Freitag, 31. August 2012

Pubertäts-Cluster

Ich fasse es nicht. Ich platze bald! Dies beschreibt wohl ganz gut meinen Zustand nach einer abgeschlossenen Arbeitswoche. Weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Was ist eigentlich alles passiert? Nichts und doch alles. Es ist wahrscheinlich gut, dass Flo jetzt erstmal im Urlaub ist. Das Wort "wahrscheinlich" sagt schon alles. Kopf sagt: Es ist besser so; Herz fragt: Wie soll ich die Zeit ohne ihn überstehen? Ich bin mir weder sicher, was gut für mich ist, noch wie er zu mir steht. Er sucht meine Nähe. Er findet es wahrscheinlich angenehm mit mir zu arbeiten. Er erzählt mir private Dinge. Das sind seine unabstreitbaren Verhaltensweisen mir gegenüber. Nun zu deren Interpretation:



Wir begeben uns heute morgen auf die Visite, die irgendwie nicht in Gang kommt, weil Klienten nicht anwesend sind, Akten fehlen, wir beide mehrere Sachen gleichzeitig machen oder sonst noch was. Es ist etwas konfus. Einzig eine histrionisch anmutende Klientin, die heute entlassen werden sollte, trefen wir an. Ihre Vorstellung ist filmreif. Und im Anschluss an die Visite müssen wir tatsächlich über ihre "Darbietung" so herzlich lachen. Lachen tut so gut. Gerade in einem Arbeitsfeld, wo es stets um existentielle Fragen geht. Auch wo gestorben wird, hört das Lachen nicht auf. Das stelle ich mal als provokante These auf.
In unsere heitere Atmosphäre platzt dann plötzlich diese Ärztin, die mich mindestens so histrionisch wie die Klientin begrüßt (überschwengliche Umarmung und dabei dieses leichte Kreischen, was an Rudimente pubertärer Freude beim Anblick der besten Freundin erinnert) und mir mit theatralischen Schilderungen augenblicklich eine ihrer Klientinnen überhelfen will. Flo und ich grinsen in uns hinein. Er checkt die Situation sofort und fragt mich süffisant grinsend, ob er mir gleich mal den Konsilschein für besagte Klientin ausfüllen soll. Ich funkle ihn an: "Danke auch!" und trete ihm gedanklich auf den Fuß. Oh, wenn ich das hier so lese, flirte nicht nur ich mit ihm, sondern er auch mit mir. 
Später - als mich dann doch das schlechte Gewissen erreicht, ob die theatralische Klientin der histrionischen Ärztin nicht doch meine Hilfe braucht - wird Flo ganz ernst und entlastet mich von meinem Schuldgefühl, weil ich nicht gleich zu der Klientin hingestürzt bin. Er berichtet kurz, dass er selbst bei besagter Klientin gewesen sei. In seiner unvergleichlich empathischen Art und Weise. Das kann er wirklich gut. Und ihr kriege natürlich Mitleid mit der Klientin und frage mehr mich selbst als ihn "Oder soll ich doch noch mal zu ihr gehen?" Er darauf "Nein" und bestätigt mich in meiner prä-empathischen Entscheidung, sie nicht noch einmal aufzusuchen. Außerdem sagt er, dass die Ärztin grenzüberschreitend gewesen sei und dass das ja mal gar nicht gehe. Ist ja süß: Er beschützt mich!

Zwischen zwei Klienten erzählt er mir schon mal private Dinge. Er öffnet sich und gewährt mir Einblicke, von denen er nicht weiß, was er damit bei mir auslöst. Es war alles so stimmig. So als seien wir ein eingespieltes Team, zwei Menschen zwischen denen es einfach funktioniert. Er erzählt, dass er schon als Junge - "Wie süß!" (Die Formulierung habe ich wahrscheinlich zuletzt mit 14 verwendet, aber das kennzeichnet nur meinen geistigen Verwirrtheitszustand) - vor Beginn des Urlaubes immer gerne seinen Koffer gepackt habe und eine besondere Freude daran hätte, möglichst viel Gepäck auf kleinem Raum zu verstauen. Er sei ein Meister im Verstauen. Klingt schon ein bisschen zwangsgestört. Er erzählt auch, dass er das Gefühl habe, seine Frau dieses Jahr mit all der Arbeit allein zu lassen. Und nun müsse sie all die Sachen für den Urlaub ohne ihn packen. Dies war ein so wichtiger Punkt für ihn, dass er selbst darüber schmunzeln musste. Er lasse seine Frau mit so vielen Aufgaben allein, aber Sorgen mache er sich ausgerechnet darüber. Und alles, was er über sie sagt, klingt sehr liebevoll. Und das freut mich ehrlich für ihn. Ich bin schon komisch. Was will ich eigentlich? Ist jetzt nicht die Frage. Kann ich sowieso nicht beantworten. Anschließend treffen wir beim Gang auf eine andere Station irgendeinen Sicherheitsmenschen des Unternehmens, der Flo - seines Zeichens (zwangsgestörter) Sicherheitsbeauftragter unseres Bereiches - belehrte, den Reanimationskoffer regelmäßig zu überprüfen. Kontrollieren sei nicht so seins meinte er darauf zu dem Sicherheitsmenschen. Und ich denke so bei mir, dass das ja nun mal gar nicht hinhaue, sage aber schließlich "Außer wenn es darum geht, Koffer zu packen.", um ihn scherzhaft an seine zwanghafte Komponente zu erinnern. "Das ist privat." entgegnet er mir ebenso scherzhaft schlagfertig. Es ist immer gut, so etwas aufzuschreiben, denn hierbei frage ich mich: Was bekommen andere Menschen von dem Flirten mit. Wer Augen im Kopf hat, wird es merken?

Einen Trumpf habe ich mir aufgehoben, um ihm ein letztes Mal begegnen zu können bevor wir uns für die lange Zeit des Urlaubes nicht sehen werden. Es ist die Glückwunschkarte zur Hochzeit einer Kollegin, die ich organisiert habe. Flo wollte noch unterschreiben und etwas Geld für das Geschenk dazugeben. Ich überlege hin und her. Es wird später und später. Ich habe ihn in ein anderes Gebäude gehen sehen, weiß nicht wo er ist. Ich hoffe darauf, dass er nochmal in unserem gemeinsamen Behandlungsbereich zu tun hat. Ich will ja unseren Kontakt nicht überstrapazieren, ihn nicht nerven. Schließlich nehme ich allen Mut zusammen und rufe ihn auf seinem Diensthandy an. Ich sage: "Ja, hier ist Eva und ich wollte dich noch mal wegen der Glückwunschkarte nerven." Er darauf, dass ich doch nicht nerven würde (Sehr gut! Das wollte ich hören.) und er habe im Gegenteil gerade an MICH gedacht (Super! Das hätte ich nicht zu träumen gewagt). Und er habe (enttäuscht) gedacht ich sei schon weg und er hätte es - das mit der Glückwunschkarte - verpasst. Hääääh? Bitte? So etwas kann man sich doch nicht mal eben ausdenken oder? Oder gibt es Kurse, in denen Männern beigebracht wird, wie man Frauen in weniger als 20 Sekunden bezirzen kann? Und bevor ich fragen kann wie wir nun zueinander kommen, sagt er "Ich komme rüber." 
Ok, Alarm bis in die letzte Nervenzelle. Wie soll ich mich beschäftigen bis er hier auftaucht? Irgendwas sortieren? Das hilft bei zwanghaften Therapeutinnen eigentlich gut. Ich sehe mir am besten gar nicht an wie er hier rüber kommt, versuche bei Verstand zu bleiben und mich ans Atmen zu erinnern. Ich ingoriere ihn und seine Schritte weitestgehend bis er bei mir im Zimmer steht. Und so kommt es, dass er ohne Vorwarnung plötzlich mit einem 50cm-Blumentopf mit noch viel größerer Pflanze drin schnaufend in meinem Zimmer steht. Der ist schwer! rattert es in meinem Gehirn. Ich bin kurzzeitig geschockt als er hinter der Pflanze versteckt dasteht. Schon klar: Er will, dass ich das Ungetüm in seiner Abwesenheit gieße. Wohin? Schnell ist ein Platz gefunden. Er stellt den Blumentopf nicht ohne meine Zustimmung ab. Ich sage, dass ich ihn mit diesem Umgetüm ja wohl schlecht wieder zurückschicken könne. Und er darauf etwas amüsiert bagatellisierend und fast ein bisschen entschuldigend, dass die Pflanze wirklich ganz pflegeleicht (Meint er die Pflanze oder sich?) sei. Ja, ja, mal sehen wie es dem Blumentopf so bei mir geht. Ich bin ja nicht gerade bekannt für meine floralen Fähigkeiten, habe im Gegenteil bestimmt schon ein Dutzend Blumentöpfe hier in meinem Büro hingerichtet. Dann unterschreibt er auf der Karte und malt dabei an das "O" von Flo, was auch immer, ein paar Ohren? Oder Haare? Verzierungen, die mich irgendwie ans Poesiealbum erinnern. Wahrscheinlich ist in meinem Gehirn die ganze Zeit aus unerfindlichen Gründen mein Pubertäts-Cluster aktiviert und dafür verantwortlich, dass mir kreischende beste Freundinnen, Poesiealben und Aussprüche wie "süß" einfallen. Und dann gibt er mir noch 5 Euro für das Geschenk, dass ich für die Kollegin besorgt habe. Wie romantisch (Pubertäts-Cluster)! Nachdem die Formalien geklärt sind, folgen die gegenseitigen Urlaubswünsche, denn ich gehe in einer Woche ebenfalls in Urlaub. Es entsteht eine Pause, in der wir beide nicht wissen, was wir sagen sollen. Einen kurzen Moment habe ich den Eindruck, dass noch hätte etwas passieren können. Geht es noch kryptischer? Ich weiß nicht, noch ein längeres Gespräch, noch etwas mehr Zeit. Ich glaube wir wollen uns beide nicht so recht trennen, tun es aber dann aus Vernunft und Mangel an Gründen zusammen zu bleiben. Als er mein Zimmer verlassen hat, rennt er buchstäblich zurück in seinen Bereich und legt sich auf dem Weg fast hin. Das könnte ihm schon ordentlich peinlich sein. Mich bringt es zum Lachen und ich frage mich: Was war das denn? 

