Samstag, 20. Oktober 2012

Die Faszination von Waschvollautomaten



Es ist soviel passiert, nur nichts Entscheidendes! Denn irgendwie kann ich ihm nichts Entscheidendes zeigen und bleibe stets an der sicheren und unverfänglichen Oberfläche.



Anfang der Woche fragte ich mich noch, ob er mit mir flirtet. Dann war ich mir ziemlich sicher, dass er das tut, aber dass er es auch mit allen anderen tut, was genau genommen nicht viel Informationsgewinn bringt. Und dann begegnete er mir morgens im Treppenhaus. Ich ging dort mit einer Stationsschwester entlang als Flo auf der OP-Ebene zu uns stieß. Sofortiger Schmetterlingsruck in meinen Bauch inklusive. Unser Gesprächsthema: Die Vor- und Nachteile von Kurzsichtigkeit und was man dagegen tun kann. Eben ein Treppenhausgespräch. Flo stieg mit ins Gespräch ein, kombinierte scharf und fragte, ob ich denn etwa kurzsichtig sei. Ich bejahte das kurz, aber in mir überschlug es sich, weil mir klar wurde, dass er an einer persönlichen Information über mich interessiert ist. Was kommt jetzt? lechzte es in mir. Er erwiderte darauf neckend "Aber nur von den Augen her." ... Waaa....? Ich war nicht fähig zu sprechen (ein Phänomen, was er ständig bei mir auszulösen scheint), sondern warf ihm einen verstehenden, geneckten, lächelnden Blick zu. Was hat er vor? Will er mich irgendwie aus der Reserve locken? 

Seit gestern Abend, an dem unsere Jubiläumsfeier stattfand, hat das "aus der Reserve locken" eine neue Qualität erreicht. Ich denke nun, dass er mich ganz gerne aus meinem Schneckenhaus herauslocken und mir irgendwelche Reaktionen entlocken möchte. Und das ist schwierig, weil ich verständlicherweise in seiner Gegenwart nicht locker lassen kann. Nicht mal mit Alkohol im Blut, wovon er ordentlich und ich mäßig getankt hatte. Ich dachte immer nur: Tue nichts, was Dir morgen leid tut! Und so war es ein wirklich schöner Abend, bei dem das Einzige, was er mir entlocken konnte, die Information war, dass meine Mutter Schuhverkäuferin gewesen ist. Das übertrifft sogar den Satz "Ich habe eine Wassermelone getragen." aus Dirty Dancing. Meine Gesten waren denke ich ganz ok. Ich konnte ihn lange ansehen, hielt seinem Blick stand. Wir unterhielten uns ohne wirklich tiefgründig zu werden, obwohl er das gerne geworden wäre. Er hats nicht so mit körperlicher Distanz und je mehr Wein er getrunken hatte, desto geringer wurde sie. Gegenüber allen! Und so kam ich ihm so nah wie noch nie, denn bei der Fotoaktion stand ich neben ihm und damit alle aufs Bild passten, mussten wir enger zusammenrücken. Ich spürte sogar seine borstigen Haare an meinen. Beim Essen saß ich ihm gegenüber, getrennt nur durch eine minimalistische Tischdekoration. Wir unterhielten uns in einer kleinen Gruppe. Thema Stimmungskiller. Immer gerne genommen: das Wetter. Um dem Ganzen noch einen intelligent-lustigen Anstrich zu geben, zitierte ich 

Hirschhausens Schlechte-Laune-Kurzcheck
Wenn Du schlechte Laune hast, solltest Du Dich fragen, welcher der 5 größten Stimmungskiller Dich befallen hat:

