Wenn es im Team Probleme gibt, kann das verschiedenste Ursachen haben. Zuviele neue Aufgaben, zu wenig neue Aufgaben, ein neuer Chef, änderungsresistente Mitarbeiter, das Aufeinanderprallen von Alpha- und Omega-Männchen, mitunter auch Mitarbeiter, die sich zu gut verstehen? Dieser letzte Punkt schien mir in der Literatur über Gruppenprozesse bisher nicht berücksichtigt. Mobbing und Bossing sind praktisch in aller Munde, aber was ist mit "Doting", wie ich jetzt einfach mal "mein Gruppenproblem" betitele?
Dies als theoretische Einführung nach einem ganz praktischen Tag, der sowohl auf meiner als auch auf Konstantins Arbeit interessante Prozesse nach der Einführung eines neuen Chefs mit sich brachte. Bei mir sah das folgendermaßen aus: Am Dienstag sitzen Flo und ich
zusammen im Pausenraum und sind in ein
Gespräch über die politischen Orientierungen unserer Generation
vertieft. Im unserem Team gibt es eine aktuelle Konfliktsituation, in der die Mitbestimmung bei Entscheidungen angezweifelt und kritisiert wird. Er formuliert
etwas spitz, dass es ja auch schwierig sei, Demokratie
einzuschzuschätzen, wenn man sie in dem System, in dem man aufgewachsen
sei, nicht erlebt habe. Ich sage ihm, dass das "böse" ist. Schließlich
wäre das genauso als würde man einem Kardiologen vorwerfen, das er selbst
noch keinen Herzinfarkt hatte - oder wird das jemals in Frage gestellt? Er
meint darauf, dass er das vor dem Rest des Teams auch nie so
formulieren würde, er bei mir jedoch das Gefühl habe, er könne mir das
so sagen. Und nun ist die Frage: WARUM? Warum glaubt er, mir sowas
erzählen zu können? Weil er Vertrauen zu mir hat? Weil er weiß, dass ich
schweige wie ein Grab? Weil er denkt, das verletzt mich nicht? Er muss
wissen, wo ich sozialisiert bin und dass hier Ost auf West trifft. Die
Geschichte ging weiter als er sich heute vor dem gesamten Team dazu äußerte.
Nun natürlich nett verpackt und charmant wie immer. Nachdem sich die Runde aufgelöst hatte,
blieben er und ich noch kurz sitzen. Ich sitze leicht
hinter ihm als er sich zu mir umdreht und mich verschmitzt anlächelt. So mit einem
verbotenen Augenaufschlag von unten. Ganz tief unten. In Filmen wird so etwas in Slow motion gezeigt, wenn Ihr wisst, was ich meine. Und unsere
Gesichter waren sich in dem Moment eigentlich ein Stück zu nah für
Kollegen. Und wieder dieselbe Frage, ob ich da etwas
hineininterpretiere? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lässt sich alles
in eine beliebige Richtung interpretieren. Ich lobe ihn und sage, dass
er das mit der Demokratie ja gut formuliert habe. Ich habe große Lust ihn etwas zu necken und schiebe noch hinterher, dass er sich sicherlich
den ganzen Abend darüber Gedanken gemacht hat. Er steigt darauf ein und fragt schlagfertig "Hast Du gezittert?" Ich denke "Ich zittere bei ganz anderen Gelegenheiten" und sage sehr cool "Bestimmt nicht."
Ich weiß nicht... Wenn ich das hier so aufschreibe, klingt das doch sehr
flirtend. Auf jeden Fall ist da eine Ebene, die nicht nur Kollegen-sein
ausmacht. Heißt also flirten! Ich lass das jetzt mal so stehen und gehe davon aus, dass es flirten ist. Was bedeutet das für uns als Team? Zu große Sympathie kann genauso eine Irritation sein wie Meinungsverschiedenheiten, Machtgerangel usw. Es ist ein lösbares Problem, wenn sich Mitarbeiter unsympathisch sind (Sie müssen ja nicht zusammen leben, sondern nur sachlich zusammen arbeiten). Was aber, wenn sich Mitarbeiter so sympathisch sind, dass es ein unvorhersehbares Problem werden könnte? Rational sage ich mir, dass das keine gute Entwicklung ist. Emotional kann ich mich nicht erwehren, dass es etwas sehr, sehr Schönes ist. Engelchen und Teufelchen sind meine ständigen Begleiter.
