Liebe Mathilda,
zwei Tage später ist die Wäsche trotz kaltnaßem Novemberwetter getrocknet und ich bin wieder ausgeschlafen. Ein toller und erfüllter Freitag liegt hinter mir. Für diese Woche bedeutet das vielversprechende Veränderungen auf der Arbeit, gute Gespräche und das Gefühl, dass ich mich einfach toll finde. Mit meinem tollen Outfit und der schicken Brille sehe ich aus wie eine tolle Frau, die weiß wie sie wirkt und die Blicke auf sich zieht.
Und mit Flo war es heute eine Aneinanderreihung von netten kleinen Begegnungen. Ich hatte die halbe Woche das Gefühl, die Paranoia, dass er vielleicht doch wissen könnte, dass ich diesen Blog schreibe. Natürlich bin ich mir bewusst, dass er es lesen könnte. Und wenn er es lesen würde, würde er sich garantiert erkennen. So aufmerksam wie er ist, würde er auch die Begegnungen zwischen uns wiedererkennen. Mich stört es weniger, dass er das lesen könnte, aber vielmehr, was er davon hält. Von der ganzen Aktion, einen Blog über meine unerwiderten Gefühle zu schreiben. Ich möchte nicht, dass er mich für gestört hält. Aber mal ehrlich: Bin ich das? Es war dieses merkwürdige Gefühl, dass das doch Stalking sein könnte, was ich in Bezug auf ihn betreibe. Vielleicht schreibe ich aber auch gerade, damit ich ihn nicht stalke. Irgendwo muss es schließlich hin und er gab mir gegenüber noch nie zu erkennen, dass er sich in irgendeiner Form belästigt fühlt. Die Begegnungen von heute sprechen auch gänzlich gegen ein Belästigungsgefühl, sondern eher für das Gegenteil.
Es begann schon morgens als ich im Aufenthaltsraum mit Betty sitzend automatisch meinen Körper straffe als ich bemerke, dass er hereinkommt. Er sieht und begrüßt uns. Er schenkt sich einen Kaffee ein und verweilt leider nicht bei uns, sondern verschwindet sogleich in seiner Sprechstunde. Zwischen den Zeilen mag da viel ablaufen. Betty - meine neue Kollegin und Freundin - weiß von meinen Gefühlen für Flo. Ich vertraute mich ihr an bevor sie meine Kollegin wurde, bevor ich überhaupt ahnte, dass sie meine Kollegin werden könnte. Seit sie nun da ist, haben wir ziemlich vermieden, es zum Thema zu machen. Heute finde ich endlich den Mut, sie darauf anzusprechen. Ich frage sie wie es für sie sei, das zu wissen. Sie mache sich Sorgen wie das für mich sein muss. Sie berichtet mir von ihrer ersten Begegnung mit Flo. Sie bemerkt seinen intensiven und vielleicht auch prüfenden Blick. Fast so als würde er sich fragen, ob sie es weiß. Und Betty ist bei dieser Schilderung so witzig, so auf den Punkt bringend, so frisch. Wie könne ich mich in jemanden mit einer so albernen Frisur verlieben. Ist es sein Aussehen oder seine Art? fragt sie und antwortet sich selbst: "Es kann nur seine Art sein. Schau ihn dir mal im Profil an, dann weißt Du wovon wir abstammen." Zum Brüllen komisch - comedyreif! Ihr sei das nur wenige Male in ihrem Leben passiert, dass es ein so blindes Verstehen zwischen ihr und jemandem gegeben und sie sich in ihn verliebt habe. Sie habe es aufgrund bestehender Beziehungen damals dabei belassen, ihn nicht einzuweihen und die Gefühle seien weggegangen. Er sei heute einer ihrer besten Freunde. Seine Frau auch. Und diese Frau sei auch ein Grund gewesen, warum es für sie ein No-Go gewesen sei, ihn einzuweihen. Bei Flos Frau dagegen, kokettiert Betty, hätte sie ein Geständnis jedoch in Erwägung gezogen. Sie beschreibt Laura, die sie bei einer Einführungsveranstaltung tatsächlich getroffen hat, als Kindfrau: äußerst zierlich und einfach unveränderbar. Und sie schließt daraus (und aus seiner Frisur): Veränderungen sind nicht sein Thema! Punktlandung.