Dieser ganze Tag war eine Aneinanderreihung von schönen Begegnungen. Irgendwie habe ich bei all dem ein so gutes Gefühl. Ich habe einen netten Kollegen, der fast vor meinem Zimmer hinstürzt - wirklich toll! Das kann sich wirklich nur jeder wünschen. Ein bisschen Selbstironie kann nicht schaden. Als ich Mathilda die Begegnungen schildere, scheint sie sehr amüsiert, dass das kontrollierte Leben der Eva Cormann ins Wanken gerät. Ich sage ihr "Manchmal glaube ich, wir flirten miteinander." (Das glaube ich nach meinem Roman heute sicher). Und sie darauf "Das hoffe ich doch!"  Für mich heißt das: Nimm alles mit, was Du erleben kannst. Fühle, spüre, genieße. "All emotions are beautiful. Appreciate every last bite." (The Holstee Manifesto). Denn Du lebst nur einmal.

Mittwoch, 29. August 2012

Gruppenprozesse leicht gemacht

Wenn es im Team Probleme gibt, kann das verschiedenste Ursachen haben. Zuviele neue Aufgaben, zu wenig neue Aufgaben, ein neuer Chef, änderungsresistente Mitarbeiter, das Aufeinanderprallen von Alpha- und Omega-Männchen, mitunter auch Mitarbeiter, die sich zu gut verstehen? Dieser letzte Punkt schien mir in der Literatur über Gruppenprozesse bisher nicht berücksichtigt. Mobbing und Bossing sind praktisch in aller Munde, aber was ist mit "Doting", wie ich jetzt einfach mal "mein Gruppenproblem" betitele?

Dies als theoretische Einführung nach einem ganz praktischen Tag, der sowohl auf meiner als auch auf Konstantins Arbeit interessante Prozesse nach der Einführung eines neuen Chefs mit sich brachte. Bei mir sah das folgendermaßen aus: Am Dienstag sitzen Flo und ich zusammen im Pausenraum und sind in ein Gespräch über die politischen Orientierungen unserer Generation vertieft. Im unserem Team gibt es eine aktuelle Konfliktsituation, in der die Mitbestimmung bei Entscheidungen angezweifelt und kritisiert wird. Er formuliert etwas spitz, dass es ja auch schwierig sei, Demokratie einzuschzuschätzen, wenn man sie in dem System, in dem man aufgewachsen sei, nicht erlebt habe. Ich sage ihm, dass das "böse" ist. Schließlich wäre das genauso als würde man einem Kardiologen vorwerfen, das er selbst noch keinen Herzinfarkt hatte - oder wird das jemals in Frage gestellt? Er meint darauf, dass er das vor dem Rest des Teams auch nie so formulieren würde, er bei mir jedoch das Gefühl habe, er könne mir das so sagen. Und nun ist die Frage: WARUM? Warum glaubt er, mir sowas erzählen zu können? Weil er Vertrauen zu mir hat? Weil er weiß, dass ich schweige wie ein Grab? Weil er denkt, das verletzt mich nicht? Er muss wissen, wo ich sozialisiert bin und dass hier Ost auf West trifft. Die Geschichte ging weiter als er sich heute vor dem gesamten Team dazu äußerte. Nun natürlich nett verpackt und charmant wie immer. Nachdem sich die Runde aufgelöst hatte, blieben er und ich noch kurz sitzen. Ich sitze leicht hinter ihm als er sich zu mir umdreht und mich verschmitzt anlächelt. So mit einem verbotenen Augenaufschlag von unten. Ganz tief unten. In Filmen wird so etwas in Slow motion gezeigt, wenn Ihr wisst, was ich meine. Und unsere Gesichter waren sich in dem Moment eigentlich ein Stück zu nah für Kollegen. Und wieder dieselbe Frage, ob ich da etwas hineininterpretiere? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lässt sich alles in eine beliebige Richtung interpretieren. Ich lobe ihn und sage, dass er das mit der Demokratie ja gut formuliert habe. Ich habe große Lust ihn etwas zu necken und schiebe noch hinterher, dass er sich sicherlich den ganzen Abend darüber Gedanken gemacht hat. Er steigt darauf ein und fragt schlagfertig "Hast Du gezittert?" Ich denke "Ich zittere bei ganz anderen Gelegenheiten" und sage sehr cool "Bestimmt nicht." Ich weiß nicht... Wenn ich das hier so aufschreibe, klingt das doch sehr flirtend. Auf jeden Fall ist da eine Ebene, die nicht nur Kollegen-sein ausmacht. Heißt also flirten! Ich lass das jetzt mal so stehen und gehe davon aus, dass es flirten ist. Was bedeutet das für uns als Team? Zu große Sympathie kann genauso eine Irritation sein wie Meinungsverschiedenheiten, Machtgerangel usw. Es ist ein lösbares Problem, wenn sich Mitarbeiter unsympathisch sind (Sie müssen ja nicht zusammen leben, sondern nur sachlich zusammen arbeiten). Was aber, wenn sich Mitarbeiter so sympathisch sind, dass es ein unvorhersehbares Problem werden könnte? Rational sage ich mir, dass das keine gute Entwicklung ist. Emotional kann ich mich nicht erwehren, dass es etwas sehr, sehr Schönes ist. Engelchen und Teufelchen sind meine ständigen Begleiter.



Schauen wir uns die Phasen der Gruppenbildung (Warren Bennis - Gruppenphasenmodell) an, so wird zwischen Dependenz- und Interdependenz-Phase unterschieden. In der Dependenz-Phase setzt in neuen Teams zunächst ein Orientierungsprozess ein. Auf der Suche nach neuer Ordnung wird versucht, die Erwartungen des neuen Chefs zu erfüllen. Nach dieser Phase setzt der Kampf ein, in dem die Machtstellung des Chefs in Frage gestellt wird. Das Team spaltet sich oft in zwei Teile, von denen der eine Teil versucht, Ordnung herzustellen und der andere Teil sich widersetzt. Das geht so lange bis sich alles etwas beruhigt und man ein gemeinsames Ziel (oder einen neuen Chef) findet. In der Interdependenz-Phase wirds dann noch schlimmer: Das Team idealisiert sich selbst und grenzt sich nach außen hin ab (In dem Stadium stecke ich mit Flo fest und das ist so wunderbar, dass man gar nichts daran ändern möchte). Doch der Gruppenexperte weiß, dass danach die große Entzauberung und eine konstruktive Konsensbildung kommen. Fürs erste genieße ich mal noch die Idealisierung, den Kampf gegen den Rest der Welt, die zutiefst sinnvolle Arbeit neben einem mir unheimlich sympathischen Kollegen. Warum nur soll es verkehrt sein, wenn Arbeit Spaß und Freude macht. Es sind die kleinen Begegnungen, die für einen großen Teil des Wohlbefindens verantwortlich sind. Heute gehe ich früh am Morgen und bereits in Arbeitskleidung über das Klinikgelände. Ich raffe meinen Kittel zusammen, so dass die kalte Morgenluft nicht so hineinpusten kann. Was soll das bei mir Frostbeule erst im Winter werden? Und ich spüre förmlich wie er zur gleichen Zeit aus seiner Tür auf den Hof heraustritt. Er ist nur 20m hinter mir. Ich bemerke die Schritte. Seine Schritte. Ich kenne sein Schrittmaß, sein Auftreten und drehe mich um. Ich genieße seinen Anblick wie einen schönen Werbefilm (Florian - der "Prächtige" passt hier prächtig), warte auf ihn, begrüße ihn. Was nun? Eine Bemerkung über das Wetter? Ich bemerke, dass mir kalt und es morgens schon richtig herbstlich ist. Er darauf, dass er heute sein neues Timberland-Fleece anhat, das sooo schön warm ist. Ich deute so scherzhaft auf seinen stets feinsäuberlich zugeknöpften Kittel, der wirklich - da körperbetont - wenig Spielraum für wuchtige Oberteile lässt und sage scherzhaft "Den hast Du doch da wohl nicht drunter?" Das ist nun eindeutig flirten. Warum sonst sollte ich so mit einem leitenden Arzt sprechen? Für mich ist er in der Situation aber nicht der leitende Arzt, sondern einfach Flo, der mich fasziniert. Es ist ja auch nicht mein Vorgesetzter. Vielmehr sind wir auf einer Ebene und das leben wir auch. Er erzählt mir im Weitergehen, dass er kalte, klare Luft so mag und bereits in Urlaubsstimmung ist. Er plant eine Reise mit seiner Frau und den Kindern, um mal in Erinnerung zu bringen, dass das alles ziemlich aussichtlos ist. Flirten ist erlaubt solange nicht mehr passiert. Manchmal komme ich mir schon ziemlich schäbig vor, dass ich das alles so genieße. Und ich bin so undankbar für das, was ich habe. Und Konstantin gegenüber finde ich es einfach nur schrecklich. Wenn ich mir überlege es wäre umgekehrt. Und dann werden die Gedanken so schrecklich, dass ich versuche sie auszublenden und sage mir beruhigend, dass ich ja nichts Unrechtes getan habe. Ich habe mich ohne mein besonderes Zutun verknallt, verliebt und nun genieße ich dieses Gefühl etwas, wo es schon mal da ist. Solange bis es vorbeigeht oder zu sehr weh tut. Das Leben ist zu kurz, um nicht zu genießen. Also genieße ich!

