Mittwoch, 28. November 2012

Everything and nothing - Aufbauarbeit nach Ground Zero

Die letzten beiden Tage waren wie ein einziges großes Gefühlsbad. Ich war auf der Flucht vor ihm, obwohl ich eigentlich bei ihm sein will. Zwei Tatsachen, die sich eigentlich nicht miteinander vereinbaren lassen. Und dementsprechend fühle ich mich auch. Ich dachte wieder mal, das könne nicht so weitergehen und nahm mir deshalb vor, ihn darauf anzusprechen. Das tat ich auch heute Morgen in der ersten Besprechung des Tages. Er saß neben mir. Nach dem offiziellen Teil der Besprechung wand ich mich zu ihm: 

"Hast Du nachher kurz Zeit?" 

Ich hielt den Blickkontakt, sah ihn für meine Begriffe ziemlich intensiv an, um möglichst frühzeitig zu erkennen wie er auf diese Frage reagieren würde. Er war sofort ganz bei mir und stimmte ohne die geringsten Einwände zu:

"Ja, klar."

So als sei das das Leichteste, Verständlichste und Normalste der Welt. Es war so einfach. Wie auf eine offene Tür zu rennen. Er macht es mir leicht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber er lässt kaum etwas von sich durchblicken. Langsam nervt es, dass ich so gar nichts von ihm erfahre. Aber warum auch? Er hat ja deutlich gemacht, dass er nicht so empfindet. Hat er das? Ich zermartere mir wirklich das Hirn darüber und finde kein Ende. Deswegen war es gut, dass wir miteinander gesprochen haben. 

Ich folgte ihm auf die Station wie wir das immer morgens tun. Er wurde von einer Assistenzärztin um etwas gebeten, das sie am liebsten sofort erledigt wissen wollte. Flo ruderte zurück und verschob es auf später. Er müsse zunächst erst in seine Sprechstunde. Sieh an, er benutzte sogar eine kleine Notlüge für mich, denn - ich weiß nicht wodurch, verbal war es jedenfalls nicht zwischen uns kommuniziert - es war irgendwie klar, dass wir gleich zu zweit allein zu mir gehen würden. Und so verabschiedeten wir uns beide von der Station und gingen los. Es war einfach, meine Gedanken bereits auf dem Weg in Worte zu fassen. Da war ich nicht so sehr mit seinen Augen konfrontiert und konnte meine Gedanken besser ordnen. Und außerdem hilft Bewegung beim Spannungsabbau. 

Ich lerne gerade sehr viel über mich selbst. Ich wachse über mich hinaus. Ich hätte nie von mir gedacht, dass ich so offen und konfrontativ mit einer so außergewöhnlichen Situation umgehen kann. Ich merke, dass er sich, dass ich mich verändere und das in einem Tempo, das ich mich manchmal frage, ob das nicht zu schnell geht. 

Noch beim Gehen konnte ich ihm sagen, dass ich die Situation als merkwürdig empfinde:

"Weißt Du, manchmal komme ich mir wie auf der Flucht vor Dir vor, obwohl ich das gar nicht möchte."

"Ja, das ist mir auch aufgefallen... Deswegen bin ich dir auch neulich nicht nachgegangen, weil ich dachte du möchtest das nicht." 

Er spielte auf die peinliche Situation an, in der ich ihm auf seinem Flur, vor seinem Zimmer begegnet war und fluchtartig die Szene verließ. Als ich hörte, dass er offensichtlich daran dachte, mir hinterherzugehen bzw. es ihm wichtig schien, mir seinen Impuls mitzuteilen, stiegen sofort romantische Fantasien in mir auf wie er mir hinterherrennt und mich aufhält: Vielleicht erreicht er mich auf dem Hof, auf dem es natürlich in Strömen regnet. Ich drehe mich um, nachdem er dramatisch und zärtlich zugleich meinen Namen gerufen hat. Er ist mein Ritter und mein Retter. Musik muss her – es erklingt The Boom Circuits` "Everything and nothing". 
Mir laufen die Regentropfen und die Tränen übers Gesicht als er immer näher auf mich zukommt. Er fängt die Tränen und die Regentropfen mit dem sanften Griff seiner rechten Hand an meine Wange auf. Wir sind bereits klitschnass, aber das ist uns egal, denn wir sehen uns an und wissen, dass wir zusammen gehören. (Vorsicht: Ich habe wohl ein bisschen viel "Doctors Diary" gesehen und glaube langsam, dass ich die Reinkarnation von Gretchen Haase und Flo die von Dr. Marc Meier ist. Elke Fischer war gestern.)



Aber weiter in der realen Situation, in der Flo und ich noch immer den Weg entlang gehen und miteinander sprechen:

"Ich mache mir so viele Gedanken. ...Und eine Frage, die mich richtig bedrückt, ist wie das für Dich eigentlich war."

"...Naja...es war schon sehr anstrengend an dem Tag, weil... (er führt die ganzen fachlichen Sachen an, die an dem Tag zu erledigen waren), aber wenn Du mit so etwas Dringendem an mich herantrittst, wollte ich es natürlich unbedingt gleich möglich machen." 

Als er das sagte, waren wir auf unserem Weg genau an der Stelle, wo ich ihn um das erste Gespräch bat. Und daher wusste ich auch sehr gut, was ich damals zu ihm gesagt hatte:

"Moment, ich sagte, dass es nicht dringend, aber wichtig ist und etwas Zeit braucht." Ich sage das lächelnd, weil ich es in meinen Gesprächsvorbereitungen so oft durchgekaut habe und es schon erstaunlich ist, dass das jetzt von ihm aufgegriffen wird.

