Liebe Mathilda,
ich bin ziemlich durchgeschüttelt von meiner Arbeit. Ausnahmsweise mal nicht von Florian, wobei das schon irgendwie mit ihm zu tun hat, dass ich auf diese Klientengeschichte so heftig reagiere. Naja, und weil das in aller Gesamtheit nur du und Betty verstehen könnt, bist Du mal wieder diejenige, die es zu lesen bekommt.
Ich schrieb letzte Woche schon einmal von meiner Klientin Frau Eilig, mit der ich seit 10 Monaten arbeite. Die total überangagierte, attraktive Apothekenfrau mit der Affäre. Von ihr ist die Pralinenmethapher für eine Affäre (Man brauch es nicht, aber ein gutes Stück Schokolage ist einfach mmmh...). Ich als ihre Therapeutin bin ihre Vertraute in dieser wie in vielen anderen Angelegenheiten und biete vermutlich reichhaltige Projektionsfläche. Ich habe sie in der Therapie ihrer Krebserkrankung begleitet. Erst die ganze medizinische Behandlung und im März fuhr sie zur Reha und kehrte mit Schmerzen vorzeitig zurück. Nun ist sie seit 1 Woche stationär und durchdiagnostiziert. Ergebnis: Meningiosis carcinomatosa. Solch einen rasanten Verlauf habe ich noch nicht erlebt. Frau Eilig, ihre Familie und ihre Behandler - alle sind erschüttert. Sie ist schon relativ eingeschränkt, vergißt ihre email-Zugangsdaten und ist zeitlich nicht immer orientiert. Neben der Angst vor dem Sterben ist ihr ganz dringend wichtig, dass sie die Situation mit ihrem Geliebten und mit ihrem Mann klärt. Sie wollte nie jemandem weh tun. Sie fragt sich, warum sie die Affäre eingegangen ist und beantwortet sich die Frage selbst. Sie hat riesige Schuldgefühle und ist davon überzeugt, dass sie wegen der Untreue krank geworden ist. Ihre Familie kümmert sich rührend und sitzt ständig am Bett. Es geht ihr besser, wenn sie nicht allein ist. Sobald ich mit ihr unter vier Augen spreche, geht es um ihren Geliebten. Sie muss großen Druck haben, da sie mit niemandem sonst darüber sprechen kann. Die Kommunikation mit ihrem Geliebten erfolgte größtenteils über email, so dass auch dieser Weg abgeschnitten ist. Sie selbst kam heute auf die Idee, dass sie ihn in meinem Beisein anruft, da sie ihre medizinische Situation nicht mehr gut erklären könne. Ich sitze also an ihrem Bett und sie wählt in ihrem Handy "Veronika", unter der sie die Nummer ihres Geliebten abgespeichert hat. Ich bin beeindruckt von so viel Gewieftheit. Flo steht in meinem Handy unter "Flo". Aber mir musste man ja auch erst beibringen, dass man sich einen zweiten emailaccount zulegen kann. Am Telefon meldet sich die männliche Stimme. Liebevoll begrüßen sie sich. Sie beginnt zu weinen als sie versucht, ihm die Situation zu erklären. Sie stellt mich vor und bittet mich zu übernehmen. Sie hält mir unabweisbar das Handy hin. In dem Moment kommt eine Schwester rein (wie immer der günstigste Moment überhaupt) um mitzuteilen, dass Frau Eilig zu einer Untersuchung abgerufen wird. Ich vereinbare ein Telefongespräch mit dem Geliebten in Abwesenheit der Klientin. Sie möchte, dass ich ihm alles über ihre medizinische Situation sage, was ich wenige Minuten später tue. Er ist sehr mitgenommen und ich überlege mir, zu wem er damit eigentlich gehen kann. Wohin geht ein Mann mit seinen Gefühlen, wenn die Geliebte stirbt? Ich mache ihm ein Gesprächsangebot. Aufgrund der prekären Lage hat Frau Eilig Angst vor persönlichem Kontakt zu ihrem Geliebten. Sie befürchtet, dass er ihrem Mann, ihren Kindern begegnet, die sich untereinander kennen. Vorerst also telefonischer Kontakt. Und er bittet mich, ihn anzurufen falls es sehr ernst wird. Ist das also das Schicksal von Affären? Dass sie unter Umständen gar nicht erfahren, wenn ihr Geliebter stirbt? Ich bin irgendwie geneigt, der Klientin ein persönliches Gespräch mit ihrem Geliebten zu ermöglichen, was ihr am liebsten wäre, aber was sie wegen der Ängste weit weg scheint. Soll ich ein Treffen in meiner Therapielounge arangieren? Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas einmal in Erwägung ziehe, aber das zeigt nur, dass ich es irgendwie doch bewerte. Abwerte? Es scheint sehr wichtig für Frau Eilig, ihre Beziehungen zu klären. Sie sagt, dass sie die Affären-Erfahrung am liebsten abschließen und einrahmen würde, um sich darüber freuen zu können, dass sie das einmal erlebt hat. Das ist auch das erste, was ich dachte als ich hörte, dass sie Metastasen hat: Ein Glück ist sie noch fremdgegangen. Sie setzt die Priorität auf ihre Familie, ihren Mann (ich bin mir nicht sicher, ob das nicht nur der "moralisch saubere" Weg ist). Sie sagt: "Lieben kann man viele, Familie hat man nur eine." Die Vernunft sagt ihr, dass sie die Affäre beenden muss. Sie hat auch Ängste, wie ihr Geliebter reagiert. Sie möchte weder, dass er ihr zustimmt (und damit bestätigt, dass er sie nicht mehr liebt) noch dass er zu sehr an ihr hängt. Eine praktisch nicht lösbare Aufgabe. Und das alles ist so nah an meinem eigenen Empfinden, weswegen mich das Ganze natürlich so mitnimmt. Beenden und Einrahmen? Oder weiter laufen lassen? Mir geht ja nichts verloren, wenn ich einfach so weitermache. Oder doch? Was könnte ich wohl mit der ganzen Lebenszeit anfangen, wenn ich hier nicht schreiben würde? Und dann sicher auch wieder die große Schuldfrage: Mache ich mich mit meinem Verhalten schuldig? Und kann ich das nicht nur ganz allein für mich entscheiden?
Fragen über Fragen!
Liebste Grüße,
Eva
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