Montag, 27. August 2012

Abwehrzauber

Es ist mal wieder soweit! Ich hatte es seit ich mich der Seelsorgerin anvertraut hatte scheinbar im Griff, war auch millimeterweise von meiner rosaroten Wolke heruntergekommen, habe den Moment genossen ohne groß an die Auswirkungen zu denken, aber nun ... habe ich wohl wieder ein bisschen viel Adele gehört. Und Frau Adele zeigt einem ja so eher das große Ganze und meist tragische Leben auf. Während ich auf die Arbeit fahre, kann ich ganze 8mal "Someone like you" hören. Allein, dass ich das weiß, bedeutet nichts Gutes. Ich habe es mehrmals ausprobiert und jeweils lauthals mitgesungen.
Was ist passiert? Montag ist meist ein außerordentlicher Visitentag. Mit ihm! Und er ist wirklich sehr an meiner Anwesenheit interessiert ... als Therapeutin natürlich. Ach ich weiß nicht. Er sah heute umwerfend aus. Augen fixieren mich, ich fixiere zurück und führe dabei fachlich-intelligente Gespräche. Hinter dieser fachlichen Fassade kann ich mich gut verstecken. Wenn es dagegen um Small talk geht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Besonders wenn noch andere Mitarbeiter dabei sind, komme ich mir wie ein unsicherer Teenager vor. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Muster 20 Jahre jenseits der Pubertät noch immer aktiv werden können, wenn etwas - ein Flo - ins Schwarze trifft. Manchmal - wenn ich mit ihm allein bin - kann ich lockerer sein. Ich wusste es in dem Moment als wir uns heute in den Beratungsraum zurückzogen und er die Tür hinter uns schloss, weil wir in eine Klientenakte schauen wollten, dass ich später schmachtend daran zurückdenken würde. Und ich genoß es. Er fand im PC nicht gleich die Informationen, die er suchte, und ich wies ihn daraufhin, wo er sie finden könnte. Als er mit meiner Hilfe tatsächlich auf die Infos stieß, übertrieb er spielerisch, dass er beeindruckt von mir sei. Ich darauf "Naja, ich suche ja auch schon 4 Jahre." Wir saßen ziemlich nah beieinander, um gemeinsam in die Akte zu schauen; peinlich genau den Abstand wahrend, so dass wir uns nicht berührten, und doch näher als üblich. Ich glaube er hat keinen Schimmer von meinen Gedanken, was auch gut so ist. Bezugnehmend auf meine bereits langjährige Berufserfahrung mit dieser Art von Akten wurde er persönlicher und beichtete mir, dass er sich in seiner noch immer anhaltenden Probezeit unsicher fühle. Warum sagt er mir sowas? Vermutlich weil es ihn beschäftigt. Muss schon ein großer Druck sein, wenn er mit seiner gesamten Familie hier neu anfängt. Ja, ich kann ihn schon gut verstehen. Und dass er mir das erzählt, macht ihn nur noch sympathischer. Ich glaube er könnte mir so ziemlich alles erzählen, ich würde es immer hinkriegen, es positiv einzuordnen. Nein, es ist auch dieses Bild vom selbstbewusst-aroganten Arzt, was sich langsam verändert. Im Grunde ist er wohl auch unsicher, fühlt sich erfahreneren Kollegen (und Therapeuten?) unterlegen. Er ist ja auch nur ein Mann Ende 30.

Ich frage mich, ob ich mit ihm flirte. Und wenn ja, ob er das merkt. Das frage ich mich ständig. Einerseits möchte ich das unbedingt, andererseits auf keinen Fall. Und das ist schlichtweg unlösbar. Flirten wird ja wohl erlaubt sein. Ich glaube schon, dass ich ihm sympathisch bin. Aber ich muss mich schon ziemlich zusammenreißen, meinen Arbeitsort nicht danach zu entscheiden, ob ich in seiner Nähe sein kann, sondern danach ob es fachlich nötig ist. Ich kann es nicht verhindern, dass mir etwas fehlt, wenn er nicht wie gewohnt anwesend ist. Ich erkenne seine Schritte, spüre wenn er herannaht. Ich muss aufhören mich da so hineinzusteigern. Die Seelsorgerin hat schon recht. Und doch ist es so aussichtslos, traurig schön.






Und dann komme ich mir wieder so schlecht vor. Weil ich eine kleine Familie habe, die mich so sehr liebt und die ich auf keinen Fall aufgeben möchte. Ich versuche es wirklich. Ich präpariere meinen Schreibtisch mit Familienbildern, trage Schmuck, den mir Konstantin geschenkt hat, um mich immun gegen Flo zu machen. Fast wie ein Abwehrzauber. Ich habe versucht Konstantin meine Wünsche mitzuteilen und ihn mehr an meinem Tag, an meiner Arbeit teilhaben zu lassen. Und er ist wirklich so bemüht, dass mich dass echt berührt. Ich lese in alten Tagebüchern, um an unseren Ursprung zurückzukehren. Gestern fand ich eine Eintragung über den Irlandaufenthalt 2007 und fühlte mich ganz davon erfasst und erwärmt. Und ich erinnerte mich wieder an Konstantins Knopfaugen, die ein zentrales Thema in meiner Zuneigung zu ihm darstellen. Mir ist bewusst, dass ich das Gefühl der Verliebtheit nicht konservieren kann, dass Liebe nur entstehen kann, wenn die euphorischen Gefühle vom Anfang vorüberziehen und trotz oder gerade deswegen ein großes Gefühl entsteht.

Ich mag mich nicht zwischen Liebe und Verliebtheit entscheiden müssen. Die Verliebtheit fühlt sich vermutlich so besonders an, weil sie nicht so ausdauernd wie die Liebe ist und man sie damit seltener erlebt, aber letztendlich kann weder das eine noch das andere wertvoller sein. Verliebtheit hat keinen Bestand (Es wird jedoch von Einzelfällen berichtet, in denen das Schmachten aus der Ferne zu einer ewigen Aufrechterhaltung dieses Gefühls führte. Aber wer will das denn?) und geht in Liebe oder gar nichts über. Da der Zustand der Verliebtheit "dem Körper eine ungeheure Anstrengung abverlangt und auch die Psyche nicht schont, lässt er sich naturgegeben nicht ewig aufrechterhalten. Drei Jahre Verliebtheit gilt als das Maximum der Gefühle, drei bis zwölf Monate als der Durchschnitt." (Richard David Precht). Für den gesunden Menschen klingt das vermutlich absurd, aber ich überlege tatsächlich, ob ich nicht beides haben könnte. Wie soll das gehen?

Freitag, 24. August 2012

Absturz in luftige Höhen

Wie soll ich das sonst bloß aushalten? Ich sah Flo heute kaum, dachte erst er sei gar nicht auf der Arbeit, was mich schon ziemlich runterzog. Im Laufe des Tages wurde ich immer unglücklicher und unruhiger, weil ich nun vernommen hatte, dass er sehr wohl anwesend war, ich aber nicht auf ihn traf. Kann man süchtig nach einem anderen Menschen sein? Er war die ganze Zeit in meiner Nähe, ich hörte sogar seine Stimme aus dem Nachbarraum, aber ich sah ihn nicht. Und vor allem sah er mich nicht. Ich versuchte in Situationen zu geraten, in denen ich auf ihn hätte treffen können. Doch immer verfehlte ich ihn knapp. Er ging sogar ein paar Mal an dem Raum vorbei, in dem ich mich aufhielt. Hin und her. Ich dachte nur "Komme rein, KOMM DOCH VERDAMMT NOCH MAL REIN". Was er nicht tat. Am Ende des Arbeitstages resignierte ich und fand auch keine Gründe mehr, mich auf dem Klinikgelände herumzutreiben. Und da ging er ein letztes Mal an meinem Zimmer vorbei, hielt inne, kehrte zurück und KAM REIN! Erleichterung, denn ich würde vor dem Wochenende noch ein paar Worte mit ihm wechseln. 