Gegen halb 10 gehe ich einen Schokoriegel anknabbernd auf den Flur, um mir etwas zu trinken aus dem Aufenthaltsraum zu holen. D.h. eigentlich höre ich Flo irgendwo herkommen und beschließe eine Begegnung zu provozieren, die prompt klappt. Flo kommt aus dem Aufenthaltsraum, in den ich hineingehen will. Er lächelt als er mich den Schokoriegel genießend sieht und wir sagen uns ein liebes "Hallo". Ich bin dann im Aufenthaltsraum und er ist wohl auf die Toilette gegangen. Während ich mir einen Orangensaft eingieße, kommt er wieder herein. Er kommt ziemlich sicher wegen mir wieder rein, denn schließlich kam er ja vor mir dort heraus. Es sei denn, ihn überkommt ein von mir unabhängiger plötzlicher Kaffeedurst oder so was. Er möchte sich einen Kaffee aus der bereits leeren Kaffeekanne eingießen und ist etwas enttäuscht. Ich sage grinsend zu ihm "Ich weiß wo es noch Kaffee gibt." Er schaut mich erwartungsvoll-lächelnd an. Fast ein bisschen als wollte er sagen "Nun sags mir schon." Ich koste den Moment aus, kann ihn dann aber nicht länger auf die Folter spannen. "Im Konferenzraum gibt es genug Kaffee, weil dort gerade eine Fortbildung stattfindet." Flo sieht seinen Kaffeegenuss schwinden, weil er nicht in den Konferenzraum gehen möchte, wenn dort getagt wird. Ich gebe ihm den entscheidenden Tipp, dass die Teilnehmer gerade in einem anderen Gebäudeteil unterwegs sind. Er fängt verschwörerisch an zu grinsen. Und grinse mit und bin froh, dass ich ihn zu dieser kriminellen Handlung überredet habe. Als wäre das ein Beweis dafür, dass ich ihn noch zu anderen Sachen überreden könnte.
Um 13 Uhr gehe ich zu einem Klienten auf die Station. Ich will gerade in sein Zimmer gehen, da sehe ich wie Flo aus einem anderen Zimmer herauskommt. Über 20 Meter werfen wir uns ein "Naaa?" zu. Was sollen diese albernen, völlig identischen Begrüßungsformeln? Wir gehen aufeinander zu und sind uns irgendwie einig, dass wir uns kurz erzählen, was wir gerade machen. Eine inoffizielle Übergabe? Nötig war sie nicht, vom Informationszuwachs her meine ich. Am Stationsplan angekommen durchforstet Flo die Klientennamen. Und er fragt mich bei Frau J., ob das "unsere" Frau J. ist. Ich weiß sofort, wen er meint, und sage ihm, dass es sich um eine andere Frau handelt. In einem anderen Zimmer ist MRSA ausgebrochen, was er bedauert. Ich sage ihm, zu welchem Klienten ich gehe. Ich gebe ihm einige Erläuterungen darüber. Wir haben einen ziemlich starken Blickkontakt. Ich muss öfter mal weg sehen, weil ich Angst habe sonst vollständig rückfällig zu werden. Und dann lächelt er auch noch so charmant dazu. Er sieht mich an ... intensiv. Ich trage wie erwähnt heute Brille. Und er fragt mich interessiert warum. Ich sage ihm, dass ich heute noch auf ein Seminar fahre und es mir dann bis abends zu anstrengend mit den Kontaktlinsen ist. Und er sagt darauf flirtend "Ach so, ich dachte schon du trägst die Brille wegen dem Seminar." In Wahrheit trage ich die Brille, weil sie zu meinem Outfit und einfach top zum Gesamtbild passt. Und weil ich ihn beeindrucken möchte. Nach einer Weile, schwupp, ist er plötzlich noch in ein weiteres Gespräch mit einer Schwester verwickelt. Ich beschließe, dass es für heute genug Kontakt mit ihm war, berühre ihn spontan am Arm, damit er mir nochmal kurz seine Aufmerksamkeit schenkt. Ich dachte spontan, dass das das beste Mittel ist, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Und anfassen will ich ihn ja eigentlich immer. Da er das am Mittwoch ja auch bei mir getan hat (der "Knietätschler"), gebe ich mir die innere Erlaubnis, das auch bei ihm zu tun. Als er mich wieder anschaut, wünsche ich ihm ein schönes Wochenende. Er mir ebenso. Ich denke zu dem Moment, dass das unsere letzte Begegnung heute war, und denke im darauffolgenden Klientengespräch träumend daran zurück.
