Donnerstag, 15. November 2012

Ground Zero



"Ground Zero bezeichnet im englischsprachigen Raum ursprünglich einen Punkt auf der Erdoberfläche, auf oder über dem eine Nuklearexplosition stattgefunden hat oder stattfinden soll. Der Ground Zero ist somit der Punkt mit den (wahrscheinlich) höchsten Schäden durch die Explosion. Das "Zero" (Null) steht für den Abstand zum Detonationsschwepunkt." (www.wikipedia.de)

Kein Abstand zum Detonationsscherpunkt. Hier kommt mein persönlicher Ground Zero:

Ich wollte gestern gerade fluchtartig die Arbeit verlassen, und meine benutzte Kaffeetasse in den Geschirrspüler stellen, da traf ich Flo im Aufenthaltsraum. Als er mich sah, hielt er in dem Gespräch, in das er gerade verwickelt war, inne und sagte zu mir:
Flo "Ich habe jetzt Zeit." Der wills wissen. 
Ich stimmte zu, nickte (sprechen konnte ich in dem Moment nicht) ohne nachzudenken und ging wie ferngesteuert wieder in mein Büro, denn ich wusste, jetzt war der Moment, in dem Flo die Wahrheit erfahren würde. Was sollte ein weiteres Hinauszögern bringen? Schlaflose Nächte. Der Zeitpunkt war gut. Es warteten keine Klienten mehr auf mich und ich hatte Zeit, musste Kai nicht abholen, da ich irgendwann am späten Nachmittag einen gleitenden Augenarzttermin hatte und deswegen der Babysitter einsprang.
Eine rationale, ferngesteuerte Entscheidung. Es war die Ruhe vor dem Sturm als ich in meinem Büro war und wusste, dass er gleich dazukommen würde. Ich sortierte stehend Befunde ein. Eine Arbeit, die ich mir aufgehoben hatte, um sie in dieser Situation zu tun. Um überhaupt etwas zu tun, damit die Angst gemildert wird. (Vorbereiteter konnte ich wirklich nicht sein!) Und dann hörte ich ihn. Er kam freudig-aufgeregt herein, schloss die Tür und sagte in seiner unnachahmlichen Art:
Flo "Na, jetzt bin ich aber gespannt." 
Ich war innerlich total konzentriert. Mir fiel nur ein 
Eva "Und ich erst." 
Er setzte sich. Ich setzte mich auf meinen Computerstuhl, rollte an ihn heran bis ich es für den richtigen Abstand hielt. Ich sagte ihm:
Eva „Das ist nicht einfach für mich…“
Ich rollte noch näher an ihn heran, weil der Abstand noch nicht stimmte für das, was ich vorhatte. Und dann begann ich:
Eva "Ja, wo fange ich an?... 
Es geht mir nicht gut .... 
es geht mir schlecht.“
Ich hatte von Beginn an seine ganze Aufmerksamkeit und er starrte mich ein bisschen an.
Eva „… Das alles, dass ich äußerlich so ruhig und konzentriert wirke, das bin ich nicht. Es geht mir schlecht und es geht mir super zugleich. Ich habe lange überlegt, ob ich dir das erzähle. Ich habe Angst, dass das, was ich dir jetzt sage, unsere tolle Arbeitsbeziehung zerstört. Es ist wirklich toll. So habe ich es mir immer gewünscht. Ich weiß keinen anderen Ausweg mehr als es dir zu sagen. ...Am Anfang habe ich es mir verboten und habe versucht, dass es wieder weggeht, aber das tut es nicht. ... Dafür geht es einfach schon zu lange. ... Deswegen möchte ich dir sagen:... Ich habe mich in dich verliebt."
So habe ich es ihm wohl gesagt. Es hört sich jetzt toll an, wenn ich das so lese, aber glaubt mir, es war ein Kampf. Mich hätte das regelrecht umgehauen. Ich kann stolz sein. Bei den letzten Worten meines Monologs habe ich bereits geweint. Und er? Er wirkte rein äußerlich nicht überrascht oder zumindest sehr kontrolliert. Er sagte: 
Flo "…Das ist so mutig von dir. … Es tut mir total leid... dass du so eine so schwere Zeit durchmachst."
Von da an habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Unser Gespräch ist mit großen Pausen und viel Schweigen und schauen, anschauen versehen. Er war wirklich sehr nett, so wie er eben ist. Sonst hätte ich mich ja auch nicht in ihn verliebt.
 Flo „So etwas kann nur passieren, wenn du in deiner Beziehung etwas vermisst.“
Er meinte, dass es eine Art Ausweg ist. Ich wollte es nicht darauf reduziert wissen, dass ich mich nur in ihn verguckt habe, weil ich Beziehungsprobleme habe. 
Eva "Das ist nicht nur ein Ausweg. Das ist mir noch nie passiert. Die Male, die ich mich so verliebt habe, kann ich an einer Hand abzählen."
Er ruderte daraufhin zurück:
Flo „Nein, …ich wollte dich auf keinen Fall kränken und deine Gefühle kleinmachen.“ 
Er versuchte sich einzufühlen und gab von sich preis, dass er sich selbst gerade erst wieder stabilisiert habe und dass er wisse wie so etwas ist:
Flo „Ich habe mich selbst gerade erst stabilisiert. Hatte ich dir doch mal erzählt oder?"
Nein, hatte er nicht. Und ich wollte gerne wissen, was da so instabil war. Es hatte etwas mit seinem vorigen Wohnort zu tun. Er sei dort unglücklich gewesen und von meinem Gefühl her hat es auch ein Beziehungsproblem gegeben. Ich hatte das alles noch nie gehört und hätte mir auch nicht vorstellen können, dass Mr. Perfekt, der er in meinen Augen gerade ist, auch Probleme haben könnte.
Er meinte:
Flo „…Wenn man wirklich gesettled ist, dann kann einem so etwas nicht passieren.“
Ich liefere ihm darauf die filmreife Antwort:
Eva "Ich war immer sehr gesettled und geradlinig. … Und dann kamst Du!" 
Das habe ich ihm tatsächlich gesagt! Mir rollten die Tränen runter ohne dass sich mein Gesicht im Schmerz verzog. Ich fühlte mich immer noch schön in meinem ganzen Schmerz. Ich ließ es einfach laufen. Er reichte mir Taschentücher und fragte mich wie er mir helfen könne. Ich entgegnete, dass ich von ihm gar nichts erwarte.
Ich fragte ihn erwartungsvoll und etwas herausfordernd:
Eva „Hast Du denn irgendwas gemerkt? … Oder was dachtest du, was ich dir sagen möchte?“
Flo „Naja, … ich habe manchmal in deinen Blicken etwas gesehen hat, was so gar nicht zu der sehr kontrollierten Person gepasst hat … Etwas Mysteriöses.“ 
Nun kann er es einordnen.