Ich sortierte gerade meine Befunde ein und in der nun aufkommenden Aufregung war mir ein Stapel vom Tisch gerutscht und lag nun einladend für alle helfenden Berufe auf meinem Fussboden herum. Er meinte irgendwas von "Absturz?" und ahnte sicherlich nicht wie richtig er damit lag. Seufz! Und dann sammelte er tatsächlich die ganzen Blätter auf. Wir beide auf dem Boden hockend versuchte ich zu helfen, doch er war schneller. Hmmm. Ich war schon recht überfordert in der Situation, sagte beschämt "Danke" und dann fragte er mich doch tatsächlich wie es mir geht. Wie es mir geht? WIE ES MIR GEHT??? Alles in Ordnung, ich habe mich nur unsterblich in dich verknallt, weiß nicht wohin mit meinen Gefühlen, suche noch nach den Bewältigungsformen, die erst erfunden werden müssen (hyperventilier) ... aber sonst ist alles bestens! Ich sagte "Gut" und dachte: Es geht mir immer gut, wenn ich dich sehe. Und schwenkte dann unbewusst sofort auf ein weniger gefährliches berufliches Thema um. Alles andere wäre zu bedrohlich gewesen. Wir standen uns gegenüber. Vielleicht etwas zu nah. Eines ist klar, die Nähe des anderen ist auf keinen Fall unangenehm - weder mir noch ihm. Und wir sahen uns an beim Reden. Wie man das halt so tut. Er hat schöne Augen, einen intensiven, wachen Blick und ziemlich helle Augenbrauen. Und was versucht er da mit seinem Blick? Ein Blickduell? Ich verliere es, schaue immer mal wieder weg. Er verunsichert mich und bemerkt das vermutlich nicht, denn ich unterhalte mich rein äußerlich angeregt über fachliche Themen mit ihm. Ich höre mir selbst beim Sprechen zu und wundere mich über die Erläuterungen, die sicherlich irgendwo schlüssig sind, aber nichts mit meinem aktuellen Gefühl zu tun haben. Eigentlich hätte ich ihn auch mal fragen können wie es ihm geht. Auf so etwas komme ich aber einfach nicht, wenn er tatsächlich vor mir steht. In unserem Gespräch ging es um alles mögliche, schließlich um einen guten Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen. Wie sind wir bloss dahingeraten? Das Problem ist, dass ich alles, was er so von sich gibt, zu mir in Beziehung setze, was er sicher nicht so meint. Was ist das für ein Mann? Der gutaussehend, charmant und erfolgreich ist, auch noch frühzeitig Kinder möchte und dies bereits mehrmals umgesetzt hat? Er bleibt ein faszinierendes Rätsel. Ich hab es genossen, mich mit ihm zu unterhalten. Es war so einfach, so als müsste ich mich der Unterhaltung lediglich hingeben und gar nichts weiter dazu tun. Ein Absturz in luftige Höhen. Locker, leicht und unverbindlich. So ein schöner Tagesabschluss. Und so sollte ich es auch einfach stehenlassen, weder über das Vergangene noch über das Zukünftige nachdenken, sondern einfach den Moment genießen. Friday I´m in love!

Mittwoch, 22. August 2012

Eine Insel im moralischen Meer

Habe mein Adele-Verbot ganz gut durchgehalten. Bin aber dafür auch nicht halb so euphorisch wie die letzte Zeit. Ich zweifle. Ich zweifle, ob die Kopfentscheidung ausreicht. Und ob sie wirklich die einzig mögliche Umgangsweise mit Flo ist. Bevor ich in dieser Situation steckte, hätte ich das jedenfalls genauso vertreten wie mir die Seelsorgerin sagte. Alles andere war indiskutabel. Und auch Internetforen sind voll von Ratschlägen, die stets eine Schwarz-Weiß-Entscheidung für oder gegen etwas verlangen. Jeder, der das nicht tut, wird beschimpft. Ich gehe durch die Welt und suche nach der kleinsten Möglichkeit, etwas anderes als den völligen Kontaktabbruch zu Flo zu leben, was für mich einen Wechsel meiner Arbeitsstelle bedeuten würde. Ich sehne mich nach Mathildas Reaktion als ich ihr erstmals von meiner tragischen Verliebtheit berichtete. Wie war das eigentlich? Vor ein paar Wochen trafen wir uns in diesem vietnamesischen In-Restaurant. Sie selbst war gerade von schwerstem Liebeskummer geplagt, und fand zu meiner unheimlichen Erleichterung, Verständnis für mich. Zu fortgeschrittener Stunde sagte ich schamhaft berührt plötzlich "chhabmichverliebt." Ich musste das schnell und vermutlich zu leise sagen, weil ich es sonst gar nicht herausbekommen hätte, so dass sie sofort fragte "Was hast Du?" "Ich habe mich verliebt." sagte ich jetzt deutlicher und etwas zu ihr vorgebeugt. Sie fing an zu grinsen und wollte die ganze Geschichte hören. Das allein ist schon erleichternd, es wirklich und wahrhaftich jemandem zu erzählen ohne das gleich dieser mitleidige Das-darfst-Du-nicht-haben-Blick aufgelegt wird. Sie hat es sich einfach angehört, hat es weder bewertet, noch mir irgendwas geraten. Nicht gerichtet und nicht ermutigt. Mathilda Probus ist eine Insel in meinem Meer von moralischen Ansprüchen! Bei ihr kann ich fühlen wie ich fühle, kann ich sein wie ich bin und das ist eine unheimliche Erleichterung. Mathilda, ich danke Dir dafür. 



Vielleicht reicht es ja - eine solche Entlastungsmöglichkeit zu haben - um das alles irgendwie zu überstehen. Ich hoffe und übe, mein eigenes Leben wieder in den Griff zu bekommen. Natürlich kann ich auch die Meinung der Seelsorgerin und damit wahrscheinlich die Meinung der restlichen Menschheit nachvollziehen. Ich frage mich aber mehr und mehr, ob es sich bei der Umsetzung dieser Meinung, nicht um das vollständige Verbiegen um einer moralischen Vorstellung willen handelt. Und ein Gefühl kann nicht verkehrt sein.

"Ein Gefühl garantiert nichts, ein Gefühl kann auch nicht täuschen. 
Ein Gefühl hat keine Wirklichkeit außerhalb der Psyche, die es spürt. 
Es ist ein Ereignis, keine Sache. Es wurzelt in sich selbst. 
Deshalb kann es vergänglich erscheinen wie ein Nachtfalter 
oder unsterblich wie ein Gott." 
(Karl Jaspers)

Zwischen all diesen Verwirrungen und Erkenntnissen, laufen (nebenbei) der normale Alltag und das Arbeitsleben weiter. Rein praktisch sieht das so aus, dass ich heute 1 1/2 Stunden mit Flo zusammen Klienten angeschaut habe. Und "mit Flo" heißt nur ich und er. Vielleicht versuche ich eine Art "Konfrontationsbehandlung" und hoffe auf Habituation. Ich sage mal, es war auszuhalten. Was heißt aushalten? Es war ... schön. Es funktionierte gut. Wir sind ein gutes Team. Und mehr auch nicht. Ich habe das heute genau beobachtet. Er flirtet nicht mit mir. Er ist einfach nur nett und wertschätzend. Ich gab ihm auch endlich eine Antwort auf sein Angebot, die Visite zu unser beider Gleichberechtigung therapeutischer zu gestalten. Ich sagte ihm, dass ich mich sehr geschmeichelt fühle, ich das aber nicht für richtig halte. Sehr professionell und wohl nicht nur das Visiten-Angebot betreffend! Er sah das ein und verlor kein Wort mehr darüber. Nach der Visite bedankte er sich wie er es immer tut, und wir gingen getrennte Wege, nur um uns Minuten später zufällig zum Kaffeetrinken wiederzutreffen. Dabei haben wir uns wie gute Kollegen unterhalten. Oder sieht er mich manchmal nicht etwas zu lange an? Eine ganz normale Unterhaltung mit Flo wäre immerhin ein Fortschritt. Ja, und es bedeutet auch mehr Bodenhaftung, was sich erst mal so anfühlt als würde etwas fehlen. Aber was bringt es mir an einer Sache festzuhalten, die nur Probleme bereitet?

Gestern war ich laufen, was echt gut tat. Mir fiel jeder Schritt leicht und danach wars noch besser. Es macht den Kopf frei und pustet verstaubte Gedanken weg. Es ist schon alles richtig so wie es "läuft" sagt mein Kopf. Und mein Bauch wünscht sich dieses Kribbeln. Nur noch eine Weile. Bis zu meinem Urlaub vielleicht. Nur noch eine Weile.

Montag, 20. August 2012

Kopfentscheidung

Mit Abstand sehe ich die Dinge etwas klarer, die mich in der Woche bei Konfrontation mit "dem Kernproblem" überrollen. Das Wochenende ist immer eine gute Möglichkeit, Abstand zu finden. Wenigstens für eine Weile. Das Ergebnis des letzten Wochenendes war, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob ich das alles ohne fremde Hilfe schaffe. Es wird zu groß. Ich kenne mich. An Mathilda oder in einen Blog zu schreiben ist die eine Seite. Antworten zu finden die andere. Sollte ich mich also noch jemandem anvertrauen? Sollte ich die Telefonseelsorge anrufen? Was gibt es sonst für Möglichkeiten? Gesetzt den Fall, ich würde mich einer Person in meinem Umfeld anvertrauen wollen: Wer könnte das sein? Und sollte es nicht an erster Stelle Konstantin sein? Und dann schwanke ich, ihn in solche Aufregung zu versetzen, wo doch gar nichts passiert ist und auch nichts passieren wird. Kann ich ihm das ersparen? Bin ich hier nicht eigentlich das Problem? - Ok, so sieht es am Wochenende in meinen Gedankengängen aus. Kreisend! Wiederholend! Hoch und runter mit der Stimmung. So dass ich mich frage, wie lange ich das so weiter tun kann.