Als ich das Gespräch beendet habe und die Station verlassen will, stößt Flo erneut zu mir. Er fragt mich im Laufen, ob ich "am Gehen" (Nach-Hause-Gehen meint er) bin und ich bestätige ihm das. Innerlich freue ich mich einfach nur, dass mir noch eine Begegnung mit ihm vergönnt ist. Zunächst schweigen, dann beginne ich, ihm von dem Klienten zu erzählen, mit dem ich eben gesprochen habe. Er ist durch seine Erkrankung in eine finanziell sehr schwierige Situation geraten. Wir bedauern ihn beide, nicht depressiv oder so, sonderneinfach mitfühlend. Wie kommen wir dann bloß wieder auf dieses Parkplatzthema? Fängt er damit an? Ja, vermutlich. Ich fragte ihn gestern, als akuter Platzmangel auf unserem Parkplatz bestand und ich außerhalb parkte, wo er geparkt habe. Er meinte süffisant, dass er sich auf dem Parkplatz in eine mikroskopische Lücke gequetscht habe, in die sich sonst keiner hereingetraut hat. Weil er dann nicht mehr aus der Fahrertür aussteigen konnte, sei er aus der Heckklappe ausgestiegen. Heute nun, meinte Flo plötzlich, dass er neben mir geparkt habe. "Du bist doch FB oder?" Das ist mir ein innerer Lobgesang, dass er meine Autonummer kennt. Als Legastheniker! Wo Buchstaben ihm nicht soviel sagen. Er kann mir sagen, was er will, da ist etwas zwischen uns! Wir albern ein bisschen herum, bis ich ihm in der beschwingten Stimmung schließlich erzähle, dass ich mich heute auch in eine winzige Parklücke gequetscht habe. Wegen dem Seminar hatte ich ziemlich viele, schwere Sachen ins Auto zu packen und ich dachte, ich muss jetzt da rein. Es war eine echt kleine Parklücke. "Ich habe mich an Dich erinnert wie Du Dich gestern in die Parklücke gequetscht hast. Und dann dachte ich: Wenn Du das kannst, dann will ich das auch." Es ist eine sehr alberne bereits-im-Wochenende- Stimmung. Wir verabschieden uns am Ende unseres gemeinsamen Weges nochmals und wünschen uns ein schönes Wochenende.
"It's the best of world's feeling, like nothing can go wrong
Hear the sirens, the world, you catching on
Cause it's your heart, it's alive
It's pumpin' blood"
Ich bin ganz erleichtert und erfreut, dass es so normal zwischen uns sein kann. Und dass mir heute mehrere schöne, kleine Begegnungen vergönnt waren. Und dass ich sprechen konnte in seiner Gegenwart. Wenn ich nur lange genug mit ihm allein wäre, könnte ich sogar locker werden. Er würde vermutlich meinem Charme erliegen. Es würde einfach funktionieren zwischen uns. Aber so wird es nicht sein.
Liebe Grüße,
Eva
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