1. Wann hast Du zuletzt gegessen?
2. Wann hast Du Dich zuletzt bewegt?
3. Wann hast Du zuletzt geschlafen?
4. Mit wem?
5. Und warum?
Allgemeines Gelächter und er darauf: "Dann wissen wir ja jetzt, warum wir gute Laune haben." Daraufhin kann sich bei mir nur der altbekannte Knoten im Gehirn einstellen. Ich war unfähig zu sprechen. Flo setzte noch einen drauf (Hat er mich bald soweit, dass ich mich doch provozieren lasse?) indem er süffisant grinsend bemerkte, dass er mir die ganze Zeit so "interpretationswürdige Brocken" hinwerfe und ich nicht darauf eingehen würde. Und das ich wohl eher ruhig sei. Na, das ist ja nun wirklich eine Erkenntnis, Herr Dr. Ich konnte auch wirklich nicht viel blicken lassen, da ich Angst hatte, meine ganze Fassade würde einfallen. Das wäre mir vor ihm fast egal gewesen - wo er doch so verzweifelt versuchte herauszubekommen, was das Geheimnisvolle an mir ist -, aber eben nicht vor den anderen. Er erwartete offensichtlich, dass ich irgendwas Kluges, Therapeutisches zu seinen „interpretationswürdigen Brocken“ sage. Keine Ahnung. Es war die ganze Zeit irrsinnig aufregend und angenehm. Er wollte mich sicherlich etwas herauslocken, akzeptierte dann aber auch meine Grenzen. Er genoss es offensichtlich, der einzige Mann in der Runde zu sein. Betonte immer wieder sein Y-Chromosom, wenn es darum ging seine männertypischen Verhaltensweisen zu erklären. Er hat das schon sehr betont. Warum bloß? Muss wohl den Mann heraushängen lassen bei den vielen Frauen. 
Ich blieb bis zum Schluss, wollte ihm wenn nicht durch Worte, dann doch zumindest durch meine Anwesenheit zeigen, dass ich sehr gerne in seiner Nähe bin. Er hatte viel Wein getrunken und das merkte man auch seinen Reaktionen an. Stichwort: schwindende Distanz. Und dann konnte er auch wieder ganz ernst über Patienten sprechen. Ich merkte richtig wie ich mich sicherer fühlte, wenn es um berufliche Themen ging, dabei will ich doch nichts mehr als mich privat mit ihm unterhalten. Zuletzt waren nur noch er, ich und die Verwaltungsleiterin da, die zum Aufbruch drängte. Flo und ich verschwanden brav nochmal auf die Toilette - getrennt natürlich. Als ich aus der Damentoilette wieder heraus kam und meine Jacke überstreifend an der Herrentoilette vorbeiging, kam er seinem Alkoholkonsum entsprechend aus seiner Toilettentür etwas ungestüm herausgestürzt und zwang mich so zu einem schreckhaften Hüpfer zur Seite. Wir mussten beide über die blöde Situation so lachen, man könnte fast sagen kichern. Wie so oft gestern abend. 

