Rein äußerlich tue ich meine Arbeit und das, was allgemein erwartet wird. Was wird erwartet? Dass ich diese Veranstaltung vorbereite. Die Veranstaltung auf der ER referiert. Deswegen waren einige Absprachen zwischen ihm und mir notwendig. Absprachen sind aktuell schwierig, weil wir wie zwei verängstigte Kaninchen umeinander herumschleichen. Warum aber diese notwendigen Absprachen weiter hinausschieben? Durchs Aufschieben wird es nicht besser. Nachdem mir das klar war, wählte ich gestern den mail-Weg, um in dieser Angelegenheit Kontakt zu ihm aufzunehmen. Ihr wisst ja: Schreiben ist für mich leichter als sprechen. Er sagte ja selbst, ich solle ihm ruhig unverblümt mails schreiben, wenn das für mich leichter sei. Nun wollte ich aber wegen der am Dienstag erörterten Gründe nicht nur so sachlich bleiben. Immerhin habe ich ihm letzte Woche meine Gefühle gestanden. Und jetzt so ganz sachlich bleiben, empfand ich als nicht angemessen? Wozu den sachlich bleiben? In mails, die nur uns beide was angehen, muss ich die Rolle nicht weiterspielen. Außer ich überlege mir, wer die mails noch lesen könnte. Mit so einer geheimen Gefühlssache kann man schon paranoid werden.
Was tut man also in so einem Fall? Sich erstmal sowas von überhaupt nicht an seine Aussage "unverblümt mails schreiben" halten und ca. 1 Stunde an einer 4zeiligen Nachricht herumformulieren. Danach noch ca. 2 Stunden überlegen, ob man die mail auch wirklich so abschickt und sich schließlich in der einen Sekunde, in der man denkt, dass das nun auch nichts mehr schlimmer machen kann, auf "senden" klicken. Nur um sich in der selben Sekunde einen Strom- oder Datennetzausfall zu wünschen. Ich begrüßte ihn mit
"Lieber Florian, mal was Fachliches :-)..."
und dann, dass ich diesen Text für die Referentenliste geschrieben habe und ihn bitte, ihn sich anzusehen, ob das so in Ordnung ist.
"Vielen Dank und liebe Grüße, Eva"
Na, ihr werdet denken, da hat sie sich mit ihrer "unsachlichen" Äußerung in Form eines Smilies und einer kleinen, versteckten Ironie wohl ordentlich aus dem Fenster gelehnt. Mehr geht aktuell einfach nicht! Mit der Spannung, ob und was er darauf antwortet, verließ ich nach meinem Klick die Klinik. Warten ist jetzt einfach nicht zum Aushalten.
Und heute morgen als ich in die Klinik kam, die große Überraschung: Er hatte noch nicht auf meine mail geantwortet. Ich dachte "Ups, das ist ja sonst gar nicht so seine Art." Ich schob es auf den stressigen Arbeitstag. Immer schön selbstwertschonend. Alle anderen Interpretationen für die mail-losigkeit versuchte ich nicht zuzulassen. Ich musste schließlich arbeiten. Und dann war er auch einfach nicht da und ich bekam schon leichte Panik, ich würde gar keine Antwort bekommen, er redet nie wieder ein Wort mit mir und ich sehe ihn nie wieder. Jetzt wisst ihr, warum ich solche Interpretationen vermeide. Gegen 8 Uhr war ich gerade bei der Seelsorgerin, um mit ihr über eine Klientin zu sprechen, deren Büro auf dem gleichen Flur wie seines liegt. Ich will mich gerade von ihr verabschieden, da sehe ich ihn draußen vor dem Fenster vorbeilaufen. Ich registriere, dass er also gerade erst zur Arbeit kommt und mache mich gezielt auf den Weg über den Flur, um ihm zu begegnen. Leider habe ich seinen Weg unterschätzt und so begegnen wir uns erst ziemlich spät, nämlich genau vor seiner Tür. Man hätte es so interpretieren können, dass ich auf diesem Flur herumlungere, um ihn zu sehen. Das war nun wirklich nicht so, aber es sah garantiert so aus. Als Flo um die Ecke bog und mich sah, begrüßte er mich mit einem Lächeln. Ok, er lächelt, wenn wir uns allein begegnen. Er muss das nicht tun, muss keine Rolle spielen, denn wir sind allein. Wir sagten zeitgleich "Na?", was schon eine merkwürdige Begrüßung ist. Er fragte sofort "Was machst Du denn hier?" Schon klar, er denkt, dass ich hier auf ihn warte. Wir gingen immer noch aufeinander zu. Ich sagte ihm wie aus der Pistole geschossen "Ichwarbeiderseelsorgerin!" und lief dann fluchtartig und peinlich lächelnd an ihm vorbei. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihn allein zu sprechen, aber ich fühlte mich hochgradig unwohl in der Situation. Was für ein Durcheinander. Auf jeden Fall scheint er mir immer noch freundlich gesonnen zu sein. Warum auch nicht?
