Dienstag, 12. November 2013

Keine Zeit für Warzen

Liebe Mathilda,
auf Wunsch einer einzelnen, aber sehr wichtigen Dame kommt hier meine übliche Mail über meinen aktuellen Zustand. Sobald Betty, meine neue Kollegin, selbständig arbeiten kann, hole ich mir den Freiraum, meine täglichen Gefühlsverwirrungen und Erkenntnisse wieder in Worte und Sätze zu fassen, wieder zurück. Viele Grüße übrigens in die Hängematte zurück. Ich hoffe Du liegst da noch immer und erholst dich gut.
Ich fahre heute zu spät, aber beschwingt und aufgeladen mit supertollen Ressourcen aus dem Wochenende auf den Parkplatz der Klinik, wo ich ohne Probleme einen Platz bekomme. Ich bin viel zu spät dran. Flo ist schon da, was ich an seinem fein säuberlich eingeparkten Auto erkenne. Bei der Erinnerung an die Parklückenquetscherei der letzten Woche muss ich unweigerlich in mich hineingrinsen. 
 Ich trete in den Konferenzraum, in dem die morgendliche Besprechung schon angefangen hat. Flo kommt noch später, hat also seinen eigenen "Auftritt". Wir sitzen uns gegenüber, da unsere Stammplätze schon besetzt sind. Eine Millisekunde begegnen sich unsere Blicke. Das persönliche Guten-Morgen folgt erst als die Besprechung vorbei ist und wir in kleiner Runde bereits einen Patientenfall diskutieren. Es geht um eine Klientin, die bisher auf sämtliche Medikamente allergisch reagiert hattee und nun kaum noch Optionen bestehen. Es wird überlegt, welche Therapie man ihr noch geben könnte. Ich frage vorsichtig und eigentlich zu leise in die Runde "Will sie das denn?" Flo, der dicht neben mir steht, sprudelt freundlich zugewandt hervor "Ja, sie will." Ich kann das kaum erklären, er sagt das so prompt als sei er dankbar, dass ich das gefragt habe. Er strahlt aus "Frag mich, frag mich, frag mich." ... und gibt später vor anderen Ärzten von sich, dass man nach diesen allergischen Reaktionen doch die Therapie abbrechen sollte. Irgendwann sei auch mal gut. Mir steigt ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich an die Situation zurückdenke. Als er das sagt, haben wir einen intensiven Blickkontakt. Und obendrein so nah. Unsere Gesichter sind echt nur 15 cm voneinander entfernt. Ich sehe seinen stoppeligen Bart und bin überfordert mit der Entscheidung, in welches seiner Augen ich schauen soll. Ist Dir mal aufgefallen, dass man immer nur in ein Auge schauen kann? Von wegen in "die" Augen schauen. Man pendelt ständig zwischen linkem und rechtem Auge hin und her. Und wenn man nur in eins schaut, wirkt das schon sehr ... einäugig. Seine sind heute besonders hell. Ich muss wegsehen. Wahlweise auf seinen Mund, was auch nicht besser ist und leidenschaftliche Fantasien zu tage fördert. Da bleibt echt keine Zeit, sich auf eine angebliche Warze auf seiner Stirn (eine Entdeckung, die ich auf Bettys Anraten letzte Woche machte, als ich einen Makel an ihm suchte, um von ihm loszukommen) zu konzentrieren. Das war schon...hot! Was versucht er da? Ich könnte das auch ganz schön gemein von ihm finden, dass er sich mir so zeigt, wo ich gerade wieder selbständig laufen kann. Wo er doch sowieso nicht aus der Hüfte kommt. Sollte er jedoch doch aus der Hüfte kommen und das ein zaghafter Versuch sein, mir sein Interesse zu vermitteln, ... Ach was solls. Ich genieß es einfach, ohne mir große Gedanken dazu zu machen. Ich habe mir bereits alle Gedanken dieser Welt dazu gemacht.

Als wir nach der Besprechung hinaus in die Morgenluft treten, um in das andere Gebäude zu gehen, fängt er mit solch genießerischen, poetischen Äußerungen über die Herbstluft und die tollen Farben und "überhaupt sei alles ganz toll" an, dass man es aufzeichnen und sofort in einem dieser schönen, kleinen Gedichtbände abdrucken möchte. Ganz toll! Möchte echt mal wissen was an seinem Wochenende so passiert ist. Hat er Gedichte geschrieben? In der anschließenden Fallkonferenz angekommen setzen er und ich uns nebeneinander. Es ist vermutlich für andere nicht so sichtbar, aber wir sitzen schon nah beieinander. Unsere Knie sind stets nur 5 cm, Tendenz abnehmend voneinander entfernt. Die letzte körperliche Distanz, die noch überwunden werden muss. Mir ist das nicht unangenehm. Ihm anscheinend auch nicht. Ich spüre seine Körperwärme am Knie. Allein das deutet drauf hin, dass es ziemlich nah ist. Und wie Du mir ja vor gefühlten Jahren schon mal sagtest, wird er das sehr wohl registrieren. Er hat ja kein taubes Knie. Ich genieße es wie wir so Knie an Knie da sitzen (Haben wir da so eine Art Knie-Sex?) und über fachliche Themen diskutieren.

Dies also sind die spannenden Geschichten aus einem Krankenhaus an einem Novembermontag mit klarer Morgenluft...

Bis bald,
Eva

1 Kommentar:

  1. Sehr schön!!���� Knie Sex! Wunderbar!!�� liege immer noch in meiner haengematte�� und zwar bis Freitag noch! So lange hat mich meine Hausärztin dort hinein verbannt!���� gaaaanz schrecklich��

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