Dann irgendwann sagte er den grausamen Satz
Flo "... Ich kann es nicht erwidern....“
Die Arbeit mit dir ist mir sehr wichtig und … naja, es ist schon etwas mehr als nur gut miteinander auskommen?“ 
Was soll das denn heißen? fragt der Optimismus. Gar nichts und er hat gesagt, dass er meine Gefühle nicht erwidert, sagt der Pessimismus. Ich kann ihn zu diesem Zeitpunkt nur noch anstarren und mir fließen die Tränen übers Gesicht. Er - kann - es - nicht - erwidern! Das ist das Ende.
Flo „Wie machst du das denn zu Hause?“ 
Eva "Das geht schon irgendwie. … Und ich will da auch nicht raus. Das stand nie auch nur im Geringsten zur Debatte… Es laufen Gespräche, aber nicht darüber, dass es Deine Person betrifft." 
Ich schaute ihn lange an. Er mich auch. Manchmal sagten wir lange gar nichts. Es war eine absolut ruhige, friedliche Atmosphäre. Keiner kam rein, kein Telefon klingelte, eine Dreiviertelstunde lang. Naja, war ich gar nicht so schlecht mit meiner Schätzung wie lange man für so etwas braucht.
Er fragte mich, ob er mir irgendwie helfen könne und gab zu:
Flo "Ich flirte ganz gerne." 
Er bot an, das zu unterlassen. Ich solle ihm bloß ein kleines Zeichen geben und er würde sich sofort darauf einstellen. Wie großzügig! Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir erstmal mehr auf der fachlichen Ebene kommunizieren. Das wird mir sehr fehlen, ist aber wahrscheinlich besser für den Entwöhnungsprozess. Wie das klingt. Entwöhnung auf Ground Zero? Da ist nichts mehr zum Entwöhnen. Vielmehr ist alles zerbrochen und muss ganz neu aufgebaut werden.
Am Ende fragte er mich, ob er mich umarmen dürfe, was ich zuließ und was sich natürlich gut anfühlte. Er ist nicht viel größer als ich. Ich spürte seine kräftige Umarmung. Ich umarmte auch mit. Ich spürte seine borstigen Haare an meiner Wange. Ich war trotzdem irgendwie ganz taub nach dem Gespräch.
So ungefähr ist es abgelaufen. Viel mehr habe ich nicht behalten aus der alles entscheidenden Situation.
Ich habe ihm alles erzählt, was ich erzählen wollte. Ich habe erstaunlich gut sprechen können. Klar war meine Stimme teilweise gebrochen und auch Tränen sind geflossen, aber insgesamt bin ich alles losgeworden, was ich ihm sagen wollte.
Ich bin am Boden zerstört, aber auch irgendwie erleichtert, dass es vollbracht ist. So konnte es ja nicht weitergehen. Ich bin unendlich traurig und aufgewühlt und gespannt wie es morgen sein wird, wenn ich ihm wieder begegne. Ich sollte mich da jetzt nicht hineinsteigern.
Ich muss dem jetzt ins Auge sehen. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und Flo ist mir so begegnet wie ich es mir eigentlich hätte denken können. Er als der wahnsinnig gesettlete, einfühlsame Mann und Vater, der gerne flirtet. Zumindest das hat er bestätigt, dass er mit mir geflirtet hat.
Ich muss es einordnen. 
Ich leide. 
Es ist schlimm. 
Ich heule. 
Es zerreisst mich innerlich, aber ich muss es akzeptieren. 
Es bleibt mir nichts anderes übrig ohne vollständig das Gesicht zu verlieren. Das einzig Tröstliche ist, dass ich es versucht habe. Wenn am Ende gefragt wird "Hast Du alles probiert?" kann ich sagen "Ja, das habe ich." Mehr geht nicht. Ich werde daran wachsen wie immer auch meine persönliche Situation weitergeht. Es war schon irgendwie merkwürdig wie wir da so zusammen saßen und darüber gesprochen haben.
Ich kann das alles im Moment überhaupt nicht glauben. Ich bin noch im Schock, dass ich das wirklich getan habe. Und dass das ganze freudige Auf-die-Arbeit-fahren nun ein Ende haben soll. Dass das einfach alles verändert. Aber das wollte ich doch. Und da muss ich jetzt durch. Wenn ich nur etwas an ihm finden würde, was nicht so toll ist. Ach ich weiß nicht. Ich bin jetzt schlauer und doch noch viel aufgewühlter als vorher. Ich kann das immer noch nicht glauben, dass ich das wirklich getan habe.
Irgendwie bin ich auch stolz auf mich, dass ich es getan habe. Und trotzdem tut es weh. Und diesen Schmerz darf ich nur wenigen Personen zeigen. Ich bin jetzt allein, da Konstantin Laufen gegangen ist. Er fragte vorhin, was los ist. Er bemerkte die Veränderung in mir. Er ist sehr aufmerksam. Aber diesen Schmerz kann ich wirklich nicht bei ihm abladen. Ich muss da jetzt irgendwie durch. Es wird mit der Zeit besser werden. Ich habe Lust zu heulen und tue das auch. Ich würde am liebsten viel und schnell weinen, damit es bald vorbei ist. Es war richtig. Es war so richtig, was ich getan habe. Und eigentlich ist das jetzt eine gute Lösung für alle. Ja, wenn ich mal meine Gefühle außer Acht lasse, schon. Ich weine, weil er meine Gefühle nicht erwidert. Ich weine, weil ich abgewiesen wurde. Ihn und mich - das wird es nie geben. Und doch werde ich in seiner Nähe sein und muss das aushalten. Ich bin so traurig und bekomme Kopfschmerzen. Die Schmetterlinge haben etwas abgenommen, so dass ich besser essen konnte. Aber wenn ich jetzt so daran denke, sind sie doch wieder da. Ich habe ein bisschen Bammel vor morgen. Wie wird es sein, wenn wir zusammen in der morgendlichen Besprechung sitzen? Wenn ich weiß, dass er es weiß. Und die vielen Kollegen drumherum. Wenn ich allein auf ihn treffe, wird es weniger ein Problem sein. Es ist eher die Befürchtung, dass wir uns irgendwie komisch verhalten. Er hat mir absolutes Vertrauen und Verschwiegenheit versichert. Das nehme ich ihm auch vollkommen ab. Ich muss jetzt nur erst mal wieder leben lernen ohne dieses Hochgefühl zu haben. Was soll ich bloß anfangen ohne die Gedanken, ich könnte eine Liebesbeziehung mit ihm anfangen? 
Es wird schwer. 
Es wird einfach nur Arbeit sein. 
Es wird wehtun. 
Es tut schon weh. 
Ich werde es überstehen. 
Irgendwie. 
Ich weiß nicht wie.

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