Es
ist soviel passiert, nur nichts Entscheidendes! Denn irgendwie kann ich ihm
nichts Entscheidendes zeigen und bleibe stets an der sicheren und
unverfänglichen Oberfläche.
Anfang
der Woche fragte ich mich noch, ob er mit mir flirtet. Dann war ich mir
ziemlich sicher, dass er das tut, aber dass er es auch mit allen anderen tut,
was genau genommen nicht viel Informationsgewinn bringt. Und dann begegnete er
mir morgens im Treppenhaus. Ich ging dort mit einer Stationsschwester entlang
als Flo auf der OP-Ebene zu uns stieß. Sofortiger Schmetterlingsruck in meinen
Bauch inklusive. Unser Gesprächsthema: Die Vor- und Nachteile von
Kurzsichtigkeit und was man dagegen tun kann. Eben ein Treppenhausgespräch. Flo
stieg mit ins Gespräch ein, kombinierte scharf und fragte, ob ich denn etwa
kurzsichtig sei. Ich bejahte das kurz, aber in mir überschlug es sich, weil mir
klar wurde, dass er an einer persönlichen Information über mich interessiert
ist. Was kommt jetzt? lechzte es in mir. Er erwiderte darauf neckend "Aber
nur von den Augen her." ... Waaa....? Ich war nicht fähig zu sprechen (ein
Phänomen, was er ständig bei mir auszulösen scheint), sondern warf ihm einen
verstehenden, geneckten, lächelnden Blick zu. Was hat er vor? Will er mich
irgendwie aus der Reserve locken?
Seit
gestern Abend, an dem unsere Jubiläumsfeier stattfand, hat das "aus der
Reserve locken" eine neue Qualität erreicht. Ich denke nun, dass er mich
ganz gerne aus meinem Schneckenhaus herauslocken und mir irgendwelche
Reaktionen entlocken möchte. Und das ist schwierig, weil ich
verständlicherweise in seiner Gegenwart nicht locker lassen kann. Nicht mal mit
Alkohol im Blut, wovon er ordentlich und ich mäßig getankt hatte. Ich dachte
immer nur: Tue nichts, was Dir morgen leid tut! Und so war es ein wirklich
schöner Abend, bei dem das Einzige, was er mir entlocken konnte, die
Information war, dass meine Mutter Schuhverkäuferin gewesen ist. Das übertrifft
sogar den Satz "Ich habe eine Wassermelone getragen." aus Dirty
Dancing. Meine Gesten waren denke ich ganz ok. Ich konnte ihn lange ansehen,
hielt seinem Blick stand. Wir unterhielten uns ohne wirklich tiefgründig zu
werden, obwohl er das gerne geworden wäre. Er hats nicht so mit körperlicher
Distanz und je mehr Wein er getrunken hatte, desto geringer wurde sie.
Gegenüber allen! Und so kam ich ihm so nah wie noch nie, denn bei der
Fotoaktion stand ich neben ihm und damit alle aufs Bild passten, mussten wir
enger zusammenrücken. Ich spürte sogar seine borstigen Haare an meinen. Beim
Essen saß ich ihm gegenüber, getrennt nur durch eine minimalistische
Tischdekoration. Wir unterhielten uns in einer kleinen Gruppe. Thema
Stimmungskiller. Immer gerne genommen: das Wetter. Um dem Ganzen noch einen
intelligent-lustigen Anstrich zu geben, zitierte ich
Hirschhausens Schlechte-Laune-Kurzcheck
Wenn
Du schlechte Laune hast, solltest Du Dich fragen, welcher der 5 größten
Stimmungskiller Dich befallen hat:
1.
Wann hast Du zuletzt gegessen?
2.
Wann hast Du Dich zuletzt bewegt?
3.
Wann hast Du zuletzt geschlafen?
4.
Mit wem?
5.
Und warum?
