Donnerstag, 10. Oktober 2013

Verbotener Blick


Liebe Mathilda,

so, noch kurz bevor wir uns sehen, das Neueste von Flo und mir. Ist schon irgendwie ein bisschen zwangsgestört, dass ich alles, was mit ihm zu tun hat, aufschreiben muss. Als wäre es sonst weniger wahr.

Ich habe endlich mal wieder mit ihm Mittag gegessen. Nicht allein, aber ich sitze mit Barbara schon im Aufenthaltsraum als er dazu kommt und sich an meine Seite setzt, um seine mitgebrachten Nudeln zu essen. Wie romantisch! Meinen Kittel, die übergeworfene Berufsbekleidung, die ich zu Erkennungszwecken trage, habe ich aufgrund der Beendigung meiner heutigen Stationstätigkeit und auch weil ich in zivil heute ziemlich heiß aussehe schon mal abgelegt. Flo kommt auch in zivil und sieht verwegen um die Haare aus. Lässt er sich Koteletten wachsen oder hat er nur ein paar Haare beim Rasieren übersehen? Fehlende Gründlichkeit bei der Rasur ist sonst nicht so seine Art. Mir reichen diese paar Stoppeln nicht aus, um sie in eine Frage umzuformulieren. Also weiter rätseln, was es damit auf sich hat, und freuen, dass er neben mir sitzt. Er fragt, ob es was Neues "aus therapeutischer Sicht" gibt. Gemeint sind Barbara und ich, wobei Barbara das Gespräch an sich reißt. Wir sprechen über verschiedene Klienten (Voll die Inhaltsebene, die sich nach ein paar Tagen Abstinenz meist zwischen uns einstellt). Persönlicher wird es an der Oberfläche nicht. Unter dem Tisch dagegen schon, denn dort sind sich unsere Beine ziemlich nah. Er streckt seine aus und kommt eindeutig in "meinen" Bereich. Ich denke "Das ist mein Tanzabstand!" (Francis Houseman, genannt "Baby" in Dirty Dancing, 1987) und strecke meine Beine ebenfalls aus, auch auf die Gefahr (und den Vorsatz) hin, ihn zu berühren. Ich habe zwar lange Beine, aber sie reichen heute leider nicht dazu aus. 
Die anderen unterhalten sich weiter als er dazu ansetzt, mich persönlich wegen irgend etwas anzusprechen. Der erste Versuch scheitert und er verstummt, weil ich noch dem anderen Gespräch folge. Ich muss ja nicht gleich springen und mein Gespräch unterbrechen, wenn er mich von der Seite anquatscht. In meinem Blickfeld sehe ich wie er auf seinen Einsatz wartet und währenddessen beginnt, das Etikett an seiner Wasserflasche abzupiepeln. Ich genieße das unter gelegentlichem Blickkontakt, Lächeln usw. Dann setzt er erneut an: "Bist Du am Montag da?" Für Dich doch immer. Für mich klingt seine Frage sehr vertraulich. Er holt mich damit eindeutig auf die Emotionsebene und mal ehrlich, ich lasse mich da auch gerne von ihm hinholen. Jetzt neige ich mich zu ihm und wir sehen uns lange an. Ich verliere das Blickduell. Sein Blick ist echt verboten. Ich frage: "Was ist denn am Montag?" Eine Patientin wird aufgenommen, die er mir vorstellen möchte ... Und das ist bei allen nonverbalen Signalen dann doch wieder Inhaltsebene. Ich muss mehr bei mir bleiben und nicht so viel auf seine zweideutigen, doppelbödigen Botschaften, für die ich sehr aufnahmebereit bin, geben.

Ernüchterte Grüße und bis gleich,
Eva

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