Wir traten aus der Party-Location hinaus in die nächtliche Atmosphäre der Stadt. Nicht auszudenken, wenn ich mit ihm allein gewesen wäre. Aber da war ja noch die Verwaltungsleiterin, der auf dem Weg zur Bahn einfiel, dass sie ihrem Sohn unbedingt Batterien für sein ferngesteuertes Auto mitbringen sollte. Als Therapeutin und Mutter hatte ich sofort Verständnis dafür, so dass wir in den wie gerufen kommenden ständig offenen Media Markt hineinstürmten. Flo und ich ihr immer hinterher. Durch die Waschmaschinenabteilung. Dort fing er plötzlich an, mir die Vorzüge von Miele-Waschautomaten zu erklären. Er schwärmte für die Waschmaschine, die sich wie ein Kaffeevollautomat selbst mit Waschpulver versorgt und in der Trommel diese Wabenstruktur (er animierte mich die Waschtrommel abzutasten, was ich natürlich tat – ein sinnliches Unterfangen) hat, damit die Wollpullover keine Fuseln bekommen. Was ist sein Problem? Und woher weiß „Mann“ denn so etwas? Ich fragte ihn kichernd, ob er gerne Waschmaschinen verkaufen würde. Er darauf "Als Arzt musst Du alles verkaufen können." Daran war nun wieder mehr Wahrheit als mir lieb war. War das eine traurig, tiefgründige Feststellung von ihm und seinem Berufsbild? Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn schon drückte er mir eine immens schwere Küchenmaschine in die Hand. Ich sollte sie mal anheben und mich von ihrem Gewicht überzeugen. Sie war sauschwer. Ich ging unter ihr fast in die Knie. Diese Maschine würde sich selbst auf höchster Mixstufe keinen Millimeter verschieben schwärmte Flo. Eine Alternative wäre auch anschrauben, wenn man auf unverrückbare Küchenmaschinen steht dachte ich mir. Ich sah ihm fasziniert zu, bei dem, was er so in der Geräteabteilung trieb. Es war schon skuril. Was hat er? Einen Küchenmaschinen-Fetisch. Er war auf jeden Fall betrunken. Und teilweise erinnern mich seine gelockerten Verhaltensweisen an einen Typ Mann: ein bisschen Glamour, gute Manieren, der Hang zu gutem Essen und Wein, der Hang zum Zwang. Sind das nicht jene Männer, die damit kokettieren, aus dem engen Korsett ihrer besseren Gesellschaft wenigstens temporär hinauszutreten, dies aber nie tun? Vielleicht hatte ich gestern die Gelegenheit, etwas von seiner wahren Persönlichkeit kennenzulernen. Er war immer noch sehr nett und so, aber es stammte doch alles deutlich aus einer glamourösen Welt, in der Stilfragen sehr wichtig sind. Ich weiß nicht, ob ich da hineinpasse und hineinpassen will. Es glitzert so schön. Ich kann mir das aber auf Dauer nicht vorstellen. Ach ich weiß nicht. Sicherlich fällt es mir schwer das realistisch einzuschätzen. Vielleicht werde ich in einem halben Jahr froh sein, dass ich ihm meine Gefühle nicht gestanden habe. Vielleicht werde ich aber auch umso verzweifelter sein. Ich muss deutlicher ihm gegenüber werden - wenn er nüchtern ist. Insofern war es gut, dass ich gestern keine großen Enthüllungen fallen lassen habe. Es hätte mir heute leid getan. Ich habe den Abend genossen, ging mit ihm und der nun batteriebeladenen Verwaltungsleiterin noch bis an die Straßenecke. Dort verabschiedeten wir uns. Frau Z. fing an mit Küsschen rechts - Küsschen links. Auch so eine glamouröse Art, sich zu verabschieden, die nichts mit wirklicher Nähe zu tun hat. Aber ich genoss es natürlich, mich genauso von meinem Flo zu verabschieden: Küsschen rechts - Küsschen links und dabei eine kleine Umarmung. Alles dem Protokoll entsprechend. Ich spürte seine Bartstoppeln an meiner rechten Wange. Ich hoffe er spürte auch was von mir. Nicht auszudenken, wenn ich mit ihm allein gewesen wäre. Manchmal wünsche ich mir, dass wir es gewesen wären und dann finde ich es wieder sehr beruhigend, dass Frau Z. dabei war.
Es war ein sehr netter Abend. Ich hoffe meine Verschlossenheit macht ihn eher neugierig als gelangweilt. Ich war nach so viel Kontakt zu ihm so aufgewühlt, dass ich heute Nacht nur 2 Stunden geschlafen habe. Ich konnte einfach nicht zur Ruhe kommen. Ich bin körperlich sehr erschöpft, und auch frustriert und sehne mich nach ihm. Es geht mir nicht gut damit. Ich bin unzufrieden. Ich hoffe es wird besser. Hängt wohl von meinen Taten ab. Nur, was ist das Richtige? Richtig gibts nicht, sondern nur es nicht getan zu haben. Hast Du alles getan? Wenn nicht, fang an.

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