Montag, 27. August 2012

Abwehrzauber

Es ist mal wieder soweit! Ich hatte es seit ich mich der Seelsorgerin anvertraut hatte scheinbar im Griff, war auch millimeterweise von meiner rosaroten Wolke heruntergekommen, habe den Moment genossen ohne groß an die Auswirkungen zu denken, aber nun ... habe ich wohl wieder ein bisschen viel Adele gehört. Und Frau Adele zeigt einem ja so eher das große Ganze und meist tragische Leben auf. Während ich auf die Arbeit fahre, kann ich ganze 8mal "Someone like you" hören. Allein, dass ich das weiß, bedeutet nichts Gutes. Ich habe es mehrmals ausprobiert und jeweils lauthals mitgesungen.
Was ist passiert? Montag ist meist ein außerordentlicher Visitentag. Mit ihm! Und er ist wirklich sehr an meiner Anwesenheit interessiert ... als Therapeutin natürlich. Ach ich weiß nicht. Er sah heute umwerfend aus. Augen fixieren mich, ich fixiere zurück und führe dabei fachlich-intelligente Gespräche. Hinter dieser fachlichen Fassade kann ich mich gut verstecken. Wenn es dagegen um Small talk geht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Besonders wenn noch andere Mitarbeiter dabei sind, komme ich mir wie ein unsicherer Teenager vor. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Muster 20 Jahre jenseits der Pubertät noch immer aktiv werden können, wenn etwas - ein Flo - ins Schwarze trifft. Manchmal - wenn ich mit ihm allein bin - kann ich lockerer sein. Ich wusste es in dem Moment als wir uns heute in den Beratungsraum zurückzogen und er die Tür hinter uns schloss, weil wir in eine Klientenakte schauen wollten, dass ich später schmachtend daran zurückdenken würde. Und ich genoß es. Er fand im PC nicht gleich die Informationen, die er suchte, und ich wies ihn daraufhin, wo er sie finden könnte. Als er mit meiner Hilfe tatsächlich auf die Infos stieß, übertrieb er spielerisch, dass er beeindruckt von mir sei. Ich darauf "Naja, ich suche ja auch schon 4 Jahre." Wir saßen ziemlich nah beieinander, um gemeinsam in die Akte zu schauen; peinlich genau den Abstand wahrend, so dass wir uns nicht berührten, und doch näher als üblich. Ich glaube er hat keinen Schimmer von meinen Gedanken, was auch gut so ist. Bezugnehmend auf meine bereits langjährige Berufserfahrung mit dieser Art von Akten wurde er persönlicher und beichtete mir, dass er sich in seiner noch immer anhaltenden Probezeit unsicher fühle. Warum sagt er mir sowas? Vermutlich weil es ihn beschäftigt. Muss schon ein großer Druck sein, wenn er mit seiner gesamten Familie hier neu anfängt. Ja, ich kann ihn schon gut verstehen. Und dass er mir das erzählt, macht ihn nur noch sympathischer. Ich glaube er könnte mir so ziemlich alles erzählen, ich würde es immer hinkriegen, es positiv einzuordnen. Nein, es ist auch dieses Bild vom selbstbewusst-aroganten Arzt, was sich langsam verändert. Im Grunde ist er wohl auch unsicher, fühlt sich erfahreneren Kollegen (und Therapeuten?) unterlegen. Er ist ja auch nur ein Mann Ende 30.

Ich frage mich, ob ich mit ihm flirte. Und wenn ja, ob er das merkt. Das frage ich mich ständig. Einerseits möchte ich das unbedingt, andererseits auf keinen Fall. Und das ist schlichtweg unlösbar. Flirten wird ja wohl erlaubt sein. Ich glaube schon, dass ich ihm sympathisch bin. Aber ich muss mich schon ziemlich zusammenreißen, meinen Arbeitsort nicht danach zu entscheiden, ob ich in seiner Nähe sein kann, sondern danach ob es fachlich nötig ist. Ich kann es nicht verhindern, dass mir etwas fehlt, wenn er nicht wie gewohnt anwesend ist. Ich erkenne seine Schritte, spüre wenn er herannaht. Ich muss aufhören mich da so hineinzusteigern. Die Seelsorgerin hat schon recht. Und doch ist es so aussichtslos, traurig schön.






Und dann komme ich mir wieder so schlecht vor. Weil ich eine kleine Familie habe, die mich so sehr liebt und die ich auf keinen Fall aufgeben möchte. Ich versuche es wirklich. Ich präpariere meinen Schreibtisch mit Familienbildern, trage Schmuck, den mir Konstantin geschenkt hat, um mich immun gegen Flo zu machen. Fast wie ein Abwehrzauber. Ich habe versucht Konstantin meine Wünsche mitzuteilen und ihn mehr an meinem Tag, an meiner Arbeit teilhaben zu lassen. Und er ist wirklich so bemüht, dass mich dass echt berührt. Ich lese in alten Tagebüchern, um an unseren Ursprung zurückzukehren. Gestern fand ich eine Eintragung über den Irlandaufenthalt 2007 und fühlte mich ganz davon erfasst und erwärmt. Und ich erinnerte mich wieder an Konstantins Knopfaugen, die ein zentrales Thema in meiner Zuneigung zu ihm darstellen. Mir ist bewusst, dass ich das Gefühl der Verliebtheit nicht konservieren kann, dass Liebe nur entstehen kann, wenn die euphorischen Gefühle vom Anfang vorüberziehen und trotz oder gerade deswegen ein großes Gefühl entsteht.

Ich mag mich nicht zwischen Liebe und Verliebtheit entscheiden müssen. Die Verliebtheit fühlt sich vermutlich so besonders an, weil sie nicht so ausdauernd wie die Liebe ist und man sie damit seltener erlebt, aber letztendlich kann weder das eine noch das andere wertvoller sein. Verliebtheit hat keinen Bestand (Es wird jedoch von Einzelfällen berichtet, in denen das Schmachten aus der Ferne zu einer ewigen Aufrechterhaltung dieses Gefühls führte. Aber wer will das denn?) und geht in Liebe oder gar nichts über. Da der Zustand der Verliebtheit "dem Körper eine ungeheure Anstrengung abverlangt und auch die Psyche nicht schont, lässt er sich naturgegeben nicht ewig aufrechterhalten. Drei Jahre Verliebtheit gilt als das Maximum der Gefühle, drei bis zwölf Monate als der Durchschnitt." (Richard David Precht). Für den gesunden Menschen klingt das vermutlich absurd, aber ich überlege tatsächlich, ob ich nicht beides haben könnte. Wie soll das gehen?

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