Freitag, 27. Juni 2014

Grabowski lässt grüßen

Hallo liebe Mathilda,
 
jetzt mal per post weil ich heute seit langem mal wieder einige nette Begegnungen mit Flo hatte. Du musst Dir das nicht durchlesen, wenn Dir Männer-und-Frauen-Geschichten gerade zu sehr weh tun. Vielleicht lenkt es aber auch ein bisschen ab.
 
Es begann schon heute morgen als ich auf der Straße langfuhr und ich Flo an der Ampel stehen sehe, die rechts auf meine Straße einbiegt. Ich fahre an ihm vorbei und denke: Hähä, heute bin ich die Erste. Ich sehe ihn zwei und dann an der letzten Kreuzung ein Auto hinter mir. Mein Puls fährt noch immer hoch, wenn es zu solch einer Situation kommt. Die Erwartung auf die Begegnung auf dem Parkplatz? Oder einfach das Gefühl, ihm davon zu fahren? Egal ist es mir jedenfalls nicht. Ich stelle fest, dass er sich mit jeder Ampel an den zwischen uns befindlichen Autos vorbeischiebt. Später wird er mir das bestätigen. Betty meint dazu: "Testosteron verkürzt das Leben." Flo stimmt zu und meint "Ich fahre keine Rennen." Kastriert sich also, um länger zu leben? Oder fährt schnell, ohne es zu merken? Das kann man für die Klinik - wie auch für die gesamte Lebenssituation verwerten, hat nur zur Folge, dass der Mann immer weicher und netter wird. Und ich weiß nicht, ob ich das jetzt toll oder nicht finden soll. An der Ampel stehen wir schön aufgereiht und Testosteron hin oder her, am heutigen Tag bin ich die Erste auf dem Parkplatz, weil an meinem kleinen feinen Auto auf der nun einspurigen Straße keiner mehr vorbeikommt. Und ganz ohne Rasen und Testosteron!
 
Es ist ein guter, lockerer Tag. Ich spreche Flo öfter an als üblich. Vielleicht sollte ich öfter übermüdet sein. Da sinkt meine Schamgrenze. Ich verbringe eine wirklich lustige Visite (eine Patientin reißt einen Witz nach dem anderen) mit ihm. Und das Lachen tut dem ganzen Team so gut. Später sitze ich mit Betty und Pfefferminztee (ich höre mich heute an wie ein heiserer Wolf - Stimmlage 2 Oktaven niedriger) in der Küche als Flo dazukommt. Er fragt: "Ist noch Kaffee da?" Ich schiebe ihm die Kanne hin und sage "Hier, alles für Dich." Er bemerkt meine Teetasse und die tiefe Stimme und sagt flirtend: "Damit kannst Du im Varieté auftreten." "Ist ja interessant, welche Assoziationen meine Stimme bei Dir auslöst." "Zum Chansons singen." sagt er grinsend. Ich bin auch amüsiert. Er würde mich damit auf die Bühne stellen. Wenn ich Tino mit meiner tiefen Stimme (ist mein persönliches, dramatisch wirkendes, aber nicht weiter schmerzhaftes Symptom bei Erkälterungen) begegne, wird er homophob. Ich mache mir dann einen Spaß drauß und necke ihn ein bisschen mit tiefstimmigen Annäherungsversuchen. Tino ist eher für Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Stimmen. Bei Flo verschwimmen bekanntlich die Grenzen. Mit seiner Kaffeetasse setzt er sich zu Betty und mir. Auf dem Tisch stehen "Grabower Küsschen" (die Ostmarke von Schaumküssen). Flo sagt "Oh, Graboffer [so spricht er das aus] Küsschen." Wohl nicht nur Rechtschreib- sondern auch Leseschwäche. Oder die Unkenntnis von der Ost-Schaumhuss-Marke? Betty und ich fast wie aus einem Mund "Mann Florian, das sind Graboer [und so spricht man das richtig aus]!" Pedantisch wie er ist, kann er das nicht undiskutiert auf sich sitzen lassen. Er führt den "Maulwurf Grabowski" als Beispiel an, den man schießlich auch so schreiben und aussprechen würde. Noch nie von dem gehört. Florian erzählt, dass er als Kind so gerne das Kinderbuch mit diesem Maulwurf gehabt hatte. Ich frage nach und lasse ihn erzählen, was der Maulwurf erlebte. Wurde durch Bodenbohrungen erschreckt und dann sogar weggebaggert. Und der kleine Flo hatte dabei immer ein bisschen Angst. Ok, jegliche Reste von Testosteron sind jetzt verschwunden, denn Flo erzählt uns zwei Therapeuten von seinen maulwürfschen Kindheitsängsten. Ich frage ihn, ob er den kleinen Maulwurf meint. Diesen tchechischen mit der kleinen Schippe. Flo meint "Nein, dass ist eine ältere Geschichte." Ich darauf "Also "mein" Maulwurf kommt aus den 70ern oder so." Flo: "Ja, dann könnte der das doch sein." Ich: "Wie sieht denn Deiner aus?" (Jetzt wirds echt zweideutig) Flo: "Na so lang und strubbelig." Ok, Flo hört auf diesem Ohr nicht zweideutig und ich grinse in mich hinein, weil das einfach so komisch ist. Die Lösung der Maulwurffrage: Google Bildersuche! Dort gibt es zwar den kleinen Maulwurf, aber keinen eindeutigen Namens Grabowski. Werde Flo jetzt immer, wenn er so diskussionsfreudig ist, "Grabowski" nennen.
 
