Liebe Mathilda,
nach laaaaaanger Zeit Mal wieder eine mail von mir.
Ich hatte Anfang der Woche ziemlichen Ärger auf der Arbeit mit einer Krankenschwester, die sich für den Dreh- und Angelpunkt der Station hielt und ihre Grenzen überschritt, so dass selbst ich nicht mehr an mich halten konnte und wollte. Und so wies ich sie auf dem Flur laut diskutierend / schreiend in ihre Schranken. Seitdem war es erträglicher mit ihr und ich war erleichtert. Und ich find toll, dass ich so etwas kann: Diskutieren und Schreien.
Nun hat sich alles etwas beruhigt und heute haben Betty und ich unseren todschicken neuen Raum mit einem Empfang mit Sekt und Häppchen eingeweiht. Wir hatten letzte Woche per Rundmail alle eingeladen, vorbeizuschauen. Fazit: Voller Erfolg auf der ärztlichen Ebene, Boykott von der Pflege. Eine Nachwirkung meiner Grenzsetzung oder einfach Desinteresse. Es kam keine Schwester von der Station dafür 8! Chefärzte, Verwaltungsleitung und jede Menge Leute, die bei der Umsetzung mitgeholfen hatten. Mit denen, die da waren, war es wirklich schön. Ob Flo kommen würde, blieb wie immer spannend...wobei, eigentlich glaubte ich schon, ihn überzeugt zu haben. Die ganze Woche hatten wir schon nette Begegnungen ohne große Höhepunkte. Er schenkte mir oft Kaffee ein oder nach. Heute hatte ich nicht mal ne Tasse und er schnappte sich eine, füllte sie und reichte sie mir. Muss er mich irgendwie versorgen, um mit sich im Reinen zu sein, oder so? Wir saßen allein im Aufenthaltsraum und er hatte mir gerade den Kaffee gereicht. Dann sagte er, dass er wohl heute zu unserer Einweihungsfeier nur auf einen schnellen Sekt vorbeikommen kann. Schien also ein Besänftigungs-Tut-mir-Leid- dass-ich-nicht-kommen-kann- Kaffee zu sein. Er würde heute Nachmittag operieren und müsse dann zu einer Fallkonferenz fahren, die um 16 Uhr beginnt. Ich fragte amüsiert (hatte echt keine Lust auf Problemdiskussionen, wollte es einfach locker und leicht): "Einen schnellen Sekt...damit Du besser Autofahren kannst?" Er lacht und denkt laut nach: "Wenn ich so spät aus dem OP komme, dass es sich nicht mehr lohnt, zur Fallkonferenz zu fahren...natürlich unwillig." Daraufhin traue ich mich was und sage: "Ja, dann mach das doch mal "ganz unwillig" und operiere so lange, dass es sich nicht mehr lohnt." Wir grinsen uns an. Schön. Und ganz unwillig nach seiner Meinung. Ich finde mich klasse und schätze, dass er zu 90% tun wird, was ich ihm vorschlage. Und tatsächlich kommt Prinz Flo um Viertel vor 4 bei uns hereingeschneit. Er trinkt einen langsamen Sekt in dem ganzen Gewusel. Dann gehts in die Besprechung, an der er nun teilnehmen kann und die nur einen Raum weiter stattfindet. Anschließend ist noch soviel übrig, dass wir wieder in unseren schönen Raum gehen. Auch Flo ist sofort wieder da und ich frage ihn einladend: "Na, machen wir weiter?" Er stimmt zu, trinkt Kaffee, nimmt Häppchen und unterhält uns. Er zeigt sich beeindruckt, was Betty und ich buffettechnisch gezaubert haben. Betty zählt auf, wer alles am Buffet mitgewirkt hat. Auch der Kuchen, den mein Vater gebacken hat wir erwähnt. Sie sagt "Dieser Kuchen ist von Opa Uli." Rührt daher, dass wir uns oft über unsere Kinder und was die so sagen unterhalten. Das sorgt für Belustigung und Flo fragt bei mir nach, ob das mein Vater, der Mann mit den eingefrorenen Wasserleitungen sei. Da durchfährt es mich, denn ich habe es ihm im letzten Februar erzählt, dass die Wasserleitungen im Haus meines Vaters eingefroren waren als die Heizung ausfiel während er verreist war. An keinem geringerem Tag als dem alles entscheidenden Abend als ich mich mit ihm im Uranium traf. Ich denke so bei mir, dass das das erste Mal ist, dass er irgendwas, was an diesem Abend gesprochen wurde, erwähnt. Das ist jetzt über 13 Monate her! Manchmal glaube ich schon selbst, dass das gar nicht stattgefunden hat, weil es zwischen uns so totgeschwiegen wird. Offensichtlich ist dem aber nicht so. Flo scheint sich alles gemerkt zu haben. Warum erstaunt mich das so? Es ist ein bisschen wie ein Hieb, ein Stoßen auf eine fast überwunden geglaubte Zeit, so als wollte er testen, ob es außer den gefrorenen Wasserleitungen auch noch erhaltene Gefühle von damals gibt. Wir haben einen kurzen Moment, wo wir uns intensiv ansehen. Prüfend. Testend, was in dem anderen vorgeht. Ganz sauber ist der Typ nicht! Er muss mich und sich nicht dran erinnern. Er kann alles in meinem Blog nachlesen. Ganz sauber bin ich auch nicht! Es ist mittlerweile irgendwie eine Haß-Liebe. Klar, finde ich ihn noch immer wahnsinnig sympathisch, aber immerhin würde ich nicht sofort mit ihm mehr in die Kiste steigen, wenn er es mir anböte. Und ich genieße es, ihn in allem ein bisschen zappeln zu lassen und registriere negative Eigenschaften an ihm (Fingernägel, schütter werdendes Haar, wirklich hässliche Schuhe, eine schlechte Haltung usw.). Und außerdem genieße ich es, mich vor ihm in Flirtereien mit anderen zu stürzen. Es war richtig schade, dass er noch nicht da war als der CA der Kardiologie da war und offensichtlich mit mir flirtete. Typ: sympathischer Junge (kann kaum 40 sein) mit schlagfertigen Antworten und reduzierter interindividueller Distanz. Der Typ kommt richtig nah an mich heran, ist lustig und zwinkert mir zu. Ich finde das ganz nett ohne dass es mich aus der Bahn wirft. Auch ich bin heute schlagfertig, aber das einzige, woran ich denken kann, ist, dass Flo das nicht sieht. Das käme ja einer Kastration gleich, wenn ich jetzt statt mit ihm mit einem Chefarzt flirte. Alles in allem, eine sehr gelungene Feier. Und mit Betty eine tolle Kollegin und Freundin, die mich recht häufig von Flo absorbiert.
Ich wünsch Dir schöne freie Tage (hoffentlich mehrere?),
Eva
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