Allgemeines
Gelächter und er darauf: "Dann wissen wir ja jetzt, warum wir gute Laune
haben." Daraufhin kann sich bei mir nur der altbekannte Knoten im Gehirn
einstellen. Ich war unfähig zu sprechen. Flo setzte noch einen drauf (Hat er
mich bald soweit, dass ich mich doch provozieren lasse?) indem er süffisant grinsend
bemerkte, dass er mir die ganze Zeit so "interpretationswürdige
Brocken" hinwerfe und ich nicht darauf eingehen würde. Und das ich wohl
eher ruhig sei. Na, das ist ja nun wirklich eine Erkenntnis, Herr Dr. Ich
konnte auch wirklich nicht viel blicken lassen, da ich Angst hatte, meine ganze
Fassade würde einfallen. Das wäre mir vor ihm fast egal gewesen - wo er doch so
verzweifelt versuchte herauszubekommen, was das Geheimnisvolle an mir ist -,
aber eben nicht vor den anderen. Er erwartete offensichtlich, dass ich
irgendwas Kluges, Therapeutisches zu seinen „interpretationswürdigen Brocken“
sage. Keine Ahnung. Es war die ganze Zeit irrsinnig aufregend und angenehm. Er
wollte mich sicherlich etwas herauslocken, akzeptierte dann aber auch meine
Grenzen. Er genoss es offensichtlich, der einzige Mann in der Runde zu sein.
Betonte immer wieder sein Y-Chromosom, wenn es darum ging seine männertypischen
Verhaltensweisen zu erklären. Er hat das schon sehr betont. Warum bloß? Muss
wohl den Mann heraushängen lassen bei den vielen Frauen.
Ich
blieb bis zum Schluss, wollte ihm wenn nicht durch Worte, dann doch zumindest
durch meine Anwesenheit zeigen, dass ich sehr gerne in seiner Nähe bin. Er
hatte viel Wein getrunken und das merkte man auch seinen Reaktionen an.
Stichwort: schwindende Distanz. Und dann konnte er auch wieder ganz ernst über
Patienten sprechen. Ich merkte richtig wie ich mich sicherer fühlte, wenn es um
berufliche Themen ging, dabei will ich doch nichts mehr als mich privat mit ihm
unterhalten. Zuletzt waren nur noch er, ich und die Verwaltungsleiterin da, die
zum Aufbruch drängte. Flo und ich verschwanden brav nochmal auf die Toilette -
getrennt natürlich. Als ich aus der Damentoilette wieder heraus kam und meine
Jacke überstreifend an der Herrentoilette vorbeiging, kam er seinem
Alkoholkonsum entsprechend aus seiner Toilettentür etwas ungestüm herausgestürzt
und zwang mich so zu einem schreckhaften Hüpfer zur Seite. Wir mussten beide
über die blöde Situation so lachen, man könnte fast sagen kichern. Wie so oft
gestern abend.
Wir
traten aus der Party-Location hinaus in die nächtliche Atmosphäre der Stadt.
Nicht auszudenken, wenn ich mit ihm allein gewesen wäre. Aber da war ja noch
die Verwaltungsleiterin, der auf dem Weg zur Bahn einfiel, dass sie ihrem Sohn
unbedingt Batterien für sein ferngesteuertes Auto mitbringen sollte. Als
Therapeutin und Mutter hatte ich sofort Verständnis dafür, so dass wir in den
wie gerufen kommenden ständig offenen Media Markt hineinstürmten. Flo und ich
ihr immer hinterher. Durch die Waschmaschinenabteilung. Dort fing er plötzlich
an, mir die Vorzüge von Miele-Waschautomaten zu erklären. Er schwärmte für die
Waschmaschine, die sich wie ein Kaffeevollautomat selbst mit Waschpulver
versorgt und in der Trommel diese Wabenstruktur (er animierte mich die
Waschtrommel abzutasten, was ich natürlich tat – ein sinnliches Unterfangen) hat,
damit die Wollpullover keine Fuseln bekommen. Was ist sein Problem? Und woher
weiß „Mann“ denn so etwas? Ich fragte ihn kichernd, ob er gerne Waschmaschinen
verkaufen würde. Er darauf "Als Arzt musst Du alles verkaufen
können." Daran war nun wieder mehr Wahrheit als mir lieb war. War das eine
traurig, tiefgründige Feststellung von ihm und seinem Berufsbild? Ich konnte
nicht weiter darüber nachdenken, denn schon drückte er mir eine immens schwere
Küchenmaschine in die Hand. Ich sollte sie mal anheben und mich von ihrem
Gewicht überzeugen. Sie war sauschwer. Ich ging unter ihr fast in die Knie.
