Dienstag, 29. April 2014

Der Bart wächst, das Gehirn schrumpft

Liebe Mathilda,

mit meiner Klientin gehts voran: sowohl dem Sterben als auch der psychische Weiterentwicklung entgegen. In ihrem Nebel sagt sie oft ziemlich kluge, weise Sachen. Wenn sie sich auch im Kurzzeit- und Ultrakurzzeitgedächtnis kaum etwas merken kann, das Wichtige bleibt hängen. Sie unterrichtete am Wochenende ihren Ehemann über ihre Affäre. Dieser reagierte ... versöhnlich. Das sei jetzt auch nicht mehr wichtig. Vielleicht neigen wir Frauen auch dazu, die Männer zu unterschätzen. Mit ihrem Geliebten habe ich heute auch telefoniert. Sie möchte ihn sehen und sich verabschieden. Sowohl aus dem Leben als auch aus der Beziehung. Es ist die Härte, was sich in 2 Wochen alles verändern kann. Ich will den beiden am Donnerstag ein Treffen ermöglichen.

Vielleicht verändert sich für mich persönlich auch gerade viel. Ich habe - vielleicht auch durch die Geschichte meiner Klientin - erstmals das Gefühl, dass es besser ist, dass es mit Flo nicht geklappt hat. Und ich kann mich nicht über solch eine fehlende Verbindung zu Tino beschweren wie meine Klientin es indirekt ihrem Mann vorwirft. Tino und ich - das ist schon was! Florian dagegen trete ich schon mal buchstäblich (wenn ich "buchstäblich" schreibe, muss ich immer an "Das Leben ist ein mieser Verräter" denken, wo sie sich über dieses sinnlose Wort lustig machten) in die Hacken als ich heute hinter ihm durch eine Tür gehe. Ich entschuldige mich und er fragt:
 
Flo: "War was?" 
 
Evy: "Ja, ich bin dir in die Hacken getreten." Hat wohl jetzt auch noch Sensibilitätsstörungen in den Füßen. 
 
Flo: "Mit Deinen wirklich ... roten Schuhen?" Womit denn sonst? Ich trage die neuen, knallroten Pumps aus meiner "Wutbestellung" zum dunkelblauen Rock und fühle mich ziemlich attraktiv. Und ich glaube er steht darauf. Kein Eisprung! Habe meine Tage.
 
Flo: "Klinikkonforme Farben?" fragt er und meint, dass ich die Klinik-Farben imitiere. Er läuft neben mir und schaut mich nicht an. Er hat scheinbar vorher registriert, was ich anhabe. Ich bitte Dich! Dieser Klinikfarben-Vergleich hat ja schon soooo einen Bart.
 
Eva: "Ich kann nichts dafür, dass das die Farben sind, die ich mag." sage ich egozentrisch.
 
Flo: "Ich mag das auch. Es ist so ... klassisch." stimmt er mir zu. Er meint das vermutlich als Kompliment. Ich kann mir Schöneres vorstellen als "klassisch" zu sein. Naja, dem Typ ist eh nicht mehr zu helfen. Der Bart wird bärtiger und lässt seine schönen Gesichtszüge verschwinden. Und dann dieses unnütze Drinrumgestreiche. Sehr "klassisch" bärtig. Und dann erzählt er mir von seiner Gartenarbeit und der "Drainage" seines Hauses. Ich nenne das einfach "Dachrinne". Einfach nur bärtig. Und ich finde, dass er die Züge eines Gartenzwergs annimmt. Gefährlich ist diese Belustigung, diese Beruhigung, dieses gefühlsmäßige Ankommen, weil ich auf Irritationen nicht mehr so gefasst ist. Denn dann sitze ich mich in Sicherheit wiegend mit Flo und einigen anderen beim Kaffee. Er mir schräg gegenüber, was ansich schon mal gefährlicher ist, weil Blickkontakt entsteht. Und die Augen und der Blick sind ja die gleichen und nicht durch den Bart verdeckt. Noch nicht! Plötzlich fragt er mich:
 
Flo: "Und Du?..."
 
Ich denke, was kommt denn jetzt? Was will er mich fragen? Und blicke ihn erwartungsvoll an.
 
Flo: "Hast Du Lust, dich mit mir und meiner Familie zum Staffellauf anzumelden? ... Du und Deine Familie?" Was soll das denn werden? Wir und unsere Familien werden Freunde und alles ist Friede-Freude-Eierkuchen? Will er eine aufs Maul von Konstantin? Und das wäre die schlagfertige Antwort gewesen: "Wenn Du eine Prügelei möchtest, immer gerne." Stattdessen sage ich etwas fassungslos und reichlich ausweichend:
 
Eva: "Ich muss wegen dem Termin gucken." Ich weiß echt nicht, was er sich so vorstellt. Bartwuchs korreliert offensichtlich mit Verlust von Gehirnmasse!

Ich drück Dich,
Eva

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