In
meinem Feldexperiment hat seit gestern eine neue Versuchsrunde begonnen:
Die
Protagonisten, Eva (35) und Flo (39), werden in verschiedene Situationen
geworfen. Ihre Reaktionen werden jeweils detailiert ausgewertet.
Heute:
Mit Flo "allein" auf einer Informationsveranstaltung mit
schätzungsweise 40 Klienten. Ich bin die Moderatorin, er ist der Referent.
Sein Verhalten: Er ist peinlich darauf bedacht, dass wir nicht unter uns sind. Ich
mache einen kleinen Vorstoß und frage ihn an unseren lockeren E-Mail
Kontakt erinnernd wie ich ihn vorstellen soll. Er funkelt mich für eine
Millisekunde an und lässt kurzzeitig den Flo gucken, in den ich mich
verguckt habe. Er brubbelt als sei ihm seine eigene Stellung
peinlich in seinen Dreitagebart „als leitender Arzt oder so“. Aber nein,
eigentlich habe ich mich in den Flo verliebt, der mich angesehen hat. Das geht
im Moment gar nicht. Von meiner Seite schon. Von seiner Seite nicht. Und dann teilt
er mir sicherheitshalber vor seinem Vortrag noch mit, dass er danach
ganz schnell weg ins Theater muss. Ganz klar, der Typ hat Schiss, mit mir
alleine zu sein. Was hat er denn gedacht? Dass ich mit einem
Candle-Light-Dinner auf ihn warte? Über ihn herfalle? Das wirkt alles schon
sehr wie „sich in Sicherheit bringen“. Er scheint mir aus dem Weg zu gehen
(oder einfach nur gestresst zu sein?). Er probiert noch nicht mal die Vortragstechnik
aus, um dann am Anfang seines Vortrages aus allen Wolken zu fallen als ihm
auffällt, dass seine Folien sich nicht weiterblättern lassen. Klarer Fall von
"Vergessen-den- Präsentationsmodus-zu-starten" . Und dann
ruft er doch tatsächlich nach "Ewa?"! Wer bitte soll das denn sein?
Ich entschließe mich für einen Sekundenbruchteil nicht auf diese Verunstaltung
meines Namen zu reagieren. Ich glaube ich höre nicht richtig! Und ich bin echt
bedient. Hat er getrunken? Merkt sich unter Stress, den dieser Vortrag
offensichtlich für ihn bedeutet, nicht mal meinen Namen. Was ist nun mit dem
ganzen Einfühlungsvermögen? Doch in der nächsten Sekunde, in der ich bereits
wieder milder gestimmt bin, eile ich ihm zu Hilfe und löse sein Problem mit
"F5".
Was ist bloß mit Flo los? Und warum interessiert mich das noch
immer so? Darüber Hinwegsein geht anders. Manchmal kommt es mir so vor als sei
er vor mir auf der Flucht. Ja, wenn ihr das lest, werdet ihr das vermutlich
auch denken. Ich denke das auch immer mehr, wenn ich das hier so lese. Passend
dazu heute meine schmalztropfende, akustische Verlinkung:
„You can run, you can hide
But you can't escape my love“
But you can't escape my love“
Enrique Eglesias
Bloß nicht flirten, was ja aus seiner Sicht zugegebenermaßen sehr
korrekt ist, mir aber natürlich nicht gefällt. Das Schlimme ist, dass er ja bei
mancher Begegnung zunächst mit dem Flirten anfängt. Das ist wie
Trauben-Nuss-Schokolade, die sich kurz vorm Reinbeißen einfach in Luft auflöst.
Gestern zum Beispiel als wir uns wiedersahen, flirtete er mich mit einer
lockeren Bemerkung über die Feiertage kurz an. Da war es für einen
verschwindenden Moment wie früher. Wenn ich aber darauf einsteige, ist er
sofort weg oder in Eile oder geht aus dem Kontakt. Fluchtmöglichkeiten gibt es
viele. So als hätte er mich oder sich oder uns beide dabei ertappt und
muss das Flirten nun sofort unterbrechen. Es war schon eine große Erleichterung ihn nach so langer Zeit wiederzusehen.
Wie frische Luft atmen in einem stickigen Raum, oder erwachen aus einem
schlechten Traum. Fast so als würde es schon reichen, ihn einfach nur zu sehen.
Und dann reicht das wieder gar nicht, sondern es macht mich richtig ärgerlich.
Auf die Nerven geht mir auch, dass er ständig von seiner Frau
spricht. Nicht zu mir wohlgemerkt, aber zu den anderen und wenn ich anwesend
bin. Kann sein, dass ich das überbewerte, aber wer will wirklich ihr
selbstgebackenes Brot essen, was er mir unter die Nase hält? Hat was von: „Nun
sieh es endlich ein, dass aus uns nichts wird, und vertrag dich mit Laura.“ Ich
gebe zu, ich habe ein Problem mit diesem Brot. Und noch ein viel größeres mit
der dazugehörigen Frau.
Ich habe mich jedenfalls auf diese gemeinsame Veranstaltung
gefreut, etwas mit ihm zusammen zu machen, als Team. Das hat doch mal so gut
funktioniert! Natürlich freute ich mich auch darauf, endlich mal einen Grund zu
haben, ihn die ganze Zeit ungeniert anzustarren. Was ich dann auch tat. Fazit:
Er ist wirklich nicht der beste Vortragende. Seine Folien waren zu voll gepackt
und einige auch fehlerhaft. Er klebte am Text. Vor diesem Hintergrund ist mir
klar, warum er meine Vortragsweise so lobt. Aber als er später Fragen
beantwortete, wurde es um Längen besser. Seine Stärke liegt einfach darin, mit
den Menschen in Kontakt zu kommen und nicht im Vortragen. Ich hatte also schön
Zeit, ihn mir während des Vortrages von allen Seiten zu betrachten. Mir alle
möglichen Gedanken zu ihm zu machen. Ich frage mich, sieht er nun wirklich so
gut aus oder sieht er eigentlich ganz normal aus? Was mich wirklich abtörnt,
ist dieser Ansatz von ärztlicher Arroganz, die ich mal so froh war, nicht bei
ihm gefunden zu haben. Ist am Ende doch alles aufgesetzt gewesen? Ich zweifle
ziemlich an meinem eigenen Bild von ihm. Oder bringt er sich am Ende nur selbst
in Sicherheit? Das ist natürlich eine schöne Fantasie, die eine
Wahrscheinlichkeit von eins zu 1 Million hat. Auf jeden Fall verhält er sich
nicht normal. Nicht so als sei ich ihm absolut egal. Gerade mal, wenn er mir
wie heute eine Klientin vorstellt, kann er mir in die Augen schauen. Habe ich
es am Ende durch meine Offenheit kaputtgemacht? Darüber nachzudenken ist
sinnlos, denn ich war bereits offen. Um mal bei der Wege-Metapher zu bleiben…
„Es gibt keinen erkennbaren Weg vor uns,
sondern
nur hinter uns.“
sagt Waldemar Bonsels – der Erfinder der Biene Maja. Da ich
also den vor mir liegenden Weg im Gegensatz zum bereits gegangenen selbst gestalten
kann, bin ich fast geneigt nochmals das Gespräch zu ihm zu suchen, um
wieder einen normalen Umgang mit ihm zu finden. So geht das ja nicht weiter. Vielleicht
geht er ja „normal“ mit mir um, nur mir gefällt das nicht. Aber er war doch mal
anders? Ich muss darüber nachdenken wie mein Weg aussehen könnte. Ich muss
darüber nachdenken, was ich ihm in einem erneuten Gespräch sagen könnte.
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