Freitag, 30. August 2013

Bin ich eine Stalkerin?

Liebe Mathilda,

heute mal wieder was aus meinem therapeutischem Leben. Auch nach den vielen Jahren als Therapeutin gibt es sie noch: die erleuchtenden, erhellenden Momente, die mich berühren und durch die ich immer weiter lerne. Ich sprach heute mit einer todunglücklichen Klientin, die vor 4 Tagen ein Kind bekommen hat. Der Kindsvater (Ihr "Jackpot"), zu dem sie eine so called On-Off-Beziehung führt, hatte sich 2 Tage vor der Geburt abgewendet. Er ist mit einer anderen Frau verheiratet, hat bereits ein Kind und lebt mit der Klientin in einer Affäre. Sie suchte sich bereits mehrmals solche Beziehungen aus. Ihre Erzählung wirkte sehr reflektiert. Sie nahm ihn sehr in Schutz aufgrund der "Doppelbelastung". Und ihr war wohl auch klar, dass sie diese gewisse Aufregung brauche, die sie in einer Zweierbeziehung nicht auf lange Sicht finde. Auch könne sie sich vornehmen, gegenüber dem Kindsvater zu schmollen, aber spätestens wenn sie sich wieder begegnen, können sie sich nicht mehr böse sein und fallen übereinander her. Eröffnen gewissermaßen die nächste Runde.

Wie viele Runden braucht sie? 

Wie viele Runden brauche ich? 

Es kommt mir schon so vor als würde mit Flo regelmäßig alles von Neuem beginnen. Euphorie - Ärger - Abkühlung - Euphorie - Ärger - Abkühlung... Zudem ist mein Geständnis nun bald so lange her, dass ich irgendwie den Zustand von ganz früher erreiche: Nämlich, dass ich nicht weiß, ob er noch bescheid weiß. Und dann finde ich diese ganze Überlegung wieder so absurd, weil er wissen wird, dass mein Gefühl für ihn über kollegiale Freundlichkeit hinausgeht. Und es ist absolut ärgerlich, dass er - sobald ich etwas kühler ihm gegenüber bin - den Kontakt zu mir intensiviert. Heute sprach er mich beispielsweise auf ein Buch ("Einfach die Welt verändern") an, das ich ihm vor Unzeiten mal ausgeliehen hatte. Er nahm auf eine sehr konkrete Stelle in dem Buch bezug, an die selbst ich mich nicht erinnern konnte. Ich hab seine Post-it-Notiz, die er mir bei der Rückgabe des Buches aufgeklebt hatte, aufgehoben und alles, was in meiner Wahrnehmung passierte akribisch beschrieben, aber an seine erinnerte Textstelle konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Später habe ich nachgeschaut und sie stimmte tatsächlich. Hat er ein Gedächtnis wie ein Elefant oder sich heimlich Kopien von dem Buch gemacht und seine Wände damit tapeziert? Dass er sich solche Details merkt, beeindruckt mich. Es ist so gemein, dass er immer wenn ich mich ihm gegenüber etwas stärker fühle, wieder irgendwo durchkommt. Wenn ihm das nicht bewusst ist, ist er wirklich arm dran. Wenn es ihm aber bewusst ist, ist es gemein!

Wie auch immer. Fest steht, dass ich auf ihn reagiere. Es ist fast wie automatisiert und lässt sich trotz Abkühlung nicht abstellen. Ich komme heute morgen auf die Station und frage mich, ob er schon da ist. Ich trete durch die Tür und ungelogen rieche ich seinen Duft, sein Parfüm, was auch immer. Ich denke "Oh, Flo ist schon da!" Und so ist es auch. Manchmal verunsichert mich die Frage, ob das, was ich tue Stalking ist. Ich sah neulich einen Film mit 80er Jahre-Schick darüber ("Das Biest") und war unangenehm berührt, was Verliebtheit anrichten kann, wenn sie nicht erwidert wird und man sich darin verfängt. Und dann frage ich mich, ob ein Blog über Flo schreiben auch Stalking ist. Oder den Sprechstundenplan durchforsten, damit ich weiß, wo er sich wann aufhält. Wo fängt Stalking überhaupt an? Wikipedia sagt dazu: "Häufig sind es jedoch die eher „leichten“ Stalking-Handlungen, wie etwa das Telefonieren [mach ich eigentlich nur selten und aus "fachlichen" Gründen] oder das Sich-Aufhalten in der Nähe des Opfers [mache ich allerdings schon soweit es sich realisieren lässt], die den überwiegenden Anteil aller Handlungen ausmachen. Je nach Charakter, Belastbarkeit und Empfindlichkeit des Opfers können aber bereits diese „leichteren“ Formen des Stalkings beim Opfer psychische und physische Reaktionen hervorrufen, die sich mit Dauer des Stalkings entsprechend steigern und individuell zu ernsthaften Erkrankungen führen und sich bis zur Arbeitsunfähigkeit entwickeln können." Kontakt zu mir scheint ihm nicht unangenehm zu sein. Ist das jetzt ein Ausschlusskriterium? Ich will keine Stalkerin sein.
Liebe Grüße von Eva

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