Liebe Mathilda,
was ist besser als ein gutes Stück Schokolade? Ein unverhofftes,
gutes Stück Schokolade!
Gestern war ich davon ausgegangen, dass Flo heute zu einer
Fortbildung gefahren ist, aber schon als ich heute morgen auf die Arbeit fuhr,
kamen mir erste Zweifel. Wie kam ich bloss auf Fortbildung? Schließlich hatte
er es mir gegenüber nicht erwähnt oder sich sonst irgendwie verabschiedet
(nicht dass das jetzt ein Kriterium wäre), jedoch stand im elektronischen
Kalender groß und breit: "OA Dr. Mollis zur Fortbildung". Ich tat die
Zweifel als Nicht-Wahrhaben-Wollen ab, und war umso überraschter, als ich sein
Auto bereits auf dem Parkplatz sah. Und das auch noch andersherum als sonst
eingeparkt. Kombiniere: Er ist unter Zeitdruck. Das regelt in wunderbarer Weise
meine Erwartungen wieder herunter, denn er wird keine Zeit für Unterhaltungen
über seinen fortschrittlichen Großvater haben. Um so besser, wenn die
heruntergeschraubten Erwartungen dann übertroffen werden.
Als ich Flo im Konferenzsaal treffe, sehe ich, dass er dieses
kleinkarierte Hemd trägt. Ist er ein kleinkarierter Typ? Sexy ist das nicht
gerade und es passt demzufolge so gar nicht in mein Bild von ihm. Hatte er
letzte Woche auch schon mal an. Oder hat er noch schlimmer etwa mehrere davon?
Ich setze mich wie gewohnt neben ihn. Da lassen sich die Karos und überhaupt
alles besser ertragen. Er wendet sich zu mir und frage mich, bezogen auf die
DVD, die ich ihm geliehen habe, wann ich sie denn nun zurück bräuchte. Wir
erinnern uns, dass ich ihn neulich auf dem Flur daran erinnert hatte. Ich
verhaspele mich etwas in meinen Worten (war mir plötzlich über die Grammatik
meines Satzes nicht mehr sicher), bringe dann aber heraus, dass meine Klientin,
der ich den Film ihrerseits zurückgeben müsse, in 2 Wochen wieder einen Termin
bei mir hätte. Ok, der Zeitraum ist damit vorgegeben und nun liegt es an ihm,
mir den Film zurückzugeben. Ich kreiere bereits romantische Vorstellungen davon
wie er Kontakt zu mir aufnehmen könnte, um mir den Film zu bringen. Ich freue
mich immer, wenn er aus irgendeinem Grund Kontakt zu mir aufnimmt. Romantische
Vorstellung hin oder her, wahrscheinlich liegt die DVD irgendwann in den
nächsten Tagen ganz profan in meinem Postfach. Er meint nachdenklich, dass
er es vermutlich bis dahin nicht schaffen wird, den Film anzuschauen. Ich
schmelze dahin, denn er der arme, arme Kerl hat mein ganzes Mitgefühl dafür,
dass er es nicht schafft, sich einen Film anzuschauen. Das zeigt nur einmal
mehr, dass ich "depressofin" bin. Ich frage mich, was ihn gerade so
in Zeitnot versetzt, dass er es in 2 Wochen nicht schafft, einen Film
anzuschauen, den ER anschauen wollte (ich habe ihm das ja nicht eingeredet).
Aber warum frage ich das nicht ihn als schon wieder halbausgegorene
Spekulationen über die Ursache anzustellen? Stattdessen sehe ich ihn
verständnislos, grenzdebil und verliebt an. Das Karo-Hemd ist ausgeblendet und
ich sehe nur noch seine Augen. Und er macht mit. Dadurch bringe ich ihn
ungewollt in die Lage, sich zu rechtfertigen. Zum Glück funktionieren bei mir
noch ein paar Reflexe auf Rückenmarksebene (Kortex scheint ja ausgeschaltet)
und ich fange an zu grinsen. Das löst seine Spannung etwas auf und er muss sich
nicht mehr rechtfertigen.
Alles in allem also eine unverhoffte, erwartungslose Begegnung, was sie umso besser macht. Wie eine überraschende Schokolade, in die ich wohl gerne mehr Zutaten gegeben
hätte.
Liebe Grüße von Eva
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