Diese Maschine würde sich selbst auf höchster Mixstufe keinen Millimeter
verschieben schwärmte Flo. Eine Alternative wäre auch anschrauben, wenn man auf
unverrückbare Küchenmaschinen steht dachte ich mir. Ich sah ihm fasziniert zu,
bei dem, was er so in der Geräteabteilung trieb. Es war schon skuril. Was hat
er? Einen Küchenmaschinen-Fetisch. Er war auf jeden Fall betrunken. Und teilweise
erinnern mich seine gelockerten Verhaltensweisen an einen Typ Mann: ein
bisschen Glamour, gute Manieren, der Hang zu gutem Essen und Wein, der Hang zum
Zwang. Sind das nicht jene Männer, die damit kokettieren, aus dem engen Korsett
ihrer besseren Gesellschaft wenigstens temporär hinauszutreten, dies aber nie
tun? Vielleicht hatte ich gestern die Gelegenheit, etwas von seiner wahren
Persönlichkeit kennenzulernen. Er war immer noch sehr nett und so, aber es
stammte doch alles deutlich aus einer glamourösen Welt, in der Stilfragen sehr
wichtig sind. Ich weiß nicht, ob ich da hineinpasse und hineinpassen will. Es
glitzert so schön. Ich kann mir das aber auf Dauer nicht vorstellen. Ach ich
weiß nicht. Sicherlich fällt es mir schwer das realistisch einzuschätzen.
Vielleicht werde ich in einem halben Jahr froh sein, dass ich ihm meine Gefühle
nicht gestanden habe. Vielleicht werde ich aber auch umso verzweifelter sein.
Ich muss deutlicher ihm gegenüber werden - wenn er nüchtern ist. Insofern war
es gut, dass ich gestern keine großen Enthüllungen fallen lassen habe. Es hätte
mir heute leid getan. Ich habe den Abend genossen, ging mit ihm und der nun
batteriebeladenen Verwaltungsleiterin noch bis an die Straßenecke. Dort
verabschiedeten wir uns. Frau Z. fing an mit Küsschen rechts - Küsschen links.
Auch so eine glamouröse Art, sich zu verabschieden, die nichts mit wirklicher
Nähe zu tun hat. Aber ich genoss es natürlich, mich genauso von meinem Flo zu
verabschieden: Küsschen rechts - Küsschen links und dabei eine kleine
Umarmung. Alles dem Protokoll entsprechend. Ich spürte seine Bartstoppeln
an meiner rechten Wange. Ich hoffe er spürte auch was von mir. Nicht
auszudenken, wenn ich mit ihm allein gewesen wäre. Manchmal wünsche ich mir,
dass wir es gewesen wären und dann finde ich es wieder sehr beruhigend, dass
Frau Z. dabei war.
Es
war ein sehr netter Abend. Ich hoffe meine Verschlossenheit macht ihn eher
neugierig als gelangweilt. Ich war nach so viel Kontakt zu ihm so aufgewühlt,
dass ich heute Nacht nur 2 Stunden geschlafen habe. Ich konnte einfach nicht
zur Ruhe kommen. Ich bin körperlich sehr erschöpft, und auch frustriert und
sehne mich nach ihm. Es geht mir nicht gut damit. Ich bin unzufrieden. Ich
hoffe es wird besser. Hängt wohl von meinen Taten ab. Nur, was ist das
Richtige? Richtig gibts nicht, sondern nur es nicht getan zu haben. Hast Du
alles getan? Wenn nicht, fang an.
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