Liebe Mathilda,
ich saß gestern und heute auf der Arbeit und fand meine Aufgabe immer absurder. Ich sollte Klienten betreuen und befand mich selbst in einer solchen seelischen Schieflage, dass ich wohl besser nicht auf Patienten losgehen sollte. Also verschanzte ich mich in meinem Büro und erledigte stupiden Schreibkram, der 90 Prozent meiner Hirnaktivität der Überlegung überließ wie ich möglichst schnell zu einer Mammasonografie kommen würde und wie das Untersuchungsergebnis ausfallen würde. Ich war ein Bündel Angst, nicht zu kontrollieren, gerade weil ich so viel über die Diagnose Brustkrebs und die Folgen wusste. Mein erster Gedanke: die Chefärztin der Radiologie ansprechen und sie um die Untersuchung bitten. Als ich versuchte, sie zu erreichen und mir das nicht gelang, weil sie den ganzen Tag auswärtig zu tun hatte, wurde ich noch unruhiger. Ich grübelte nach, wer noch als eine potentielle Untersucherin oder als ein potentieller Untersucher in frage käme. Wer fiel mir noch ein? Das Urgestein von Onkologin, die ich auch schon mal Sonografien hatte machen sehen. Zwar nicht von der Brust, aber immerhin einen Versuch wert. Ich suchte sie auf und bat sie um ein kurzes Gespräch unter 4 Augen, bei dem ich sofort entgleiste. Als ich versuchte, ihr zu erzählen, dass meine Gynäkologin etwas in meiner linken Brust getastet hat, versagte mir bereits die Stimme. Tränen folgten. Sie checkte aus meinen bruchstückhaften Äußerungen sofort, was ich wollte. Und sie lehnte ab, bei mir einen Brustultraschall durchzuführen, weil sie auf dem Gebiet nicht sehr bewandert sei und mich ihre Unsicherheit noch mehr verunsichern würde. Und dann sagte sie: "Gehen Sie doch zu Herrn Mollis. Der macht das wirklich richtig gut." Na, super! Dr. Florian Mollis - bester Mammadiagnostiker aller Zeiten und Objekt meiner Begierde. Ich glaube ja gerne, dass er den besten Ultraschall macht, aber danke NEIN! Das ist genau derjenige, von dem ich meine Brust keinesfalls untersuchen lassen würde. Gerade weil die Grenzen zwischen mir und ihm manchmal verschwimmen, musste ich hier unbedingt die Grenze ziehen. Ich lehnte den Vorschlag ab, was Dr. Onko ohne große Begründungen verstand. Ein Vorteil unter Frauen, die sich in einem Krankenhausbetrieb noch eine natürliche Schamgrenze bewahrt haben. Dann kam ihr eine geniale Idee: Es gab noch ebenso ein Urgestein wie sie selbst in der radiologischen Abteilung. Sie griff zu ihrem Telefon und erreichte Dr. Radio sofort. Was für eine Wohltat: Eine qualifizierte Radiologin war bereit, in ca. 1 Stunde die Untersuchung bei mir durchzuführen. Ich war Dr. Onko unendlich dankbar und machte mich nach 50 Minuten (gutes Maß für Therapeuten) auf den Weg in die Radiologie. Es war ein bisschen wie ein Gang zum Schafott. Ferngesteuert. Die Angst kaum spürbar oder erschöpft, da ich die letzten 2 Tage zu viel davon verbraucht hatte. Die Ungewissheit würde ein Ende haben. Nach der Untersuchung würde ich wissen, ob weitere Schritte nötig sind oder Entwarnung gegeben wurde. Ich hatte in meinem Kopf den Plan, dass ich mich wenn möglich sofort stanzen lassen würde, sollte das Ding in meiner Brust irgendwie suspekt aussehen. Ich betrat die Radiologie und wurde in das Wartezimmer zwischengeparkt. Wie merkwürdig anders das doch aussah, weil ich nun als Patientin hier saß. Ich hatte einige Male Klienten zu einer Untersuchung hierher begleitet. Immer als die Therapeutin. Und nun hatte ich nichts als warten zu tun. Das womit Patienten den Hauptteil ihrer Zeit verbringen. Ich fing an, die anderen Wartenden zu beobachten. Was waren das für Leute, die hier mit mir warteten? Fremde und doch Leidensgenossen, die alle auf eine Untersuchung warteten. Manche gezeichnet und geduldig wartend. Andere gesund aussehend und gestresst vom Arbeitstag oder was auch immer. Keiner weiß, welchen Ausgang er aus diesem Wartezimmer nimmt. Nach 20 Minuten wurde ich aufgerufen. In einer Kabine sollte ich mich obenrum freimachen. Ich stelle fest, welch hübschen BH ich heute angezogen hatte und frage mich, ob ich meine Brüste behalten werde. Wie ein Tier vor der Schlachtung ging ich barbusig und roh und schutzlos in das Untersuchungszimmer. Dr. Radio kam durch die andere Tür und begrüßte mich freundlich. Ich kenne sie seit vielen Jahren. Nicht gut, aber man begegnet sich halt in so einem Klinikbetrieb. Sie ist Ärztin mit Leib und Seele und eine Expertin auf ihren Gebiet. Sie bat mich, auf einer Liege Platz zu nehmen und dann fing sie auch schon an, mit dem Schallkopf auf meiner Brust herumzufahren. Ich guckte wie ein ängstliches Kaninchen in ihr Gesicht, suchte nach Anzeichen von irgendetwas. Es ist so alt wie die Geschichte des Krebses, dass Patienten mit ihrem zum Bersten gespannten Antennen die Gesichter ihrer Ärzte nach irgendeiner Reaktion absuchen. Was war das? Verhaart ihr Blick nicht etwas zu lange an dieser oder jener Stelle? Warum fährt sie den Bereich noch mal ab? Sie bermerkte wahrscheinlich wie ich sie fixierte und drehte den Bildschirm zu mir um, um mir zu erklären, was sie dort sah: Festes Brustdrüsengewebe. Die Sonografie von dem Ding in meiner linken Brust, das ich nicht mal selbst getastet hatte, entpuppte sich als Mastopathie, was absolut harmlos ist. Puuuuh!
Ich rief Tino - meinen Fels in der Brandung - an und heulte am Telefon vor Erleichterung. Dann ging ich freudig nochmal zu Dr. Onko und sie freute sich mit mir. Nun folgten 2-3 Stunden absoluter Erleichterung, Hochgefühl und Freude über meine Brüste. Danach traute ich mir bereits etwas stabilisiert wieder zu, mein Büro zu verlassen und meiner Arbeit nachzugehen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich Florian Mollis begegnen würde. Ich hatte mich ja praktisch vor ihm versteckt. Wenn er an meinem Zimmer vorbeiging, hoffte ich nicht wie üblich "Komm rein, komme rein.", sondern "Bleib bloß draußen!" Einfach aus der Angst heraus, wenn er mich sehen und auf meinen Zustand ansprechen würde (haa! würde er ja nie tun) und es aus mir herausgeplatzt wäre. Und das wollte ich mir ersparen, mich so vor ihm zu zeigen.
Erleichterte Grüße von Eva
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