Liebe Mathilda,
ich versuche um 19.30 Uhr vor dem Kino (und wenns kalt ist drin) zu sein.
Hier kommt noch schnell Doctors Diary vom heutigen Tag, dass ich Dir in dieser Schriftform nicht vorenthalten kann :-)
Ich traf Flo heute bereits an der Ampel. Ich stehe in der Poolposition auf der linken Spur. Er kommt auf der rechten Spur dazu gefahren. Wir warten auf grün. Er sieht mich nicht, zumindest tut er so. Sitzt verträumt in seinem Auto und hat den Kopf fast an die Scheibe gelehnt. Dann - entspannt losfahren ist anders - zieht er den Motor ziemlich hoch. Ich versuche mitzuhalten, meine Reifen quietschen. Mein Puls ist sowieso schon beängstigend angestiegen. Wir liefern uns ein unbewusstes Rennen. Zumindest für ihn, denn ich will ja mit ihm Rennen fahren. Er fährt schnell! Ok, es ist heute besonders spät. Letztlich gibt mein Auto nicht soviel her wie seins. Er muss auf meine Spur wechseln, zieht vorbei und scherrt ein. Verdammt! Ich hefte mich an seine Stoßstange und er fährt 70 oder so auf der 50er Strecke. Ich tendiere kurzzeitig dazu, mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der sonst leeren Straße zu halten. Dann überlege ich mir, was denn schon passieren kann. Es könnte geblitzt werden. Aber wenn das so sein sollte, fährt er zuerst rein und ich kann vermutlich noch reagieren. Das ist mir Grund genug, genauso schnell hinter ihm herzufahren. Irgendwann biegt er ab, um vermutlich in einer Nebenstraße zu parken, weil sich die Parkplatzsituation hier verschärft hat. Ich fahre auf den Parkplatz vor der Klinik und finde da unverhoffterweise eine Lücke. Letztendlich bin ich also doch früher auf der Arbeit.
Viel später treffe ich ihn auf der Station. Da Betty in unserem gemeinsamen Raum im Patientengespräch ist, setze ich mich ein Zimmer weiter ins Sekretariat, wo ein Computer frei ist. Flo kommt rein, um mit der 23jährigen Sekretärin (Sie siezen sich und sind etwas distanziert miteinander - keine Konkurrenz) etwas abzusprechen. Er sieht mich, ist überrascht und ich sage "Ich bin die Neue..." Er lächelt (ich freu mich immer unheimlich, wenn ich ein Lächeln bei ihm auslöse) und bringt das Gespräch auf eine sehr bedürftige Patientin, Frau Eilig, die aktuell mit Komplikationen bei uns auf der Station liegt. Er weiß, dass sie bei mir in Behandlung ist und erkundigt sich nach ihr und ob ich schon da war. Ich gebe ihm einen kurzen Abriss der bisherigen Woche, deute auf meinen Schal um den Hals und sage, dass ich wegen der Erkältung seit gestern nicht mehr persönlich bei der immunsupprimierten Klientin war. Dass ich gestern mit ihr telefoniert habe und heute die infektfreie Betty "kurz" für eine Stunde ein Entlastungsgespräch mit ihr geführt hat. Er ist beeindruckt von so viel Kreativität und sagt "Das ist wirklich bewundernswert wie ihr ..." An den Rest des Kompliments kann ich mich nicht mehr erinnern, denn ich versinke in seinem Anblick. Bedeutet jedenfalls, dass er sehr beeindruckt von mir ist. Jaaa, mehr davon! Es entsteht dann eine kurze Pause und ich spiele mit dem Gedanken, seinen Fahrstil anzusprechen. Soll ich, soll ich nicht? Günstige Gelegenheit. Auch nicht zu verfänglich, weil ja noch die Sekretärin im Zimmer ist (was ja wohlgemerkt ihr Zimmer ist). Ich sage "Du fährst ja ganz schön schnell." "Echt?" "70 auf ner 50er Strecke?" Die Sekretärin fängt im Hintergrund an zu kichern. Flo fängt auch wieder an zu grinsen. "Wo war das denn?" fragt er verduzt. Ich beschreibe ihm die Straße und die Ampel und er erinnert sich. Es macht tatsächlich den Anschein als habe er mich nicht bemerkt. Obwohl, sicher sein kann man nie. Er kennt mein Auto und meine Autonummer. Man guckt ja auch öfter mal in den Rückspiegel. Und taub wird er ja auch nicht sein bei den quietschenden Reifen. Naja, er leitet sich selbst die Verkehrssituation her (würde mich gerne auch in andere Verkehrssituationen mit ihm begeben :-), erwähnt Details, an die ich mich nun wiederum nicht erinnere. So ist das mit den verschiedenen Wahrnehmungen und Wahrheiten. Ich sage dann "Naja, ich dachte mir dann, ich fahre einfach hinter dir her. Wenn einer geblitzt wird, dann du." und grinse süffisant dazu. Flo meint zustimmend grinsend und so als hätte er das gerne in kauf genommen "Ja, du hättest noch Zeit zum bremsen gehabt." Wirklich? Rase ich nicht schon lange ungebremst in seine Nähe? "Wenn ich Polizist wäre" spricht Flo weiter (und ich stelle ihn mir als Polizist vor) "würde ich mir genau diese Stelle aussuchen und dort blitzen." Das sei so verlockend dort etwas schneller zu fahren. Jaaa, brich Deine Moralvorstellungen. Es ist so einfach, der Verlockung nachzugeben. Ich habe den Eindruck, dass er mir schon ein bisschen imponieren möchte, dass er an so einer "gefährlichen" Stelle zu schnell fährt. Er führt das noch ein bisschen weiter aus und geht dann mit einem Supergrinsen wieder aus dem Zimmer. Es ist ein ausgeprägtes Lachen, denn ich kann dabei seine perfekten Zähne sehen. Das kam von innen. Und diesen Anblick will ich mir bewahren und habe weitere Begegnungen mit ihm heute nicht gesucht. Habe sogar die Fallkonferenz mit garantiertem Schmachtfaktor sausen lassen. Möchte den Eindruck zumindest zeitweise konservieren.
Danach berichte ich Betty davon, dass ich mir heute schon ein kleines Rennen mit ihm geliefert habe. Das ich leider verloren habe :-(. Und ich erzähle ihr auch, dass ich ungebremst hinter ihm hergefahren bin, weil er die Konsequenzen ja zu spüren bekommen hätte. Gute, selbstwertschonende Interpretation meint sie. Und ob ich das mit ihm schon thematisiert habe. Ich kann stolz sagen "Ja, habe ich." Wir kichern wie zwei Teenager darüber. Überhaupt ist es hier sehr aufgelockert-lustig. Sie findet es ganz schön wie ich für mich sorge. Ja, ich lerne und entwickle mich. Denn sein Auto fährt er immer noch selber. Und außerdem hat er das Rennen nur gewonnen, weil er das schnellere Auto hat. Und irgendwie würde es auch nicht meinem Männerbild entsprechen, wenn ich ihn hätte überholen können. Ok, ich bin echt gut in selbstwertschonenden oder gar -stärkenden Interpretationen. Mehr davon heute Abend, beim Kinobesuch.
Liebe Grüße von Eva
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen