Liebe Mathilda,
zurzeit kommt es mir so vor als ob ich gerade so überlebe. Kai hatte einen Magen-Darm-Infekt und gestern den ganzen Tag gebrochen. Heute geht es dem armen kleinen Mann besser und alle vollgebrochenen Bettlaken, -decken und Klamotten trocknen in unserer 50 qm-Wohnung bei miesestem, naßfeuchtem Herbstwetter. Tino ist heute mit ihm zu Hause geblieben, damit ich am späten Nachmittag wieder auf die Arbeit fahren konnte, um meinen lange geplanten Vortrag zu halten. Am Freitag ist die Urnenbeisetzung meiner Oma. Habe mich schon fast gewundert, dass das Kind in all dem Chaos von Todesfall, Geburtstag und blauem Auge nicht auch noch krank geworden ist. Atmen! Nächste Woche wird sich alles wieder etwas entspannen und aufdröseln...
Ich bin auch auf der Arbeit, weil ich Betty, meine alte Freundin und neue Kollegin, in der ersten Arbeitswoche nicht ins kalte Wasser springen lassen wollte... und weil der Mittwoch immer ein paar exquisite Momente mit Flo bietet. Mann gönnt sich ja sonst nichts. Kalte Schulter zeigen wäre wie Du meinst jetzt angesagt. Schaffe ich aber gerade nicht. Ich weiß, er sollte mir egal sein. Ist er aber nicht. Immerhin bin ich wegen der allgemeinen Erschöpfung nicht so sehr darauf bedacht wie ich auf ihn wirke, sondern bin einfach authentisch so wie es mit gerade einfällt. Und das funktioniert. Ich bringe ihn aus Lust und Laune bei der Besprechung ganz in Verlegenheit als er mir von einer Klientin berichtet, die meine Hilfe benötigen könnte. Ich frage nach ihrem Namen. Wohlwissend, dass Namen für ihn Schall und Rauch sind. So langsam entwickelt sich das zum einem Running Gag zwischen uns. Er tätschelt mir amüsiert das Knie und meint grinsend "Frag mich doch sowas nicht." Mach ich aber trotzdem! Gerade weil Du mit das Knie dazu tätschelst.
Später habe ich mich an einen verfügbaren Computer im Zimmer der Sekretärin gesetzt, weil das der einzig verfügbare war. Mich stört das nicht weiter, da dies die Gelegenheit erhöht, Flo erneut zu begegnen. Bei uns stehen meist die Türen offen. Jeder kann rein oder raus. Man sieht immer, was auf dem Flur los ist usw. „Man“ sieht auch, wenn Flo mit einer Klientin in den Raum neben dem Sekretariat geht. Ich schaue über den Rechner zu ihm auf, weil ich im Gefühl habe, dass er da stehen muss. Wir haben kurzen Blickkontakt bevor er schon mal die Klientin in das Nebenzimmer schickt und dann kurz innehält. In meiner wegen dem Vortrag und allem anderen läppischen, überarbeiteten, erschöpften Art mache ich eine lustig-übertriebene Geste, dass ich den Computer killen könnte. Er steigt darauf ein, und fragt mich – sehr interessiert - von der Türschwelle aus (ja, bleib mal lieber da hinten), ob der Rechner etwa zu langsam ist. Nein, ich habe gerade noch 7 Folien in meinen Vortrag eingefügt und dann ist das Teil abgestürzt bevor ich speichern konnte. Er bedauert mich ehrlich – mit Gesten und Worten. Und wenn schon, küssen wird er mich dafür nicht! Er erzählt mir nochmals von der Klientin, deren Namen er morgens auf meine Nachfrage nicht wusste. Hat er jetzt wohl ordentlich auswendig gelernt. Ich habe mir den Namen nicht gemerkt und rechne das meinen Verdrängungskünsten zu. Er empfiehlt sie mir aufs Wärmste. Scheint ihm sehr wichtig zu sein. Sie ist 24 Jahre alt. Nur damit ich das schon mal weiß. „Du … oder wer sie sich anschaut.“ „Ja, einer von uns vielen.“ Rufe ich ihm nach und beziehe mich dabei auf die Verdopplung der Therapeutenstellen, die sich mit Bettys Ankunft hier letzte Woche vollzogen hat. Er lacht. Ich lache auch über diese kleine Begegnung. Ich fühle mich wieder sicherer ihm gegenüber. Und er sah heute echt hot aus. Hinfort mit diesem entwaffnenden Anblick! Ich bin gerade dabei, mich zu stabilisieren.
"So wake me up when it's all over
When I'm wiser and I'm older
All this time I was finding myself
And I didn't know I was lost
When I'm wiser and I'm older
All this time I was finding myself
And I didn't know I was lost
Liebe Grüße von Eva
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