"Ja, ...aber Deine Körpersprache hat was anderes gesagt." erwidert er grinsend.  

Oh. Was soll ich dazu sagen? Was habe ich da bloß körpersprachentechnisch von mir gegeben. Ich fühle mich sofort ertappt und kontrolliere die Position meiner Arme und Beine und meinen Gesichtsausdruck. Ich denke schon, dass ich mich halbwegs unter Kontrolle hatte. Naja, und er war ja auch sichtlich gespannt.
Wir gehen in das Gebäude und er meldet mir zurück, dass das Setting, das Gespräch in meinem Zimmer zu führen, wohl etwas unglücklich gewesen ist. Warum? Hätte er es gerne auf neutralem Boden gehabt? Was gibt es für Alternativen? Er hätte gerne auch ein romantisches Restaurant wählen könne. Trotzdem wählte er, sich dieser Erfahrung bewusst, wieder die gleiche Umgebung. Wir gingen, jeder bewaffnet mit einem Kaffee, wieder in mein Büro. Ich bedankte mich, dass er so schnell und sofort dazu bereit war, sich wieder mit mir zusammenzusetzen. 

"Also,... was hast Du denn erwartet als ich Dich um das Gespräch gebeten habe?"

"Ich dachte es geht um irgendeinen schlimmen Teamkonflikt, mit den Schwestern oder so, auf den Du mich vorbereiten willst oder so." 

Nun ja, "Teamkonflikt" und "schlimm" kann man es für unser Zweierteam auch nennen. Widerum, ein Teamkonflikt, der so schlimm ist, dass er sich bereits in meiner Körpersprache abzeichnet? Wie passt das denn zusammen?

"Und was hat das mit Dir gemacht. Ich meine, wie ging es Dir damit?"

Er sagte nicht unbedingt, dass es ihn fertig gemacht habe. Obwohl, indirekt schon. 

"Es war hier auf der Arbeit soviel zu tun. Ich musste die beiden Ärzte vertreten. Und abends habe ich auch noch diesen anspruchsvollen Film gesehen. Es war echt anstrengend. Ich hätte mir gewünscht, dass schon Wochenende gewesen wäre." 

Es hat ihn fertig gemacht, aber er lässt sich wirklich schwer etwas entlocken. Manchmal macht mich das etwas wütend, dass ich ihm alles aus der Nase ziehen muss. Und ich hätte nicht selten Lust ihn zu provozieren. Wut ist ein gutes Gefühl, denn es bedeutet nicht mehr nur Traurigkeit. Ich würde gerne genauer über seine Gefühle Bescheid wissen. Ob es da Schuld, Scham, sich geschmeichelt fühlen gibt? Aber das ist es ja gerade, ich habe kein Recht darauf seine Gefühle zu erfahren. Ich kann das nicht erzwingen. Ich habe mich vor ihm entblättert und er zeigt so wenig von sich. So ist das bei unerwiderter Liebe. 

"Du bist so ... kontrolliert." ist das, was mir von meiner Wut über seine fassadenreiche Haltung über die Lippen kommt.


"Ja, ich bin da tatsächlich sehr kontrolliert." Wer weiß, was ich da in meinen romantischen Fantasien in ihn hineinprojeziere., was er niemals sein kann. Wer weiß, warum er sich so stark kontrollieren muss?

Wenn er sich kontrolliert, ist es jedenfalls ungefährlicher für ihn. In unserem Gespräch sehe ich wie er nachdenkt und nur ein Bruchteil, ein zensierter Bruchteil, kommt über seine Lippen. Und das macht mich schlichtweg wahnsinnig. Er dreht den Spieß um:

"Wie gehts Dir denn jetzt?"

Das ist meine Frage. Ich bin vorbereitet.

"Ich leide, und rede, und schreibe ganz viel darüber." und mir treten dazu wieder die Tränen in die Augen. Das reicht schon, um ihm auf mehreren Ebenen begreiflich zu machen, dass es mir natürlich schlecht geht.

"Tagebuch?" fragt er ein bisschen hilflos oder gar angstvoll?

"Ja, so in der Art..." was nicht mal gelogen ist. Trotzdem wechsle ich das Thema, denn es geht mir nach Ground Zero auf jeden Fall besser als vorher.

"Ich bin erleichtert seitdem ich es Dir gesagt habe. Ich bereue nichts. Ich habe mir die Konsequenzen schlimmer ausgemalt als sie nun sind. Ich habe da schon sehr großes Vertrauen zu Dir." sage ich etwas ratlos, weil ich gar nicht weiß, wo dieses ganze Vertrauen zu ihm herkommt. Es ist einfach da.

"Manchmal fühlt es sich an als sei ich vor Dir auf der Flucht. Und das, weil ich mich begrenzen wollte nur auf der Sachebene mit Dir umzugehen wie wir das vereinbart hatten."

Ich finde keinen Abstand, der für uns beide angemessen ist, also vergrößere ich ihn ins Unermeßliche und Unerträgliche. 

"Ich empfinde das irgendwie als unnatürlich und technisch. Ich würde mir wünschen, dass wir versuchen ganz normal, wie bisher, miteinander umzugehen." 

Das ist doch eine ganze Menge. Es fällt mir absolut schwer zu akzeptieren, dass er meine Gefühle nicht erwidern wird. Ich möchte das nicht, ich kann mich noch nicht damit abfinden Und ständig suche ich mir ein gedankliches Schlupfloch und hoffe von neuem.

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