Liebe Mathilda,
ich habe eine anstrengende Woche hinter mir. Und mit anstrengend meine ich nicht das Jagen von Flo im Treppenhaus, sondern meinen Vortrag innerhalb einer ärztlichen Fortbildung. Eine gewisse Aufregung ist immer dabei, besonders wenn Flo zuhört. Wie gut, dass man mir das äußerlich kaum ansieht.
Mein Vortrag läuft wie geschmiert. Ich bin locker und bringe einige Hirschhausen-Zitate, die Flo wohl ansprechen. Manchmal nervt es mich, dass ich so sehr auf ihn fixiert bin. Schließlich geht es ja nicht nur darum, ob er meinen Vortrag versteht und sich angesprochen fühlt, sondern ob ich insgesamt das rüberbringen kann, was ich möchte. Und das ist heute eine Reflexion über die Entstehung von und den Umgang mit beruflichen Belastungen. Flo sitzt neben mir als ich referiere. Nichts für verliebte Sozialphobiker, aber was für Flo-Liebhaber. Als ich mir die Maus und die Tastatur für die Präsentation geben lasse, meint einer der Ärzte, dass sie an meinem Platz nicht funktionieren wird, weil der Funkweg zu groß sei. Als einzelne Therapeutin unter Ärzten ist es schon ein bisschen wie in einer Löwengrube. Ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen, will es trotzdem von hieraus versuchen und bin auch der Meinung, dass es schon mal geklappt hat. Um die Chance zu erhöhen, dass die Maus reagiert, rücke ich völlig eigennützig näher an Flo heran, der seinen Platz beibehält. Und dann referiere ich - locker, leicht, humorvoll und an den richtigen Stellen auch ernst. Ich gebe meinen Ärzten Informationen über Verdrängung und innere Antreiber, über Nein-sagen und Berufungs-Check. Die Rückmeldungen lassen darauf schließen, dass es für die Zuhörer interessant war (Dies ist mein Antreiber: Sei beliebt!). Am meisten hat Flo zu sagen. Irgendwie kamen wir darauf, welche Entlastungsmöglichkeiten es für beruflichen Streß gibt. Und ich bin gerade dabei alles aufzuzählen, was mir einfällt, als Flo leise und kichernd, zu mir gebeugt sagt: "... und Hirschhausen lesen." Ich möchte gern wissen, ob er selbst Hirschhausen gelesen hat oder nur an mir bemerkt hat, dass ich immer wieder auf den Hirschhausen komme. Würde ihm ja mal ganz gut tun, es selbst zu lesen. Aber mal ehrlich, bei jedem anderen hätte diese Äußerung wohl nur zu einem Gähnen geführt.
Nach einer Weile fragt Flo, ob das "Innere Antreiber"-Konzept mit dem Über-Ich gleichzusetzen ist. Ich erläutere ihm, dass das Über-Ich ein psychoanalytisches Konzept ist und die inneren Antreiber ein anderes Konzept sind. Ich sage, dass das Über-Ich die moralische Instanz ist und Flo entgegnet, dass die Antreiber das ja auch seien. Ok, wir beide - vor Publikum - in einer Diskussion über Moral! Das ich nicht lache. Möchte ihn bei Gelegenheit zu gerne fragen, was sein Über-Ich so macht. So ängstlich scheint er jedenfalls nicht mehr zu sein.
Nach meinem wie aus den Rückmeldungen zu schließen sehr gelungenen Vortrag folgt die Visite, in der mir heute sehr auffällt, wie er die ganzen weiblichen Behandler um sich scharrt, vielleicht auch an sich bindet. Was hat er nur, dass alle so an seinen Lippen hängen? Er betritt den Raum und alles strahlt. Kann sich gerade auch gut austoben, weil in der Urlaubszeit wenig bis gar keine Konkurrenz auf den Stationsfluren unterwegs ist. Schon klar, ich bin hier unter Narzißten tätig, und wahrscheinlich will ich auch ein kleiner sein. Was mich echt ärgert und eifersüchtig macht, ist, dass er der heute aus dem Urlaub zurückgekehrten Assistenzärztin sagt wie gut erholt sie aussieht. Und er erwähnt sogar ihre lackierten Fußnägel und das Fusskettchen, die noch vom Strandurlaub übriggeblieben sind. Wahrscheinlich hat er einfach so eine metrosexuelle Art, dass ihm solche Details auffallen, und er sie auch sogleich - oberflächlich natürlich, aber ohne Frage aufmerksam - anerkennend in Worte fasst. Und wenn er "früher" mir Komplimente machte, war diese, seine Eigenschaft wahrscheinlich der Grund dafür und nicht ich. Diese Erkenntnis ist irgendwie hart. Als wenn ich auf dem Boden aufkomme. Aber wahrscheinlich ist da etwas Wahres dran. Die Szene am Visitenwagen geht weiter während ich meinen Gedanken nachhänge. In einer lockeren Stimmung, in der die Fusskettchen-Assistenzärztin nicht sofort eine von Flo´s sarkastischen Äußerungen versteht, kommt es zu einer Geste, zu der ich mir erst noch eine Haltung entwickeln muss. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dr. Fusskettchen darum beneide oder sie in meinem Ansehen wirklich zur Fusskette schrumpft. Flo hält gerade eine Patientenakte in der Hand und gibt Dr. Fusskettchen, die auf dem Schlauch steht, damit einen kleinen Stubser auf den Kopf. Nach dem Motto "Du Dummchen!" Einerseits bin ich schon neidisch, dass die beiden so einen lockeren Umgang pflegen, andererseits möchte ich ja nicht das Dummchen sein. Und doch wäre das vielleicht besser als gar nichts? Doch, alles ist besser als das, sagt mein innerer Antreiber. Und alles ist besser als Fusskettchen. Ich weiß, dass er das mit mir nie machen würde (vermutlich sein innerer Antreiber) und bin enttäuscht und stolz zugleich darüber. Ja, erneut und ganz unerwartet, große Ambivalenz in Eva´s Gefühlsleben.
Ambivalente Grüße von Eva
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