Mittag gelandet und hier ist es so schön warm.
Ich bin ganz aufgetankt von dem ganzen Grün, wass es ja leider nur durch den vielen Regen gibt. Wir haben viel gesehen, viel zusammen erlebt, sind viel naß geworden und wieder getrocknet sowohl wetter- als auch beziehungstechnisch. Ich habe wenig geschrieben und wenig Musik gehört, und fühl mich jetzt ein bisschen "neu". Neue Musik muss her usw. 

Coldplay treffen mit ihrem "Every teardrop is a waterfall" ziemlich ins Schwarze (Inga, dieser Post ist für dich!). Es ist positiv und lebenslustig und zum lauten Mitsingen natürlich total geeignet:



"I feel my heart start beating to my favourite song
And all the kids they dance, all the kids all night
Until Monday morning feels another life
I turn the music up
I'm on a roll this time
And heaven is in sight"



Montagmorgen? Ein anderes Leben? Was meint ihr? Werde ich den Absprung schaffen? Ich glaub ich brauch da ein bisschen Ermutigung. Es ist ja nicht so, dass ich mich vor der nächsten Begegnung mit Flo fürchte, im Gegenteil. Aber ich weiß, dass das nicht gut für mich ist. Mein Gott, manchmal komme ich mir wirklich wie Bella im ersten Twilight-Film vor: Ich sollte nicht in seiner Nähe sein wollen. In Schottland war es irgendwie einfacher zu beschließen, Abstand zu halten. Und kaum bin ich wieder im gleichen Land wie Flo werde ich wankelmütig. 


Unsichere Grüße von Eva

Mittwoch, 24. April 2013

North Berwick: Keep calm and stay away from him.

Liebe Mathilda,


wir haben Sonne! Meine Klamotten sind trocken und ich friere erstmals nicht in diesem Urlaub. Wir haben schöne und beeindruckende Erlebnisse im Gepäck. Ich bin gedanklich sehr weit weg von der Arbeit, von Flo. Klar fällt mir schon manchmal ein Gedanke an ihn ein, aber das ist weder besonders aufregend, noch sehnsüchtig schmachtend. 

Aber wie wird das alles weitergehen? Das ist unser letzter Abend auf der Insel. Nächste Woche gehe ich wieder auf die Arbeit und werde mich Flo stellen müssen. Ich habe vor schön Abstand zu ihm zu halten und will versuchen möglichst normal mit ihm umzugehen. Was das heißt, muss ich wohl noch definieren. Alles andere wird nichts bringen. Mehr geht nicht. Keep calm and stay away from him ist die einzig logische Konsequenz aus den letzen neun Monaten. Das ist zwar sehr schade, aber ich habe die Gewissheit, sehr mutig gewesen zu sein und etwas Unruhe in das Leben eines mir sehr wichtigen Menschen gebracht zu haben. 

Blau und Rau


Blau und Rau 2


Impressionen
Impressionen 2



Irgendwelche Tierchen übersähen den Strand mit Herzwürstchen



Mehr Moos!


Grüße von der Insel,
Eva


Dienstag, 23. April 2013

Übern Berg: Keep calm and move on

Liebe Mathilda,

wir verließen heute unser Quartier in Pitlochry und damit auch Angus, den Brokeback-Mountain-Mann. Und vielleicht auch wieder ein bisschen mehr von Flo und meinen Gefühlen für ihn. Ich denke die letzten Tage kaum an ihn. Die Entfernung zu ihm tut mir sicher gut. Doch wie nun weiter? 

Kai macht es mir vor: Als wir auf einen Berg steigen, wiederholt er mantramäßig „Ich will übern Berg“. Damit geht es, funktioniert es. Der Aufstieg ist steil, es wird oben sehr windig. Der Boden ist schön weich durch die vielen Gräser und Heidekrautbüschel. Wir schaffen es alle drei. Wenn das kein Ausblick ist. Und ich meine nicht den vom Berg. Der Weg nach North Berwick, unserer letzten Station vor dem Rückflug, ist entspannt und lustig. Wir fühlen uns wie Helden, die die Wildnis überstanden haben. Macht wahrscheinlich auch der Wiskey, den wir in der letzten Distillery eingekauft haben.

Moving the right direction
Ein Distillerybesuch muss sein...
...und hat seine Folgen.


All pretty things in life are colorful


Liebe Grüße,
Eva










Sonntag, 21. April 2013

Der Sonntagabend-Ermutigungs-Post: Keep calm and eat dessert first



Liebe Mathilda,

Regen! Überall Regen! Irgendeinen Haken muss das ganze Grün ja haben. Ich könnte jetzt sofort wieder versuchen Parallelen zu meiner unglücklichen Verliebtheit zu finden (Auch der so perfekte Dr. Flo wird einen Haken haben), habe aber dazu nicht die geringste Lust. Und das ist ja auch nicht der Sinn dieses allsonntäglichen Ermutigungs-posts. Lass mich also versuchen, schnell die Kurve zu etwas Aufbauendem zu finden. Der Regen führte uns geradewegs in ein Café, in dem wir erstens hervorragend trocknen konnten und zweitens Kontakt mit Scones, verdammt leckeren schottischen Brötchen, hatten, in die ich mich spontan verliebte. Wenn doch so manches doof ist, genieße das was gerade schön ist. Oder anders:
 



Genießerische Grüße,
Eva





Samstag, 20. April 2013

A love that will never grow old: Keep calm and let it go.