Den ganzen Vormittag verbringt er ein Zimmer neben mir mit weit geöffneter Tür. Ich sehe ihn im Vorbeilaufen dort mit seinem Aktenberg sitzen. In dem Aktenberg verbrigt sich auch ein Konsiliarbericht, den ich seit letzter Woche von ihm brauche. Dienstag habe ich Phase zwei des Nachfragens mit Nachdruck gestartet. Wie wir uns erinnern, genügt in Phase drei, in der Flo  schon ein ordentlich schlechtes Gewissen hat, schon mein bloßes Erscheinen, damit er mir zuruft "Ich mache es bis ..." Am Dienstag also sagte ich ihm, dass ich den Antrag nebst Konsiliarbericht bis Ende der Woche herausschicken wolle. Gestern stellte ich den Bericht fertig und legte Flo eine Kopie auf seinen immer weiter wachsenden Stapel mit einer Notiz: "Zur Info und zum Ansporn :-)" Und wie er da heute so sitzt mit weit geöffneter Tür sehe ich wie er den Konsiliarbericht vor sich liegen hat. Dabei will ich ihn natürlich nicht stören, sondern warte nebenan darauf, dass er ihn mir fertig präsentiert. Nach einer Weile rennt er noch zweimal wie angestochen an meinem Zimmer vorbei und schließlich kommt er rein. Mit Konsiliarbericht (15zeilig und ohne einen einzigen Fehler! Übermenschlich für einen Legastheniker? Er hatte meinen ganzen Antrag gelesen und daraus seinen Bericht gemacht. Er lobt meinen Antrag und fragt wie lange ich dafür brauche. Als das Gespräch ins Detail geht, schließt er die Tür und lehnt lässig an meinem Waschbecken. Wir brüten etwas über dem Fall des betreffenden Patienten, der wohl wieder mal uns beide berührt. Er fragt, ob ich Textbausteine hätte. Ich verneine das und sage, dass ich das für jeden Antrag neu formuliere. Das beeindruckt ihn noch mehr. Richtig so! Es ist heute einfach schön und wertschätzend und ein bisschen flirty mit ihm. Ich seh ihn so gern an. Die Augen, nicht den Bart. Die Augen, nicht den Maulwurf.
 
Liebe Grüße,
Eva

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