Montag, 18. November 2013

Gefährlich viel Kontakt

Liebe Mathilda,
 
viel Flo(w) und kein Ende - so könnte das heutige Motto lauten. Ich beginne heute parallel zu und angestiftet von der aktuellen ard-Themenwoche "Zum Glück" meine persönliche Glückswoche. Kann nicht schaden, wenn man sich auf der Suche nach dem Glück befindet. Ich werde diese Woche jeden Tag einen Song, einen Titel, ein Stück posten, mit dem ich persönliches Glück verbinde. Welches sind Deine persönlichen Glückstitel? Und Ihr anderen, die Ihr das hier lest (Nach den Seitenaufrufen zu urteilen, muss es bescheiden gesagt einige viele von Euch geben):
 
Was sind Eure Glückstitel? Postet sie hier.
Lasst uns eine Glücks-Audiothek erstellen.
 
Und nun zu meinem Tag im Flow: Dr. Florian A. Mollis und ich begegnen uns morgens auf der Station. Ich hatte erfahren, das er gestern Abend in die Klinik gerufen wurde, weil einer seiner Patienten nach OP nachgeblutet hatte. Ich frage ihn besorgt-interessiert, wann das denn pasiert sei. "So gegen 23 Uhr haben wir operiert." Er wirkt trotzdem frisch und lächelt. Er fühlt sich wohl, wenn er gebraucht wird und retten kann. Kleiner Narzisst! Wir stehen in einer größeren Runde nebeneinander, dicht nebeneinander, und haben die Arme vor der Brust verschränkt als wir miteinander sprechen. Warum auch immer. Macht wohl Sinn, die Arme unter Kontrolle zu halten, wenn wir uns so nah sind. Unsere Ellenbogen berühren sich mehrmals (hihi). Keiner (denke ich zumindest) außer uns beiden bekommt das mit. Ich muss diese zufälligen Berührungen ausbauen und demnächst noch andere Körperteile einbeziehen. Und ich meine das eher harmlos (Arme, Knie, Kopf, Haare - ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen - Das wärs! - Meine Fantasie geht mit mir durch), wenn du jetzt an "den Schritt" denken solltest. 
 
Mit dem guten Kontakt geht es weiter während der ganzen großen Visite. Ich frage, er antwortet. Er fragt, ich antworte. Ein Geben und ein Nehmen. In aufgelockerter Stimmung wird es mit der Contenance nicht mehr so genau genommen und Flo baut eine abfällige Bemerkung der Assistenzärztin über die Socken einer Patientin aus. Betty´s Kommentar dazu: "Das muss auf die Minusliste." Gemeint ist eine imaginäre Liste von Flo´s negativen Eigenschaften, um ein realistischeres Bild in meine rosarot gefärbte Welt zu bringen. Frei nach Syrius Black´s Ausspruch: "If you want to know what a man´s like, take a good look at how he treats his inferiors, not his equals." Und das gilt auch für Flo, von dem ich nicht mal weiß, ob er sich je mit Harry Potter beschäftigt hat. Es tut so gut hier jemanden wie Betty vor Ort zu haben. Jemanden, der Bescheid weiß und eine gute Freundin ist. Sie passt an den Stellen auf mich und mein Gefühlsleben auf, an denen ich nicht mehr aufpassen kann. Liebe Betty, wenn Du das hier ließt: Danke für das Zuhören und für das Lachen. Danke für die Minusliste und deine sanften Tritte in den Hintern, wenn ich mal wieder ins Rosarote abdrifte. Danke für die Vielzahl an Dialekten, die Du in unseren Sprachgebrauch bringst. Es kommt mir vor als würden wir schon ewig zusammenarbeiten!
 
Betty ist auch während des gefühlt längsten Gespräches mit Flo im letzten halben Jahr anwesend, das dann folgt. Länger war nur mein "verwerfliches" Treffen mit ihm. Das kam so: Betty und ich genehmigen uns nach der Visite einen Kaffee im Aufenthaltsraum. Ich will gerade den Fortbildungsplan für das nächste Jahr mit ihr durchgehen, da kommt Flo herein, um sich ebenfalls einen Kaffee zu nehmen und sich hier häuslich niederzulassen. Betty sitzt zwischen Flo und mir. Ich habe eine gute Position zum Ihn-Anschauen und stoße unterm Tisch aus Versehen (wirklich!) an seine Füße. Flo sieht den Fortbildungsplan auf dem Tisch und sagt:
 
Flo: "Ach komm, keine fachlichen Themen hier in diesem Raum." Ich weiß, dass das ein lustiger Bezug auf ein Urgestein von Schwester ist (nennen wir sie einfach "Brunhilde"), die Fachgespräche im Aufenthaltsraum rigoros unterbinden möchte. Ich sage lustvoll-herausfordernd:
 
Eva: "Ok, dann fang doch an mit was Privatem." 
 
