Liebe Mathilda,
nach der Zeit der Erleichterung ergab sich heute die Gelegenheit im Aufenthaltsraum unserer Station ein Stück Kuchen zu essen. Große Angst macht auch großen Hunger wenn dann die körperlichen Grundbedürfnisse wieder einsetzen. Flo hatte auch gerade ein Stück vertilgt und schickte sich an zu gehen. Ich sprach ihn an, um ihn zurück zuhalten. Ein ganz leises "Florian?" genügte und er stand mir zur Verfügung. Wir beide allein in der Küche. Als ich ihn so erwartungsvoll sah, dachte ich, dass ich stolz, dass ich mir und ihm diese Woche ganz schön was erspart hatte indem ich nicht auf ihn als Mammasonografie-Spezialist zurückgegriffen hatte, um das Ding in meiner Brust näher zu bestimmen. Ich denke, dass er es nicht abgelehnt hätte, aber natürlich hätte es unsere nun "fast" wieder normale Beziehung erheblich irritiert. Ich fragte mich, was ich eigentlich zu ihm sagen wollte und sprach ihn spontan auf Frau Eilig an. Die Klientin mit der Affäre, die uns beide unabhängig voneinander ins Vertrauen gezogen hatte, und die Erstbeste, die mir einfiel. Ich fragte ihn, was er von ihr hält? Er setzte sich wieder, schloß überlegend die Augen, ging in sich, stotterte herum. So richtig wusste er nicht, was er sagen wollte. Die Klientin sei wenig greifbar. Was mir Flo dann erzählte, war, was die Klientin in ihm auslöst. Hatte ich zwar nicht gefragt, ist aber auch sehr interessant. Sie berühre ihn. Er wisse nicht genau warum, denkt aber, dass depressive Menschen so etwas bei ihm auslösen. Ich halte sie nicht für depressiv in ihrer Grundstruktur, sondern eher für histrionisch oder für narzißtisch. Aber danke für die Info, dass depressive Menschen bei Ritter Flo Retterfantasien auslösen. Es ging auch um den Mann der Klientin, der ihm wenig feinfühlig erschienen sei. Er hätte ihr gegenüber nicht mal mit Platitüden wie "Du brauchst keine Angst haben." aufgewartet. Das war mein Stichwort, denn dann sagte ich zu Flo, dass ich diesen Satz am Montag von meiner Gynäkologin gehört hatte und der rein gar nichts bewirken würde. Flo´s Aufmerksamkeit war nun fokussiert. Er sah mich fragend an. Ich hatte das Bedürfnis, ihm von meiner Aufregung in den letzten Tagen zu erzählen. Er würde es sowieso erfahren (in einer Klinik bleibt fast nichts verborgen - außer vielleicht Bloggerinnen!) und er sollte es von mir erfahren. Und er sollte auch erfahren, dass ich ihn da rausgehalten hatte, damit ich uns beiden eine peinliche Situation erspare. Ich platzte heraus:
Eva: "Ich habe gerade den Ernstfall geprobt."
Geschärfte Aufmerksamkheit bei Flo.
Flo: "Du hast was?" Er lauschte wie ich berichtete:
Eva: "Meine Gynäkologin hat am Montag etwas in meiner Brust."
Seine Gesichtszüge entglitten und er fragte ungläubig
Flo: "Bei Dir?"
Er kniff die Augen zusammen als ihm bewusst wurde, dass ich von mir und nicht wie gewohnt von einer Klientin sprach. Seine Bestürzung war kaum zu übersehen. Ich wollte ihn nicht auf die Folter spannen, wollte ihn nicht das durchleben lassen, was ich die letzten Tage durchlebt hatte. Und das würde er bei seiner Empathie und der gleichen Wellenlänge, auf der wir liegen. Das ist zu ernst für Spielchen. Ich sagte beschwichtigend:
Eva: "Ich habe es von Dr. Radio untersuchen lassen. Es ist alles gut."
Er verstand den letzten Satz nicht gleich, verharrte noch etwas in dieser verzweifelten Mimik. Ich musste es wiederholen:
Eva: "Es ist alles gut!"
Er wiederholte das:
Flo: „Es ist alles gut?!“
So als wollte er es sich selber glauben. Erleichterung zeigte sich auf seinem Gesicht. So viel ist sicher: Er fühlt mit mir. Wie ein Kollege? Wie ein Mann? Wie ein Freund? Und ich kann eine Affinität für depressiv und dramatisch reagierende Ärzte in meiner Umlaufbahn nicht verhehlen.
Immer noch erleichterte Grüße von Eva
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