Dienstag, 29. April 2014

Der Bart wächst, das Gehirn schrumpft

Liebe Mathilda,

mit meiner Klientin gehts voran: sowohl dem Sterben als auch der psychische Weiterentwicklung entgegen. In ihrem Nebel sagt sie oft ziemlich kluge, weise Sachen. Wenn sie sich auch im Kurzzeit- und Ultrakurzzeitgedächtnis kaum etwas merken kann, das Wichtige bleibt hängen. Sie unterrichtete am Wochenende ihren Ehemann über ihre Affäre. Dieser reagierte ... versöhnlich. Das sei jetzt auch nicht mehr wichtig. Vielleicht neigen wir Frauen auch dazu, die Männer zu unterschätzen. Mit ihrem Geliebten habe ich heute auch telefoniert. Sie möchte ihn sehen und sich verabschieden. Sowohl aus dem Leben als auch aus der Beziehung. Es ist die Härte, was sich in 2 Wochen alles verändern kann. Ich will den beiden am Donnerstag ein Treffen ermöglichen.

Vielleicht verändert sich für mich persönlich auch gerade viel. Ich habe - vielleicht auch durch die Geschichte meiner Klientin - erstmals das Gefühl, dass es besser ist, dass es mit Flo nicht geklappt hat. Und ich kann mich nicht über solch eine fehlende Verbindung zu Tino beschweren wie meine Klientin es indirekt ihrem Mann vorwirft. Tino und ich - das ist schon was! Florian dagegen trete ich schon mal buchstäblich (wenn ich "buchstäblich" schreibe, muss ich immer an "Das Leben ist ein mieser Verräter" denken, wo sie sich über dieses sinnlose Wort lustig machten) in die Hacken als ich heute hinter ihm durch eine Tür gehe. Ich entschuldige mich und er fragt:
 
Flo: "War was?" 
 
Evy: "Ja, ich bin dir in die Hacken getreten." Hat wohl jetzt auch noch Sensibilitätsstörungen in den Füßen. 
 
Flo: "Mit Deinen wirklich ... roten Schuhen?" Womit denn sonst? Ich trage die neuen, knallroten Pumps aus meiner "Wutbestellung" zum dunkelblauen Rock und fühle mich ziemlich attraktiv. Und ich glaube er steht darauf. Kein Eisprung! Habe meine Tage.
 
Flo: "Klinikkonforme Farben?" fragt er und meint, dass ich die Klinik-Farben imitiere. Er läuft neben mir und schaut mich nicht an. Er hat scheinbar vorher registriert, was ich anhabe. Ich bitte Dich! Dieser Klinikfarben-Vergleich hat ja schon soooo einen Bart.
 
Eva: "Ich kann nichts dafür, dass das die Farben sind, die ich mag." sage ich egozentrisch.
 
Flo: "Ich mag das auch. Es ist so ... klassisch." stimmt er mir zu. Er meint das vermutlich als Kompliment. Ich kann mir Schöneres vorstellen als "klassisch" zu sein. Naja, dem Typ ist eh nicht mehr zu helfen. Der Bart wird bärtiger und lässt seine schönen Gesichtszüge verschwinden. Und dann dieses unnütze Drinrumgestreiche. Sehr "klassisch" bärtig. Und dann erzählt er mir von seiner Gartenarbeit und der "Drainage" seines Hauses. Ich nenne das einfach "Dachrinne". Einfach nur bärtig. Und ich finde, dass er die Züge eines Gartenzwergs annimmt. Gefährlich ist diese Belustigung, diese Beruhigung, dieses gefühlsmäßige Ankommen, weil ich auf Irritationen nicht mehr so gefasst ist. Denn dann sitze ich mich in Sicherheit wiegend mit Flo und einigen anderen beim Kaffee. Er mir schräg gegenüber, was ansich schon mal gefährlicher ist, weil Blickkontakt entsteht. Und die Augen und der Blick sind ja die gleichen und nicht durch den Bart verdeckt. Noch nicht! Plötzlich fragt er mich:
 
Flo: "Und Du?..."
 
