Donnerstag, 19. Juni 2014

Ist das der Durchbruch?

Liebe Mathilda,

irgendwie ist mir ein bisschen anders zumute. Ich hab gestern was zum Thema Hoffnung gelesen. Es ging um Sterbenden und die Perspektive der Hoffnung. Thomas von Aquins Hoffnungsdefinition, die Martin Fegg damals gebracht hat:
 
1. Es ist etwas Gutes,
2. Es liegt in der Zukunft,
3. Es ist nur mit Mühe zu erreichen,
4. Es ist möglich.
 
Das Ding der Möglichkeit unterscheidet Hoffen von Wünschen, das nicht unbedingt möglich sein muss. Überschätzt wird das Mögliche von Kindern und Betrunkenen. Und das ist bei aller Nüchternheit wohl der Punkt bei der Hoffnung auf eine Liaison mit Flo: Dass es nicht möglich ist, weil er einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist. Es ist kein mögliches Hoffen mehr, sondern ein unmögliches Wünschen. Ach, mir ist heute so philosophisch! Wie konnte das passieren?

Ich hatte gestern ein sehr berührende Selbsterfahrung, in der eine krebserkrankte Künstlerin, Gedichte, Bilder und Musik präsentierte, die sie in ihrer Erkrankung produziert hat. Sehr berührend, sehr kraftvoll und ... ein bisschen erleuchtend. Bei der Erklärung einer ihrer Collagen lud sie uns Teilnehmer ein, unsere eigenen Gedanken aufzuschreiben. Sie hatte verschiedene Karten vorbereitet, auf die man schreiben konnte. Hatte Herzen, Boote, Blumen, Engelsflügel aus den Karten ausgeschnitten. Ich griff zum Boot und war mir bewusst, dass ich vor nicht allzu langer Zeit mit Sicherheit das Herz gewählt hätte. Ich hatte dann so eine persönliche Erkenntnis, dass ich mit Konstantin in einem Boot sitze und wir auf den Horizont zusteuern. Und dass ich für die anderen Boote, die ich getroffen (oder gerammt?) hatte, dankbar bin. Dankbar für die aufregenden Wellen, die sie auf meiner Fahrt verursacht hatten. Dankbar aber auch, dass sie zurückgewichen sind. Flo´s Boot ist in Sichtweite, aber segelt in sicherem Abstand (Macht man wahrscheinlich so beim Segeln. Bin ja kein Segelexperte.). Wie sollte das auch anders gehen, ohne eines der beiden Boote zu entern? Und so geben wir uns Rauchzeichen oder was auch immer und es ist schön, dass er da ist. Und wenn wir irgendwann getrennte Wege segeln werden, wird die Erinnerung verblassen.
 
"Vergessen ist so leicht, wenn man vergessen kann.
Erst raubt es dir den Atem, und dann vergißt du es doch.
Es ist doch immer das Gleiche: das eine stirbt das andere lebt."
 
singt Bendzko sehr passend in "Vergessen ist so leicht".

Außerdem gab es noch einen sehr symbolischen Durchbruch in unserer Klinik. Zwei Gebäudeteile sind miteinander verbunden worden, indem eine Wand entfernt wurde. Das Komische: Ich und die Ärzte wünschten uns das schon lange, da wir dann nicht mehr so große Umwege gehen müssen. Die Schwestern sind aus Prinzip dagegen. Was die Freude bei mir etwas trübte, war, dass ich Flo jetzt morgens bei der Ankunft nicht mehr sehe, weil er einfach nicht mehr über den Hof muss. Kein Schmachten am Fenster mehr. Keine delikate Rückansicht. Keine Kontrolle mehr. Andererseits geht er nun stets an meinem anderen Raum vorbei, um in sein Zimmer zu gelangen. Klingt etwas verworren. Ich sollte dir mal den Grundriss aufzeichnen. Und so sind Flo und ich durch den Durchbruch dichter zusammen und auch weiter entfernt. Auf jeden Fall bewegt sich was und es wurden bei mir Mauern eingerissen, was ich ja immer gut finde. Und wer weiß vielleicht gehört das ja auch zu meinem ganz persönlichen emotionalen Durchbruch. Die Durchbruchsschmerzen hatte ich schon vorher. Und mal ehrlich, es sind jetzt 2 Jahre! Es ist genug!

Viele Durchbruchsgrüße von Eva.

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