Liebe Mathilda,
na, hast Du den Action- und Romantik-Flash vom Mittwoch verdaut? Die "Tribute von Panem" erwecken bei mir neben der typischen "Ich-kann-mich-nicht- entscheiden-welchen-Mann-ich- mehr-begehre"-Schmachtfaktor auch schlummernde Aggressionen auf alle Arten von Diktatoren und kritischen Gesellschaften. Ich habe übrigens vergessen, Dir das Kinogeld zu geben und fühle mich ganz schuldig (aber nur weil mein Schuld-und-Sünden-Cluster gerade aktiviert ist - dazu später). Ich gebe Dir das Geld spätestens wenn wir uns wiedersehen.
Und bei mir heute? Ganz anders als erwartet und viel besser als angenommen.
Ich treffe Flo bereits als ich auf die Station komme. Er begegnet mir aus der Teeküche kommend (sieht im Vorbeirennen einfach zum Anbeißen aus) und hat dort gerade sein mitgebrachtes Mittagessen deponiert. Ich sehe ihn und bekomme einen Scheiß-Schmetterlings-Alarm im Bauch. Wir begrüßen uns mit nettem Augenlächeln und gehen weiter, um uns später wieder zu begegnen. Mein Chef,, der mir ebenfalls über den Weg läuft, bittet mich heute morgen, die allgemeine Dienstbesprechung zugunsten der kleineren Stationsbesprechung sausen zu lassen, weil er anschließend in den OP müsse. Da die kleine Stationsbesprechung heute nur aus dem Chef, mir selbst und Prinz Flo bestehen würde, kannst Du Dir vorstellen, was meine Antwort war. Ich habe versucht, nicht allzu euphorisch zu erscheinen.
Wir treffen also zu dritt im Behandlungszimmer aufeinander. Der Chef nimmt zwischen Flo und mir Platz. Flo sitzt mir schräg gegenüber, unsere übergeschlagenen Beine berühren sich fast. Und er trägt wirklich häßliche braune Schuhe mit ner Hose und Socken, die so gar nicht dazu passen. Heute morgen wohl farbenblind gewesen? Und ich habe die "Warze" gesehen. Sie ist klein, aber sie wird größer werden. Betty fragte mich heute, was ich denn von einem Typen will, der tagtäglich in menschlichen Körpern herumwühlt? Das erinnerte mich an Deine Aussage, dass Dir Männer suspekt seien, die Dich besser von innen kennen als Du selbst. Ja, da ist schon was Suspektes dran... Ich bin damit noch nicht durch, mir über die Art der Suspektheit noch nicht im Klaren. Ich habe ja nicht vorsetzlich einen Arzt gesucht, sondern völlig unnötigerweise einen Mann gefunden, denn ich habe ja schon einen. Soviel zu den Zweifeln, die Betty hier streut und die ich mir selber durchaus auch heranziehe. Sehr bereichernd! Aber zurück zu unserer Besprechung: Mein Chef lobt mich in bezug auf eine bestimmte Klientin. Ich sage "Danke" ohne rot zu werden. Bescheidenheit habe ich in den letzten Monaten wohl etwas abgelegt. In unserer kleinen Besprechungsrunde treffen schon interessante Persönlichkeiten aufeinander. Was soll das sein? 3 Narzissten unter sich? Jeder in seinem fein säuberlich abgesteckten Bereich, aber es gibt Überschneidungen. Ich liebe Überschneidungen mit Flo. Ich habe bemerkenswerten Blick- und Lächelkontakt mit ihm und denke: Der muss doch was merken. Und warum guckt der immer so? Der hat doch was. Naja, keine Ahnung. Ich werde es nicht rausfinden, ohne dass ich in zur Rede stelle. (Das kontrollierte Weichei wird von allein nichts von sich geben.) Und das werde ich ganz bestimmt jetzt nicht tun. Gefällt mir gerade zu gut wie es zwischen uns läuft.