Liebe Mathilda,

Angus, der ehemalige Soldat und unser Bed-and-Breakfast-Man gestaltet alles sehr liebevoll, scheint aber ein bißchen sozialphobisch zu sein. Er redet wenig, nur das Nötigste. Andererseits wirken seine Gesten und Taten sehr zugewandt, so als könnte er sich einfach verbal schlecht ausdrücken. Er kreiert uns ein echt liebevolles, schottisches Frühstück in seinem wohnzimmermäßigen Eßbereich für Gäste. Er zeigt uns seine Hühner und fährt uns zu seinen Kühen. Angus erinnert mich vielleicht auch wegen dem ähnlichen Klang seines Namens an Ennis del Mar, den Hauptheld aus Brokeback Mountain. Was habe ich geheult bei diesem Film. Wahrscheinlich ist es auch das landwirtschaftliche Umfeld und die Berge. Und meine Stimmung, dass eine Liebe, die mir passiert ist, keine Zukunft hat.
Und vermutlich bewahrt Angus irgendwo in seinem schrulligen Haus ein Erinnerungsstück an eine verlorene Liebe auf, die ihn ein bisschen verändert hat. Wie wahrscheinlich wir alle. Wie Ennis del Mar, der noch Jahre nach Jack´s Tod dessen Hemd auf einem Bügel unter seinem eigenen Hemd aufbewahrt. Boah, die Szene hat mich echt fertig gemacht. Dies führt mich zu der Überlegung, ob ich mir durch den Blog nicht etwa ein eigenes Erinnerungsstück, einen Erinnerungskult an meine Gefühle für Flo kreiere. Schließlich habe ich kein Hemd oder sonst irgendwas von ihm. Wobei, was ist mit den Zetteln und post-it-Notizen, die er mir geschrieben hat? Und, oh ja, ich erinnere mich wie ich versuchte einen 5-Euro-Schein, den er mir gab, aufzubewahren. Und dann die Frage: Ist es nötig Erinnerungsstücke zu vernichten, um jemanden gehen zu lassen? Ich weiß ja trotzdem, das er da war. Ich schreibe solange ich denken kann. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, meine Tagebücher zu vernichten. Sie machen viel zu viel von mir selbst aus. Wie wahrscheinlich alle unsere Erinnerungen uns selbst ausmachen. Erinnerungskult hin oder her - mein Blog ist wahrscheinlich beides: Verarbeitung und Erinnerung. Und deswegen einfach notwendig. Keep calm and let it go.

Das Wetter klärt sich auf (wie meine Gedanken). Wir wandern um Seen und über riesige Gebiete, die mit überdimensionalem Heidekraut bedeckt sind. Kai ist zufrieden, wenn er Steine ins Wasser werfen kann. Ansonsten läuft er unheimlich viel für einen so kleinen Jungen. Dann und wann lässt er sich überreden, eine Weile im Wanderrucksack zu reisen, was selbst für Tino eine schwere Aufgabe ist. Hier einige Impressionen:

Angus´ lovely cows
Gras is always greener on the other side


Every teardrop is a waterfall
Road to nowhere


Liebe Grüße,
Eva








Freitag, 19. April 2013

Mauern und Gräber: Keep calm and be independent


Liebe Mathilda,

auf dem Weg nach Pitlochry, wo wir in einem schönen Bed-and-Breakfast eines ehemaligen schottischen Soldaten untergekommen sind, entdeckten wir Dunfirmline, die Geburtsstätte Schottlands. Hier liegen die sterblichen Überreste von Robert the Bruce, der als Kämpfer für die Unabhängigkeit Schottlands hochstilisiert wird und dem einen oder anderen aus „Braveheart“ bekannt ist. Lustigerweise orientierten sich die Erfinder Batmans an Robert the Bruce und ließen seinen Geist in Bruce Wayne weiterleben. Das gefällt Konstantin, der eine Affinität für Superhelden hat, ebenso gut wie mir und Kai. Irgendwo sind wir doch alle Widerstandskämpfer und Rebellen. 

Befestigungsmauer in Fort William
In der Kirche, in der die Gebeine des Robert the Bruce liegen, schlüpft Kai unter der Absperrung durch und klettert die halbe Treppe zur Kanzel hoch bis ich ihn einfangen kann. Ist das Blasphemie? Oder eher der Erkundungs- und Unabhängigkeitsdrang eines 2 ½ Jährigen? Die Welt mit Kinderaugen sehen: Für ihn muss die Kanzel wie eine riesengroße Rutsche aussehen. Ich bin amüsiert und die anwesenden Einheimischen haben offensichtlich genug schwarzen Humor, um Kai´s Aktion zu übersehen. Sehr sympathisch und rauh sind die Leute hier. Wir wandern, picknicken und sind mittlerweile wie ein paar Camper ausgerüstet. Es tut so gut, einfach nur in der Natur unterwegs zu sein, auf einen Berg zu steigen oder auf einen See zu starren. Schweigend und redend mit den mir nahesten Menschen: Kai und Tino. Ich führe ja bekanntlich meinen eigenen Unabhängigkeitskrieg. Und ich merke von Tag zu Tag, dass es eine Emanzipation von Flo sein muss, sein soll. Er ist in diesem Spiel zu viel. „Keep calm and become independent“.
Mauern und ...

Gräber allerorts.
Unsere Überlandfahrt führte uns durch Fort William, einer ehemaligen Befestigungsanlage. Mauern und Gräber begegnen uns an allen Ecken und Enden. Ist solch ein Kult nötig? Die bemoosten Mauern, die wegen des scharfen Windes um fast jedes Feld gestapelt sind, wirken fast sympathisch. Sie fügen sich in die Landschaft ein und erscheinen nicht so unumstößlich. Und irgendwie haben sie in ihrem verwitterten Zustand etwas Morbides, dass überwunden werden kann. Also, überwinden wir die Mauern in unseren Köpfen und schauen, was dahinter liegt.

Ganz unabhängige Grüße,
Eva