Zunächst mal bietet er Betty das "Du" an, dass sie gerne annimmt. Vielleicht will er auch ein bisschen abschätzen, woran er bei ihr ist. Muss ich sie mal fragen, was sie von dem ganzen Kontakt hält. Das Gespräch geht ganz unfachlich - denn das halten wir die ganze halbe? Stunde ein - um Wohnsituationen, Kinder, frühere Arbeitsstellen. Es bietet sich die Chance, Antworten auf Fragen zu bekommen, die ich mir seit 1 Jahr stelle. Am vergangenen Freitag vor genau einem Jahr erzählte ich ihm erstmals von meinen Gefühlen. Seitdem frage ich mich, was so schwierig in seiner früheren Lebenssituation war oder was so schön an seiner jetzigen Lebenssituation ist, dass er mit Kind und Kegel umgezogen ist usw. Insbesondere er schien unglücklich gewesen zu sein auf dem riesigen Grundstück, auf dem die Familie lebte. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es auch in seiner Ehe gekriselt hat. Er beschreibt ein wirklich schlimmes Szenario der "perfekten" Kleinstadtidylle mit einer um jeden Preis aufrechtzuerhaltenden Fassade. Die Nachbarn beschreibt er als eine übergriffige, dominante Frau und einen muskulösen, aber gebrochenen Mann. Trotz dass dieser Mann soviel muskulöser gewesen sei als er selbst (ja, ja, bescheidener Schleimer) hätte er sich so kleingemacht oder machen lassen. Das scheint wohl seine persönliche Horrorvision von sich selbst zu sein. Flo und seine Frau (die bei einer Unterhaltung über das Privatleben natürlich (und leider) auch immer Thema ist - schwer auszuhalten!) hätten einen Umzug immer wieder verschoben. Als der Garten einmal nach Ansicht der Nachbarn "nicht richtig" gepflegt gewesen war, wäre es genug gewesen. Flo meint, dass man jedes Jahr überprüfen sollte, ob man glücklich ist, wie man lebt. Sehr passend zur Glückswoche. Und wie macht man das? Indem man sich über seine Gefühle klar wird und dazu steht? Mir fällt zur perfekten Kleinstatdidylle Randy Pausch ein und ich sage: "Es spielt keine Rolle, ob man das Treppengeländer von unten poliert." Ich berichte auch einiges von mir (wo ich wohne, wo ich laufe, wie unser Kiez so ist, was ich über Migranten und die beiderseitige Toleranz denke usw.), erwische mich dann erfolgreich dabei als ich ins Fachliche abdriften will, und schaffe es, (Trommelwirbel) eine private Unterhaltung mit ihm zu führen! Ich bin stolz auf mich. Er fühlt sich offensichtlich wohl, verspeist ein Riesenstück von diesen noch riesigeren italienischen Kuchen. "Du hast wohl nicht gefrühstückt?" fällt mir dazu ein. Er stimmt zu und Betty und ich können ihn noch etwas bedauern, dass er heute nicht zum Frühstück gekommen ist, wo er doch bis nachts in der Klinik war. Der Arme! Wir sehen uns stellenweise VIEL zu lange an. Und er macht ganz vorsätzlich mit! So ein Mistkerl, aber ich will das ja so gerne. Oh Gott, wo soll das bloß hinführen? Es ist spaßig und doch tiefgründig, locker und leicht. Ich genieße das total. Wo ist Betty, die doch auf mich aufpassen soll?
 
Gefährlich viel Kontakt für jemanden, der sich gerade zu entwöhnen versucht. Und doch so aufregend. Mit Flo im Flow geht also weiter.
 
Liebe Grüße und bis später, wenn ich mein heutiges Glückslied poste,
Eva

3 Kommentare:

  1. hatte f sich eigentlich damals gegen eine affäre mit dir oder grundsätzlich gegen affären ausgesprochen oder hatte er sich gegen gar nichts ausgesprochen? kann mich nicht mehr erinnern...
    liebe grüße
    mathilda

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  2. Super Frage! Tja, wenn ich das wüsste, wäre ich ne ganze Ecke weiter.

    Ich hab so viel über die wenigen Dinge, die er dazu gesagt hat, nachgedacht, dass ich es gar nicht mehr so recht weiß. Er hat jedenfalls nie gesagt, dass er weder mit mir noch mit jemand anderem eine Affäre eingehen würde.

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  3. Wie süß ist das denn?
    Wie wundervoll Klinikalltag sein kann, weiß ich auch erst seit uns. Passt alles so gut als ginge es nicht anders. Schön eingetütet! Danke für die lieben Worte, deine Geduld, deine Lust. Bis morgen, ich drück dich. Let´s burn the fire together!
    Betty

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