Schauen wir uns die Phasen der Gruppenbildung (Warren Bennis - Gruppenphasenmodell) an, so wird zwischen Dependenz- und Interdependenz-Phase unterschieden. In der Dependenz-Phase setzt in neuen Teams zunächst ein Orientierungsprozess ein. Auf der Suche nach neuer Ordnung wird versucht, die Erwartungen des neuen Chefs zu erfüllen. Nach dieser Phase setzt der Kampf ein, in dem die Machtstellung des Chefs in Frage gestellt wird. Das Team spaltet sich oft in zwei Teile, von denen der eine Teil versucht, Ordnung herzustellen und der andere Teil sich widersetzt. Das geht so lange bis sich alles etwas beruhigt und man ein gemeinsames Ziel (oder einen neuen Chef) findet. In der Interdependenz-Phase wirds dann noch schlimmer: Das Team idealisiert sich selbst und grenzt sich nach außen hin ab (In dem Stadium stecke ich mit Flo fest und das ist so wunderbar, dass man gar nichts daran ändern möchte). Doch der Gruppenexperte weiß, dass danach die große Entzauberung und eine konstruktive Konsensbildung kommen. Fürs erste genieße ich mal noch die Idealisierung, den Kampf gegen den Rest der Welt, die zutiefst sinnvolle Arbeit neben einem mir unheimlich sympathischen Kollegen. Warum nur soll es verkehrt sein, wenn Arbeit Spaß und Freude macht. Es sind die kleinen Begegnungen, die für einen großen Teil des Wohlbefindens verantwortlich sind. Heute gehe ich früh am Morgen und bereits in Arbeitskleidung über das Klinikgelände. Ich raffe meinen Kittel zusammen, so dass die kalte Morgenluft nicht so hineinpusten kann. Was soll das bei mir Frostbeule erst im Winter werden? Und ich spüre förmlich wie er zur gleichen Zeit aus seiner Tür auf den Hof heraustritt. Er ist nur 20m hinter mir. Ich bemerke die Schritte. Seine Schritte. Ich kenne sein Schrittmaß, sein Auftreten und drehe mich um. Ich genieße seinen Anblick wie einen schönen Werbefilm (Florian - der "Prächtige" passt hier prächtig), warte auf ihn, begrüße ihn. Was nun? Eine Bemerkung über das Wetter? Ich bemerke, dass mir kalt und es morgens schon richtig herbstlich ist. Er darauf, dass er heute sein neues Timberland-Fleece anhat, das sooo schön warm ist. Ich deute so scherzhaft auf seinen stets feinsäuberlich zugeknöpften Kittel, der wirklich - da körperbetont - wenig Spielraum für wuchtige Oberteile lässt und sage scherzhaft "Den hast Du doch da wohl nicht drunter?" Das ist nun eindeutig flirten. Warum sonst sollte ich so mit einem leitenden Arzt sprechen? Für mich ist er in der Situation aber nicht der leitende Arzt, sondern einfach Flo, der mich fasziniert. Es ist ja auch nicht mein Vorgesetzter. Vielmehr sind wir auf einer Ebene und das leben wir auch. Er erzählt mir im Weitergehen, dass er kalte, klare Luft so mag und bereits in Urlaubsstimmung ist. Er plant eine Reise mit seiner Frau und den Kindern, um mal in Erinnerung zu bringen, dass das alles ziemlich aussichtlos ist. Flirten ist erlaubt solange nicht mehr passiert. Manchmal komme ich mir schon ziemlich schäbig vor, dass ich das alles so genieße. Und ich bin so undankbar für das, was ich habe. Und Konstantin gegenüber finde ich es einfach nur schrecklich. Wenn ich mir überlege es wäre umgekehrt. Und dann werden die Gedanken so schrecklich, dass ich versuche sie auszublenden und sage mir beruhigend, dass ich ja nichts Unrechtes getan habe. Ich habe mich ohne mein besonderes Zutun verknallt, verliebt und nun genieße ich dieses Gefühl etwas, wo es schon mal da ist. Solange bis es vorbeigeht oder zu sehr weh tut. Das Leben ist zu kurz, um nicht zu genießen. Also genieße ich!
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