Also ging ich heute mit der halbherzigen Erkenntnis auf die Arbeit, dass ich wohl mal mit jemandem sprechen müsste. Total unausgegoren und überhaupt nicht handlungsbereit. Aber wie es so ist, kamen ein paar Probleme auf der Arbeit hinzu, die mich sonst nicht weiter tangiert hätten, in meiner aktuellen Situation jedoch dazu führten, dass es aus mir herauspurzelte. Es war wie ein letzter Wink des Schicksals, dass mir bei einem Gang durch die Klinik unsere Seelsorgerin begegnete, die mich - verzweifelt wie ich wohl aussah - sogleich zu sich einlud. Ich treffe sie sonst nie, weiß auch gar nicht zu welchen Zeiten sie anwesend ist. Mir bot sich also die Möglichkeit, sich bei dieser vertrauensvollen Person auszukotzen ohne im Weiteren ständig mit ihr konfrontiert zu sein. Ich nahm die Einladung zögernd an, könnte mich ja über die alltäglichen Probleme in der Klinik etwas entlasten. Es gab eins das andere bis ich von mir selbst überrascht zu ihr sagte, dass ich da noch ein ganz anderes (und viel größeres) Problem habe. Immerhin hatte ich schon erkannt, dass es eines ist. Und dann erzählte ich über meine tragische Verliebtheit in Flo. Ich fand in der Seelsorgerin eine gute Zuhörerin, die nötige Distanz, aber auch das nötige Einfühlungsvermögen. Sie sagte mir, dass so etwas nur passiert, wenn etwas anderes fehlt und dass mir auf lange Sicht nur bleibe, die Sache aufzuklären oder zu beenden. Da hat sie wohl recht. Von außen betrachtet mag das wohl auch total klar sein, aber wenn man selbst drin steckt, sieht man es einfach nicht. Flo bekam ich heute kaum zu Gesicht und ich suchte auch nicht nach ihm. Ich verbrauchte mehrere Packungen Taschentücher und war nicht arbeitsfähig. Ich habe mir ein Adele-Verbot auferlegt. Ich darf mich da nicht so hineinsteigern, muss auch hinter die so schöne Fassade blicken. Ich habe genug andere Baustellen in der Klinik. Da kann ich mir nicht leisten, den Kopf und einen guten Ruf zu verlieren. Wahrscheinlich muss ich mir einen festen Zeitpunkt setzen bis zu dem ich meine Verliebtheit genieße, denn schön ist es ja schon irgendwie, und dann möglichst auf Abstand gehen. Parallel dazu mit Konstantin sprechen. Nachforschen, was mir denn in der Beziehung zu ihm fehlen könnte, was ich mir von ihm wünsche und was er sich von mir wünscht, so dass wir uns gemeinsam weiterentwickeln können.

Natürlich gehen von so einer Kopfentscheidung noch nicht die Schmetterlinge weg. Ich spüre sie bis tief in den Bauch und mir ist durchgehend schlecht. Hirschhausen schreibt, dass das Hirn von Frischverliebten dem von Zwangsgestörten ähnelt. "Alle Gedanken werden wahnhaft mit dem Objekt der Begierde verknüpft. Verliebte sagen Sätze wie: "Schau mal, hier fährt ein rotes Auto, mein Schatz fährt auch ein rotes Auto, und wenn eins vorbeikommt, dann soll mir das sagen, dass er gerade an mich denkt!" Dafür kann man in der Klinik schon mal fünf Milligramm Haldol bekommen, um das Denken wieder geradezurücken. Aber das macht weder in noch außerhalb der Klinik jemand, denn jeder Arzt und Laie weiß: Es dauert nicht lange und geht auch von ganz allein vorbei." (Eckart von Hirschhausen - Glück kommt selten allein) Nur wann? Zwangsgedanken? Habe ich auf jeden Fall. Nur sind sie im Falle der Verliebtheit nicht unangenehm. Aber eben die Konsequenzen. Ich kann es drehen wie ich will, am Ende kommt nichts Gutes dabei heraus. Also heißt es bis zu einem gewissen Punkt (Wie finde ich den nur?) genießen und dann abbrechen. Ich denke schon, dass ich mich so weit kontrollieren kann. Ich weiß aber auch, dass ich sehr ausdauernd das Kopfkino betreiben kann. Ich sehe überall diesen Audi A4 - seine Automarke. Könnte schwören, dass Audi seine Verkaufszahlen verdoppelt hat. Ich sollte mich davon distanzieren, aber es fühlt sich so gut an. Lass es mir noch eine Weile. Oje, wenn ich schon seine Schritte herannahen höre - ich erkenne ihn natürlich sofort - und ich mir Wünsche "Komm rein, in mein Zimmer" - was er nicht tut - geht mir das durch und durch. Und seine Stimmlage - wie Samt. Er sieht nicht überirdisch gut aus. Von seinem Körper ist unter dem Visitenmantel nicht viel zu erkennen. Es ist einfach seine Art - wie Zucker. Er ist witzig und sarkastisch, was nicht alle merken. Vielleicht ist er auch ein bisschen arogant? Auf jeden Fall selbstbewusst. Er kümmert sich nicht so sehr um Hierarchien, versucht diese sogar zu boykottieren. Das imponiert mir. Und doch ist Flo alles in allem nicht überwältigend viel anders als das, was ich habe. Nur dass mir hier Hormone und Neurotransmitter einen ziemlichen Streich spielen.

Donnerstag, 16. August 2012

Persönliches Verlockungspotential

Heute nun werde ich etwas profaner in meinen Beschreibungen, denn ihr kennt nun die Vorgeschichte und befindet euch jetzt live in meiner persönlichen gefühlsmäßigen Verwirrung.

Gestern ergab es sich, dass wir zusammen Kaffee kochten. Als ich mich mit einem Kaffee stärken wollte, begann er gerade damit die Kaffeemaschine zu bestücken. Da entschied ich mich spontan dazu, ihm zu helfen. Helfen - ein Thema, dass wir wohl beide erfunden haben. Er freute sich über meine Unterstützung und meinte gleich „Teamwork“. Also füllte er das Wasser auf und ich den Kaffee ein. Es war eine locker-fluffige Stimmung, die zeigte, dass einfach die Chemie stimmt. Was hat es zu bedeuten, dass er während unseres "Teamwork" vergaß das Wasser in die Kaffeemaschine zu gießen? Ist er abgelenkt, unkonzentriert, nicht für Küchentätigkeiten geeignet? Lässt er mich die Arbeit machen? Hmm, irgendwas fehlt hier noch, fiel ihm dann auf. Einige Lacher später kontrollierte er noch wieviele Löffel Kaffee ich eingefüllt hatte. „8? Das müssen mindestens 10 sein“ sagte er gespielt empört. „Na GUT!“ gab ich Widerwillen miemend zurück. Ich tat 11 rein und wir mussten beide grinsen. 10 Minuten später - Ich hatte mich inzwischen mal aus der Teeküche entfernt und war wieder reingekommen (Das erträgt ja keiner!) – hörte ich schon von Weitem wie er sich bei irgendwem für den wahrscheinlich zu starken Kaffee entschuldigte. Tja, so ist er halt, unser Flo. Und dann schenkte er mir die Milch ein. Das klingt so naiv, sogar ein bisschen lächerlich, wie ich das hier so aufschreibe. Aber innen drin bin ich die emotional berührte Frau, die sich einfach über solche Sachen freut. Was soll ich sagen? Er ist auf jeden Fall sehr aufmerksam. Flirtet er mit mir? Ist er ein Don Juan? Und ich habe es nur noch nicht bemerkt? Seit 2 Tagen winkt er mir morgens wenn er auf die Arbeit kommt durchs Fenster zu. Was tut er da bloß? Ich werde enttäuscht sein, wenn er es morgen nicht tut. Das wäre dann frustrierend und im übertragenen Sinne ein ungemütlicher Wackler auf meiner Hängebrücke.