Irgendwann verabschiedet sich der Chef in den OP. Flo und ich bleiben übrig und fühlen uns gar nicht verloren. Wir gehen aus dem Behandlungszimmer und sprechen über weitere Patienten während wir uns nahezu schlendernd über die Station bewegen. Der Arme war hier gestern ganz alleine und hat Station und Ambulanz gerockt. Er übergibt mir einige Informationen und ich halte seinem Blick stand. Sehr schön, nur mit meinen Armen weiß ich irgendwie nie wohin. Wo wir schon mal hier sind, können wir auch gleich die gemeinsame Visite beginnen. Es folgt eine Exklusiv-Visite mit nur uns beiden allein. Es ist schön und so einfach mit ihm. Es hat nicht den Anschein von Arbeit und doch ist es welche. Das beste kommt jedoch nach der Visite, nach der wir gemeinsam von der Station in einen anderen Kliniktrakt gehen. Er denkt laut über eine Klientin nach, die laut ihrer eigenen Aussage "1 Jahr lang im Sessel gesessen hat", weil sie nicht liegen konnte. Er fragt sich, was passieren muss, dass man sich so vernachlässigt, so mit sich umgeht. Er denkt dabei an "Sieben" (den Film mit Brad Pitt über die 7 Todsünden). Ich weiß nicht in welcher Rolle er die Patientin sieht, aber sinngemäß meint er, dass eine Erklärung für solch eine Vernachlässigung eine "Sünde" sein könnte. Interessant, dass er zum Sündenthema schwenkt. Ich höre ihm sehr interessiert zu, finde seinen Gedankensprung aber schon echt krass. Wir rempeln im Treppenhaus ständig aneinander, was einen sehr vertrauten Eindruck macht. Ich remple gern und oft mit ihm und er wohl auch mit mir. Sind das Zärtlichkeiten zwischen Menschen, die anders nicht zusammenkommen können? Jedenfalls hält er keinen Abstand, Das scheint / ist kein Zufall. Bin ich für ihn einen sündhaften Gedanken wert? Immerhin, ich fange nicht mit dem Thema an. Bei ihm ist es aktiviert und er redet davon. Ich sage darauf zu ihm, dass es doch gut ist, wenn einem die vermeintlichen Sünden bewusst sind, da man dann das angeblich sündhafte Verhalten ändern oder seine Kategorien für "Sünde" überdenken könne. Es ist super, dass sich das sowohl auf die Patientin als auch auf ihn und natürlich auf mich münzen lässt. Und ich glaube es saß. Es soll ihm zeigen: Hey, ich bin im Reinen mit mir, habe Dir sehr deutlich und offen gesagt, was ich von dir möchte. Mit dem Rest musst Du klarkommen und Dich entscheiden. Kurz danach gehen wir durch eine Tür und rempeln uns erneut an. Wie schön: Nonverbal das ausdrücken, was verbal nicht gesagt wird. Das Gespräch läuft weiter. Flo schimpft jetzt auf die versteckten Aggressionen der Stationsschwester, mit denen er ja so gar nicht kann. Ich grinse in mich hinein. Offen Gefühle äußern, offensichtlich ein Thema, mit dem er kämpft.
Kurz bevor wir wieder vor der Teeküche ankommen, frage ich ihn "Und, noch Zeit für nen Kaffee?" Ich weiß, dass er eigentlich sofort weiter in seine Sprechstunde muss, traue mich aber trotzdem zu fragen. Er kann...und kippt sich kurz einen Kaffee mit mir (hinter die Binde) :-). Ich gieße ein und teile brüderlich. Er sagt:
Flo: "Das ist total lieb von Dir." und blickt mir tief in die Augen.
Bitte, ich habe Dir ja nur Kaffee eingegossen und keinen Heiratsantrag gemacht. Manchmal kann selbst ich ihn nicht an Theatralik übertreffen. Ich gehe da nicht weiter drauf ein, denn zu gut kenne ich solche emotionalen Äußerungen von ihm, die nur eines bewirken: meine Erwartungen hochschrauben und mich erneut hoffen lassen. Ich will die Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenken und mir fällt sein bald bevorstehender Vortrag ein:
Eva "Du, ich habe da noch einen Haufen Plakate für Deinen Vortrag nächste Woche. Möchtest Du noch irgendwo welche aufhängen?"
Flo: "Nee, lass mal..." grinst er bescheiden in sich hinein, um dann flirty anzuhängen "...vielleicht im Einkaufszentrum bei mir, damit ich ein bisschen bekannter werde?" Er funkelt mich flirtend an. :-))))))
Eva: "Ja, zum Beispiel." gebe ich grinsend zurück "Du bist dann nächste Woche bei Deinem Vortrag..."
Flo: "Das ist schon nächste Woche?" Das meint er jetzt nicht wirklich, oder?
Eva: "Nächste Woche ist Dezember." Ach nee, der Florian. Mal wieder keinen Zeitplan. "Was ich sagen wollte, ist, dass ich ... nächste Woche ... bei Deinem Vortrag nicht wie sonst dabei sein werde. Ist das ... ich meine (stammel) ... bekommst du das hin?" Blöde Frage, wenn ich mir das jetzt überlege. Er ist ja kein Schuljunge (oder doch?), dem man das Referieren erklären muss. Aber Flo antwortet brav:
Flo: "Ja, das kriege ich hin." Ich wollte ihm damit eher die Gelegenheit geben, entweder entspannt an den Vortrag zu gehen (weil ich nicht dabei sein werde) oder dass er mich ja hätte drum bitten können anwesend zu sein oder wenigstens enttäuscht hätte sein können. Ja, und die letzte Alternative ist mal wieder mein scheiß romantisch verklärtes Bild von ihm: Wird er ohne mich leben können und seinen Vortrag halten können? Wer solch häßliche Schuhe trägt, den kann auch das nicht erschüttern!
Ich find mich insgesamt ziemlich toll, dass ich gerade so guten, lockeren und Lust-auf-mehr-Kontakt zu ihm habe, der trotzdem nicht unterwürfig erscheint, sondern im Gegenteil eher die Spannung anheizt. Denn die ist unbestritten da.
Liebe Grüße von Eva
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