Ich sah ihn nur noch einmal kurz gegen 8.15 Uhr im Aufenthaltsraum sitzend. Es war kein Platz mehr frei. Deswegen zog ich mit meinem Kaffee von dannen. Für ihn muss es sicherlich so aussehen als wenn ich seine Nähe gerade nicht ertragen kann. Und dabei will ich nichts lieber als das. Vielleicht antwortete er dann auf meine mail, um mich ein bisschen aufzumuntern. Vielleicht hat er sich auch die ganze Nacht die Formulierung, eine schlagfertige Antwort überlegt. Oder kann er sich so etwas plötzlich ausdenken? Er schrieb:
"Liebe Ewa"
Noch immer verirrt sich ein "w" anstelle des "v" in meinen Namen. Dann erklärte er, dass es unlogisch sei, dass er als Facharzt große Erfahrungen hat, sondern er wollte den Facharzt eher in Kommas eingerahmt wissen. Soviel zum Fachlichen. Nun das zwischen den Zeilen. Ich hatte ja in meiner Formulierung der Referentenbeschreibung von "langjähriger" Erfahrung gesprochen. Der Text war rot markiert, weil ich ihn aus dem Dokument kopiert hatte, in dem alle noch nicht abgesegneten Texte so markiert sind. Er begann mit einem Smilie:
" :-) Und "langjährig" ist relativ und lässt mich eher das Hautkolorit deiner verwendeten Textfarbe annehmen.“
Boah! Was ist das denn? Hat er vor sich selber und seiner Kompetenz Angst? Fühlt er sich dadurch alt? Zu viel des Guten? Offensichtlich bringt ihn das in Verlegenheit, was mir sehr sympathisch ist. Er hatte mir schon mal die selbstzweiflerische Seite von sich gezeigt als er erzählte, dass er sich in der Probezeit hier nicht sicher fühlen würde. Mein Gefühl sagt mir, dass er an dieser mail doch erheblich herum formuliert hat. Auf jeden Fall ist er auf meine unsachliche Ebene mitgekommen.
Ich hatte sofort den Impuls zu antworten, wollte ihn aber ein bisschen zappeln lassen. Was sind das denn für Spielchen? So wartete ich noch ein ein halb Stunden und schrieb dann
„Lieber Florian,
o.k., ich übernehme es so. Und wenn es deine Gesichtsfarbe gefährdet, kann ich "langjährig" auch streichen oder ersetzen durch „fundiert“, „fortwährend“… Wenn dich das weniger erröten lässt? :-)
Liebe Grüße von Eva“
Er hatte in seiner mail auf die lieben Grüße verzichtet und viele Grüße daraus gemacht. Sonst waren es immer liebe Grüße. Er scheint schon etwas vorsichtig zu sein, aber er flirtet weiter (das ist doch Flirten oder?), obwohl wir das ja eigentlich lassen wollten.
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