Ich habe mir das mit der Hängebrücke weiter durchdacht: Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Dass ich und wahrscheinlich der Rest der Menschheit irgendwann auf Hängebrücken geraten, wird sich entweder über die Anzahl der Hängebrücken oder über das ich nenne es jetzt mal "persönliche Verlockungspotential" (schönes Wort) der weit und breit einzigen Hängebrücke regeln. Entweder es gibt zahlreiche Hängebrücken, die einem im Leben über den Weg laufen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis man über eine drüber oder an einer vorbei muss. Oder es ist DIE EINE Hängebrücke, die sich nun leider oder Gott-sei-Dank unumstößlich auf deinem Weg befindet. Und an DIESER EINEN, da kann man machen, was man will, kommt man nicht vorbei. Von dieser speziellen Hängebrücke sangen ja bereits U2 1992:




Ja, ich mag in einer sensiblen Phase sein. Mit 35 ist man wohl an solch einer Weggabelung. Kurz vor dem perfect, golden ageless age mit 36, in dem eine Frau mit ihrem year-zero face am schönsten sein soll, gibt es viele Dinge zu überdenken. Und dies alles, weil ich – die strukturierteste, ruhigste und geradlinigste Person, die ich kenne – mich verliebt habe, was mein Weltbild ziemlich ins Wanken bringt. Ich hatte das nie auf meinem Plan, hätte es nicht mal für möglich gehalten. Nun frage ich mich, warum ich das so gar nicht in meiner Vorstellung hatte. Schließlich habe ich mich schon seit jeher in Liebesdinge immer voll und ganz hineingeworfen und sie für das Größte gehalten, was uns Menschen so passieren kann. Zwar kannte ich damals das Holstee Manifesto noch nicht, aber rückblickend ist es wohl ziemlich klar, warum mir während meiner passionierten beruflichen Tätigkeit genau derjenige nicht mehr aus dem Kopf geht, der seine - eng mit meiner verbundenen - Tätigkeit mit einer ähnlichen Passion ausübt. Wir machen eine wichtige und sinnvolle Arbeit, die Menschen hilft. Die verzweifelten Menschen hilft. Bei denen es um Leben und Tod geht. Das schweißt zusammen. Und dann dieses Gefühl wir kämpfen gegen den Rest der Welt. Ich war nicht bewusst auf der Suche nach Liebe, aber ich habe mir beruflich ein Reich geschaffen, in dem ich wirklich das tue, was ich liebe und was ich gut kann. Ein Glück, wenn es sich dabei um ein und die selbe Tätigkeit handelt. "If you are looking for the love of your life, stop; they will be waiting for you when you start doing things you love." (The Holstee Manifesto) Und selbst wenn Du sie nicht suchst, findet sie Dich trotzdem. Dass es einen Typen trifft, der nicht mal mein Typ war, ist für mich ebenso überraschend wie verboten. Da steht erstmal einfach nur ein großes, ratloses „Häääääääh?“ So ganz normal kam mir unser Verhältnis nie vor und langsam dämmerte es mir. Und schon bin ich der Inbegriff einer verwirrten Frauenseele: Kann das wirklich sein? Das wird doch nicht…? Nein, das kann nicht sein. Total absurd! Geht ja gar nicht. Und wenn doch? Nein, das darf nicht…! Na, so ein bisschen träumen ist ja nicht verboten. - Also Tagträume, die davon handeln, wie ich ihm begegne, was wir reden, was wir tun, geparrt mit einem merkwürdig-mulmigen Gefühl in der Magengegend, wenn ich ihn tatsächlich sehe. Nicht viel anders als im Teenageralter.

Und heute auf dem Flur – oh Mann. Er rennt so suchend mit dem Arm voller Akten herum und ich sage zu ihm „Du siehst aus wie auf Raumsuche.“ Und er antwortet doch tatsächlich darauf „Ich seh aus wie auf Frauensuche?“ Das nenn ich mal einen Freudschen Versprecher. Hihi. Bevor ich rot werden konnte, meinte ich lachend „Das kann ICH ausnahmsweise mal nicht einschätzen.“ und machte mich aus dem Staub.
Er riecht gut. So gut! Was mir bisher gar nicht bewusst aufgefallen war. Aber nach dieser Aktion auf dem Flur fragte er mich tatsächlich nach einem Raum suchend, ob er mit einer Klientin in mein Büro könne. Er steht mit dieser Bitte vor mir. Ich halte seinem Blick nicht stand und senke meine Augen. Schon starre ich auf sein Namensschild "Dr. Florian A. Mollis". Was hat das "A." zu bedeuten? Ich beginne in Gedanken alle männlichen Vornamen mit A aufzuzählen. Meine Gedanken driften ab. Ich muss in der Realität bleiben, ihm auf seine Bitte antworten. Ich kann nicht anders, natürlich überlasse ich ihm mein Zimmer. Hatte sowieso woanders zu tun. Als ich einige Zeit später zurückkehre, trifft es mich wie eine Abrißbirne. Er hatte meinen Raum schon seit Stunden verlassen, aber was dageblieben war, war sein Duft. Ich weiß in so einem Moment nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Auf jeden Fall bedeutet es, dass ich lebe. Dass ich sehr lebendig bin. Und trotzdem verwirrt mich das alles ganz erheblich. Ich weiß, dass die Situation ohne diese Gefühlswallung sehr viel einfacher und klarer, aber auch sehr viel langweiliger wäre. Das "persönliches Verlockungspotential" des "Flo A." hindert mich daran, es ignorieren zu können. 

Wahrscheinlich steigere ich mich auch in etwas hinein, sehr wahrscheinlich. Wie werde ich es also los? Ich habe ja nichts wirklich Verkehrtes getan. Es passiert ja alles nur in meiner Fantasie. Und trotzdem komme ich mir so schäbig vor. Dass ich diese Schuldgefühle hier kaum thematisiere, liegt wohl an meiner eigenen Verdrängungsleistung. Ich entschied mich auch nur aus einem Grund, diesen Blog zu schreiben: Ich weiß nicht wohin damit und ich wäre sonst geplatzt! Heute Abend gehe ich rennen! Was kann ich bloß tun, um es loszuwerden?

Sonntag, 12. August 2012

Evas Hängebrücke

Es ist schlimm! 
Ich leide! 
Ich weiß nicht, ob ich heulen oder lachen soll. Ich höre die ganze Zeit „Adele".



So schöne, traurige Musik! Sehr zu empfehlen für Menschen, die sich in ihrem Unglück suhlen wollen. Macht echt süchtig. Und ich sollte das nicht tun - soviel Adele hören meine ich -, weil sie mich noch leidender und schmachtender macht. Ich muss da durch und doch will ich da drin bleiben.
Oh Mann, es hat mich voll erwischt. Wo sind die 20 Jahre hin. Ich höre mich genauso wie damals und doch auch wie meine eigene Großmutter an.

Wo war ich in meinem letzten post stehengeblieben? Wie war das eigentlich als er aus dem Urlaub zurückkam? Ich freute mich, dass er wieder da war. Es war irgendwie aufregend. Aufregend für mich ganz alleine. Manchmal reichte es mir schon, wenn ich ihn von Weitem sah. Wenn er auf der Bank vor meinem Fenster saß. Einfach, dass ich wußte, er ist da. Ich mochte es, wenn er in mein Zimmer kam, um mir von einer Klientin zu berichten. Er sah dabei selbst sehr mitgenommen aus. Ich guckte betroffen, war auch betroffen, aber mehr noch starrte ich ihn ein bisschen an. Ich konnte meine Gefühle dabei nicht ausblenden. Vielleicht fragte ich noch nach Details über die Klientin, was uns beide noch betroffener machte. Ich hatte schon immer etwas übrig für depressiv, ausweglose Situationen. So herrlich traurig. Es gibt bestimmt einen Fachausdruck dafür. Bin ich wirklich so kaputt? Vielleicht ist mir nur ein bisschen Romantik abhanden gekommen, die ich hier zu finden scheine oder zumindest hier hineinprojeziere. Das muss ja auch nicht mehr als Schmachten werden. "Die wahre Romantik...liegt...in der unerfüllten Sehnsucht, Schmachten ist romatischer als lieben - an diesem Punkt reichen sich die Frühromantik mit ihrem unerfüllten Sehnen in der Literatur und die Spätromantik mit ihren US-amerikanischen Fernsehserien die Hand." (Richard David Precht: Liebe - Ein unordentliches Gefühl)
Die äußeren Begingungen zwangen uns, eng miteinander zusammen zu arbeiten. Mehrere Mitarbeiter, die ihm unterstellt waren, fielen aus, so dass die Visiten mit ausschließlich uns beiden sehr hochkarätig besetzt waren. Es war so angenehm, mit ihm zu arbeiten. Er ging auf die Klientinnen ein und ich hatte das Gefühl, dass es ihm wirklich etwas bedeutet. In den Klientengesprächen brauchte er länger als andere Ärzte, worüber sich die meisten Mitarbeiter einfach nur aufregten. Und ich fand es einfach…unvergleichlich. Er ging wirklich auf die Menschen ein und wartete vor dem Klientenzimmer schon mal mit Laienpsychologie auf. Manchmal holte er sich eine leicht unsichere Rückversicherung bei mir, da ich ja die Expertin bin. Ich spüre keine hierarchische Distanz wie ich sie so oft im Klinikalltag erlebt habe. Und dann meldet sich mein Gewissen: Er ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat 3 Kinder. Ich bin 35 Jahre alt, glücklich liiert und Mutter. – Es darf nicht sein. Ich muss es loswerden!
Jedenfalls ist er der erste, der mich so unwahrscheinlich einbezieht. Letzte Woche hatte er die Idee, dass ich doch auch mehr in der  Visite mitwirken könne, damit es „gleichberechtigter“ wird. Welcher leitende Arzt schlägt denn das bitte vor? Mein Weltbild vom Gesundheitswesen wurde durch diese und andere Änßerungen von ihm völlig auf den Kopf gestellt. Ich trat an ihn heran, vielleicht ein bisschen zu nah – habe in letzter Zeit Probleme beim Einschätzen des richtigen Abstandes – und fragte, an was er denn gedacht habe. Darauf antwortete er das mit der Gleichberechtigung. Ich sagte, dass ich es mir mal durch den Kopf gehen lasse. Ich lasse mir das jetzt seit 1 Woche unaufhörlich durch den Kopf gehen und komme zu keiner Lösung. Ich werde ihm etwas darauf antworten müssen. Was könnte ich denn halbwegs Sinnvolles in der Visite tun? Ich nutzte sie bisher einfach zum diagnostischen Beobachten. Und das war gut und richtig. Warum komme ich nur so ins Schwanken auf vorher sicher gelaubtem Terrain? Und es bleibt doch immer noch eine ärztliche Visite. Was erwartet er von mir? Ich finde es gut, die Dinge in Fluss zu halten. Warum nicht immer mal was verändern? Nur so kommt man weiter und entwickelt sich. Was mich daran schreckt, ist, dass die Klientinnen immer noch wegen ihrem körperlichen Problem und nicht wegen ihrer Psyche bei uns sind. Oder ich kann mit so viel Wertschätzung seinerseits nicht umgehen? Natürlich wird es komplizierter, weil ich in der ganzen Situation emotional befangen bin. 

Und dann macht er mir auch noch Komplimente, sei es über meine Art zu referieren, sei es über mein Äußeres, und weiß höchstwahrscheinlich gar nicht, was er damit anrichtet. Ich komme am Dienstag mit einer neuen Frisur auf die Arbeit – ein Tag an dem wir uns lediglich mal kurz von Weitem gesehen haben. Am Mittwoch trifft er mich im Treppenhaus und sagt auf meinen Kopf deutend „Sieht gut aus“ mit dem Hinweis „schon seit gestern." Mathildas Kommentar dazu: „Er ist sehr … aufmerksam.“ Ja, oder was? Ist das normal für einen Typen? Ich meine, führt er irgendwie Buch darüber, wann wer beim Friseur war? Oder wie merkt er sich so etwas? Oder bemerkt er es nur bei mir? Verlockender Gedanke! Mir ist ja auch klar, dass ich ihn und seine Reaktionen hochstilisiere, aber was soll ich denn tun, wenn ich ständig mit ihm konfrontiert bin und er auch noch so nett zu mir ist? Gestern sitze ich in einer Besprechung neben ihm und wir sprechen danach noch über die eine oder andere Klientin. Ich lausche seinen Erläuterungen und schaue ihn an – wieder etwas zu wenig Abstand. Ich muss öfter wegschauen, sonst drehe ich durch. Manchmal muss ich mir das Lachen verkneifen. Schließlich geht es um ernste Themen:  junge Menschen mit infauster Prognose. Aber vielleicht lässt uns gerade das in einem Boot sitzen, auf einer Wellenlänge schweben. Die tägliche Auseinandersetzung mit wirklich schweren Schicksalsschlägen, die ein Außenstehender einfach nicht verstehen, nicht nachempfinden kann. Richard David Precht sagt in seinem Buch "Liebe - Ein unordentliches Gefühl" dazu: "Außergewöhnliche Situationen begünstigen außergewöhnliche Gefühle. Und das Gefühl, etwas besonderes zu erleben, kann eine Erregung so in die Höhe treiben, dass sie dazu führt, sich zu verlieben." Die Wahrscheinlichkeit sich auf einer baufälligen Hängebrücke zu verlieben ist einfach größer als im Supermarkt. Ist dies also meine persönliche Hängebrücke? Und warum passiert mir das jetzt? Zu diesem Zeitpunkt? Warum habe ich sie überhaupt bemerkt? Und warum lasse ich mich darauf ein, dieses baufällige Ding zu betreten? Was hat mich geschubst oder gelockt? Wann wird mir das Ganze um die Ohren fliegen? Und die alles entscheidende Frage: Werde ich weitere Schritte auf dieser aufregenden Brücke gehen?

Sonntag, 5. August 2012

Wie alles begann

Es begann Ende Juni. Er tauchte plötzlich und unerwartet in meinen nächtlichen Träumen auf. Zunächst fand ich das befremdlich, machte mich lustig darüber, dass er und sein ... sagen wir mal markantestes Merkmal darin auftauchten. Ihr könnt Euch jetzt den Kopf zerbrechen, was das Markanteste an ihm ist. Vielleicht ist das ja auch für jeden von Euch etwas anderes. Seid kreativ und stellt Euch was vor. Ich werde Eure Fantasie nicht einschränken oder mit anderen Worten: Von mir erfahrt Ihrs nicht. Als das mit dem Träumen losging - jeder Psychologe weiß ja, dass Träume unbewusste Wünsche, Ängste und was sonst noch für Grütze an die Oberfläche bringen - war wohl mein Unterbewusstsein schneller. Ich hätte (Achtung Wortwitz:) "nicht im Traum daran gedacht", dass ich mich in ihn verlieben könnte.
Das erste Mal begegneten wir uns im März in der morgendlichen Besprechung. Er war aus der Provinz hier her gewechselt und stellte sich in der Runde in etwa so vor: "Ich bin Florian Mollis, verheiratet, 3 Töchter, und freue mich auf die Zusammenarbeit." Mein Unterbewusstsein ordnete ihn zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich als "feinen Schnösel" oder "chaotischen Dirigenten" ein. Ich war abwartend und zurückhaltend, doch noch am selben Tag forcierte er die erste persönliche Begegnung, indem er mir mit einer sehr offenen Geste die Hand gab, mich in ein kurzes Gespräch verwickelte - Ich kann das nicht wirklich Small talk nennen, denn es hatte von Anfang an eine gewisse Intensität - und mich sehr interessiert fragte, ob er bei einem meiner Klientengespräche dabei sein könnte. Häää? Das hat mich echt noch nie einer meiner Kollegen gefragt. Er sieht sich und mich vom ersten Augenblick auf einer Ebene. Das ist neu für mich, gibt es doch eine jahrhundertealte Konkurenz zwischen Ärzten und Therapeuten.  Ja, ich habe das noch nicht erwähnt: Er ist ein Arzt. Ganz klischeehaft ein Arzt!

Dann irgendwann bemerkte ich wie mir die Zickereien zwischen den verschiedenen Berufsgruppen auf meiner Arbeit ziemlich auf die Nerven gingen. Ich fing an, ihn in Schutz zu nehmen. Ich erkannte seinen guten Willen und erkenne ihn auch jetzt noch. Ich finde einfach, dass er ein feiner Mensch und weit davon entfernt ist, berechnend zu sein. Oder er verpackt es so gut, dass ich es nicht merke? Bin natürlich geblendet.
Und dann bot ich ihm das „Du“ an. Ich hatte registriert, dass er sich bereits mit anderen Mitarbeitern duzte und - verdammt - ich wollte das auch. Nur wie? Konnte ich ihn fragen? Wer musste hier eigentlich wen fragen? Und ich wollte nicht zu lange warten. Kennt Ihr die Angst, dass der Zeitpunkt jemandem das "Du" anzubieten unwiederbringlich überschritten sein könnte? Man könnte sagen, ich habe diese Angst erfunden. Zumindest bei Menschen, die mir wichtig sind. Somit stand ich ein bisschen unter Druck zu handeln. Das gab letztendlich den letzten Anstoß dazu, dass ich mir eines Tages als wir nach der Visite ein Stück Kuchen aßen ein Herz fasste und ihn fragte, ob "wir uns nicht mal duzen" wollen. Er ging sofort darauf ein, freute sich und sagte, dass er sich das nicht getraut hätte. Er – traut – sich – nicht? Ist ja interessant. Hätte ich so nicht erwartet. Ich freute mich, dass er sich freute und natürlich über das errungene "Du" bis mich seine Aussage, dass er seiner Frau erzählen müsse, dass DIE Therapeutin ihm das „Du“ angeboten hat, wieder auf den Boden der Tatsachen brachte. Das war irgendwie wie eins mit der Bratpfanne auf den Hinterkopf gegeben: Was Du hier machst, ist nicht richtig! Ich weiß nicht, flirtet er mit mir? Oder ist das einfach seine Art? Zu diesem Zeitpunkt war mir mein ausuferndes Gefühlsleben noch nicht bewusst, wobei mich das neue „Du“ schon sehr freute. Doch dann ging er in Urlaub und ich hoffte ihn ein letztes Mal noch auf dieser Fortbildung zu sehen. Mir schwante langsam, dass da etwas faul war, wenn ich mich so auf jemanden freute bzw. ich so enttäuscht war als er nicht auftauchte. Nun ja, dann hatte ich mich halt ein bisschen verguckt. Bis er aus dem Urlaub zurück ist, wäre das sicher vorbei.

Donnerstag, 2. August 2012

Stunde 0

Wie schreibe ich etwas auf, das ich nicht sagen darf? Wie bekomme ich es aus meinem Kopf? Indem ich es aufschreibe. Aber wie schreibe ich etwas, was ich nicht sagen darf?...
So geht das jetzt seit ca. 3 Wochen. Ich will versuchen wenigstens etwas von diesem so schönen und auch so absolut abwegigen Gefühl loszuwerden. Ich platze bald! Es ist wie damals. Egal ob mit 12 oder 27. Es gibt keinen Unterschied. Immer das gleiche Muster. Immer die gleiche Intensität. Immer das gleiche Gefühl. Immer mit allen Sinnen. Immer erinnert mich alles daran. Ich bekomme es nicht aus meinem Kopf und nicht aus meinem Magen. Und das ist ebenso köstlich wie verboten.
Wahrscheinlich ist das ziemlich kryptisch. Werde ich später, wenn ich das lese, wissen worum es ging. Ich werde! Denn es ist mir nicht so oft passiert, aber dafür immer 100prozentig. Wenn es mir passiert, dann ganz. Aber dass es mir mit 35 passiert – ich lebe in einer glücklichen Beziehung und bin Mutter eines kleinen Kindes – ist ganz und gar dumm. Dumm schon, lässt sich aber nicht vermeiden. Seit es mir bewusst ist, warte ich darauf, dass es vorbeigeht. Und doch hoffe ich, dass es bleibt. Ich bin zerrissen und ambivalent und doch ganz heil dabei. Ich lebe! Das ist mein Leben. Mittlerweile habe ich solch einen Druck, es loszuwerden, dass ich nicht mehr glaube, dass es einfach so vorbeigeht. Solange dauert kein Eisprung, bei dem ich mir so manches Mal einbildete verliebt zu sein. Ich habe es mit Laufen versucht. Das klappte auch sehr gut. Bis mir meine Knie Probleme bereiteten und ich wieder vor dem selben Problem stand: Wie werde ich es los?
Mitte letzter Woche dachte ich, es ist vorbei. Es machte mir nichts mehr aus, "es" zu sehen. Ich schreibe „es“, weil ich Angst habe, dass es irgendjemand entdecken und mich damit in Verbindung bringen könnte. Ich hoffe, dass, wer immer Ihr auch seid, die Ihr das lest, mich im wahren Leben nicht erkennt. Jedenfalls wog ich mich schon in Sicherheit und dann traf es mich mit voller Wucht. Ich sah es – das Auto – und plötzlich war es das selbe mulmig schöne Gefühl in der Magengegend. Wuchtig! Es haut Dich voll um und gibt Dir Energie für die nächsten Jahre. Du musst nichts essen und schwebst einfach eine Stufe über allen anderen Menschen. Von wegen es ist vorbei. Hatte ich mich wohl selbst überschätzt.

Was soll ich nun damit anfangen? Eine Offenbarung ist absolut indiskutabel. Es geht nicht! Es geht einfach nicht! Ich muss warten bis es vorbei geht. Und doch genieße ich es und hoffe, dass es bleibt. Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß nur, dass es nicht geht. Es geht dabei nicht nur um mich, sondern auch um meine Familie und andere Menschen. Ich bin nicht mehr nur für mich selbst  verantwortlich. Ich bin auch für andere Menschen verantwortlich. Deswegen kann ich es nicht offenbaren und muss mich eigentlich genauso geheimnisvoll wie als Teenager verhalten. Schon damals glaubte ich, so etwas geheim halten zu müssen. Vielleicht ist es ja auch normal und so etwas passiert einfach in jedem normalen Leben. Passieren schon. Passieren klingt auch als könne ich gar nichts dafür. Kann ich ja auch nicht. Zumindest nicht für den Umstand an sich. Aber ich sollte mich von „es“ fernhalten. Und das tue ich nicht. Ich suche die Nähe von „es“. Mehr als mir lieb ist. Ich hoffe es fällt nicht auf. Ich hoffe es fällt „es“ nicht auf. Das große „es“. So groß ist „es“ nun auch wieder nicht. Und schon gar nicht auf den ersten Blick. Es kam einfach mit der Zeit und plötzlich war es da. Es war die Art von „es“. ...Es kommt mir jetzt ziemlich albern vor, es „es“ zu nennen. Mag aber auch an dem Glas Wein liegen, dass ich eben getrunken habe, um überhaupt den Mut zu haben, es aufzuschreiben. Tja, Selbstmedikation mit Alkohol – eine traurige Bewältigungsstrategie. Immerhin kam sie erst nach Laufen, Schreiben, dem Versuch, mich mit Mathilda zu verabreden und ... immer wieder Musik. Ich höre, ich suche Musik, die mich mitten ins Herz trifft, die zu mir und meiner Stimmung passt. Heute sind es OneRepublic mit ihrem "Secrets":


Musik ist eine Möglichkeit, eine Entsprechung meiner Gefühlswelt im wahren Leben zu haben. Ist das verständlich? Ich kann sie in aller Öffentlichkeit hören - was ich exzessiv betreibe - und habe eine Verbindung zu dem Thema, was mich so sehr beschäftigt und wovon niemand anderes etwas wissen darf. Hier zu schreiben, ist eine weitere Möglichkeit...
Mein Herz macht einen Hüpfer, wenn ich "es" morgens sehe. Es fehlt sonst etwas. Ich suche "es". Natürlich unauffällig. Ich verhalte mich rein äußerlich nicht anders als sonst. Aber innerlich verbrenne ich, wenn "es" durch die Tür kommt. Ich warte auf Begegnungen. Ich tanke durch sie auf. Manchmal hole ich mir eine Extradosis ab. Ich suche nach Gründen „es“ zu begegnen. Nicht immer ist es notwendig, aber es hat seine Berechtigung. Bisher schaffe ich es dabei in vollständigen Sätzen zu sprechen und höre mich halbwegs intelligent und mitfühlend dabei an. Aber was rede ich da? Ich bin intelligent und mitfühlend. Und das ist „es“ auch. Oder ist es aufgesetzte Freundlichkeit? Ich bin irritiert, weil ich so ein „es“ in dieser Berufswelt noch nicht getroffen habe. Und selbst wenn es nicht aufgesetzt ist, bin ich damit gemeint oder nur meine Position. Holt „es“ sich therapeutische Ratschläge? Nein, nein, nein. „Es“ sagte doch gestern erst, dass es gerne mal wieder mit MIR zusammensitzen und reden würde. Aber das ist doch rein kollegial. Ich darf mich da in nichts verrennen. Ich leide in solchen Situationen gerne an Beziehungsdenken. Ich muss mich konzentrieren, mich dem nicht hinzugeben. Dabei wäre es so einfach. So leicht sich treiben zu lassen.

Mittwoch, 1. August 2012

"This is your life. 
Do what you love, and do it often. If you don’t like something, change it. If you don’t like your job, quit. If you don’t have enough time, stop watching TV. If you are looking for the love of your life, stop; they will be waiting for you when you start doing things you love. Stop over analyzing, life is simple. All emotions are beautiful. When you eat, appreciate every last bite. Open your mind, arms, and heart to new things and people, we are united in our differences. Ask the next person you see what their passion is, and share your inspiring dream with them. Travel often; getting lost will help you find yourself. Some opportunities only come once, seize them. Life is about people you meet, and the things you create with them. So go out and start creating. Live your dream and share your passion.  
Life is short." 

The Holstee Manifesto



Ich bin der Inbegriff einer geradlinigen, ruhigen und gesettelten Frau, die ihr Leben im Griff hat. Nach außen hin mag es so aussehen als sei mir im Leben einiges zugefallen, aber ich kann Euch versichern, dass dem nicht so ist. Bei mir wirkt alles leicht, unkompliziert, entschlossen – eben so als wüsste ich immer wo es langgeht. Schaut Euch die unauffälligen, liebevollen Bilderbuchmamis in Eurer Umgebung an, schaut Euch die erfolgreichen, ruhigen Kollegen auf Eurer Arbeit an, die niemandem was zu Leide tun, schaut Euch die Freunde an, die immer ein offenes Ohr und selbst keine Probleme zu haben scheinen. Das bin ich! Oder sollte ich sagen: Das war ich? Denn wenn das noch immer so wäre, würde das, was ich zu sagen habe, bald erschöpft sein. 

Die Worte des Holstee Manifesto, die eher mich gefunden haben, als ich sie, sind zu meinen Leitsätzen geworden. Dies alles hört sich so richtig an und beschreibt so genau meine heutige Lebenseinstellung, dass ich sie in die Welt hinaustragen möchte. Doch die Reaktionen, die ich bekomme, wenn ich diese Worte im wahren Leben mit anderen teile, sind entweder gar nicht vorhanden oder verhalten oder verständnislos. So dass ich mir manches Mal wie ein Alien vorkomme. Und ich hoffe, hier auf andere Aliens zu treffen. Ich weiß, dass es Euch gibt! Also lest und kommt mit! Dass ich das hier tue - einen Blog schreiben, wo ich vor ein paar Monaten noch nicht mal wusste, ob es der, die oder das Blog heißt – habe ich Mathilda, einer sehr guten Freundin zu verdanken, zu der ich einen intensiven email-Kontakt pflege. (Mathilda, ...ich tue es wirklich!!!) Intensiver email-Kontakt heißt: ich schreibe und sie liest. Und bald lag sie mir damit in den Ohren, dass das mehr Leute lesen müssen und sie durchaus bereit wäre auf die Exklusivleseposition zu verzichten. Wir werden sehen, ob sie recht hat.
Heute nun fange ich an, meine Geschichte aufzuschreiben, die mich auf so schonungslose und lebendige Art aus der Bahn geworfen und an das Leben erinnert hat.

Ist es eine Lappalie oder ein großes Lebensthema?
Ist es Glück oder Verzweiflung?
Ist es Realität oder Fiktion?
Entscheide selbst, was für Dich wozu gehört.