Ich denke, was kommt denn jetzt? Was will er mich fragen? Und blicke ihn erwartungsvoll an.
 
Flo: "Hast Du Lust, dich mit mir und meiner Familie zum Staffellauf anzumelden? ... Du und Deine Familie?" Was soll das denn werden? Wir und unsere Familien werden Freunde und alles ist Friede-Freude-Eierkuchen? Will er eine aufs Maul von Konstantin? Und das wäre die schlagfertige Antwort gewesen: "Wenn Du eine Prügelei möchtest, immer gerne." Stattdessen sage ich etwas fassungslos und reichlich ausweichend:
 
Eva: "Ich muss wegen dem Termin gucken." Ich weiß echt nicht, was er sich so vorstellt. Bartwuchs korreliert offensichtlich mit Verlust von Gehirnmasse!

Ich drück Dich,
Eva

Sonntag, 27. April 2014

Der Sonntagabend-Ermutigungspost: Be you-ti-ful

Liebe Mathilda,
für alle die während ihrer Arbeit und ihres Lebens ihre wahren Gefühle und Zuneigungen zeigen und ihre Energie nicht in Selbstdarstellungen verbrennen:
"Wahre Schönheit fragt nicht nach Aufmerksamkeit." (Walter Mitty)

Am schönsten sind wir - innen wie außen - wenn wir einfach wir selbst sind. Viel Freude dabei!

Liebe Grüße,
Eva

Freitag, 25. April 2014

Zum Kotzen!

Liebe Mathilda,
 
nun bist Du bestimmt angekommen, wo Du ankommen wolltest. Mit meiner Klientin Frau Eilig ging es folgendermaßen weiter: Vielen Dank für Deinen Rat, den ich nochmal als Bestätigung gebrauchen konnte. In der Zwischenzeit hatte ich auch Betty davon erzählt. Sie war sehr interessiert und wir kamen drauf, dass die ganze Story wie aus einer Seifenoper klingt, von denen sie eindeutig zu viele gesehen hat. Sie ist da sehr umsichtig und brachte noch den Aspekt mit hinein, was wäre, wenn die Klientin während des Treffens mit ihrem Geliebten stirbt (in seinen Armen sozusagen) oder wenn sich beide in meinem Therapieraum, den ich als Asyl anbieten würde, suizidieren würden. Das klingt alles so absurd, dass ich es ernst nehmen muss. Suizidalität habe ich inzwischen abgeklärt und scheint nicht zu befürchten zu sein. Es geht ihr sehr schlecht. Ich muss das Treffen bald organisieren. Sie kam selbst drauf, es in der nächsten Woche anzupeilen. Ich habe meinen Chef informiert, dass es diese Konstellation gibt und ich dieses Treffen ermöglichen werde. Er stimmte zu. So ganz allein und im Geheimen wollte ich es dann doch nicht tun. Was mich insgesamt jetzt noch ziemlich aufregt, ist das Chaos in der medizinischen Behandlung hier. Natürlich ist das kein Standardpatientenfall, die Verunsicherung ist groß und das bemerken sowohl Frau Eilig als auch ihr Mann - der Apotheker -, der regelmäßig auf der Station ausrastet. Es mussten aus mir unerfindlichen Gründen mehrere Untersuchungen immer wieder verschoben werden. Zudem haben unsere Assistenzärzte gerade in eine andere Abteilung rotiert, so dass Routine mit den Neuen noch nicht erreicht ist. Und unsere beiden Korifeen (schreibt man das so?) operieren wie irre und sind den ganzen Tag im Saal verschwunden. Am Mittwoch war alles bereit für eine sogenannte intrathekale Chemotherapie, die hier schon eher die Ausnahme ist. Und warum auch immer wurde das wieder verschoben. Gestern dann - Klientin und Angehörige am Rande des Nervenzusammenbruchs - fand die Gabe dann in meinem Beisein statt. Frau Eilig hatte sich gewünscht, dass ich dabei bin und ich habe sie während der Punktion gehalten. Und was mich wirklich ankotzt, ist, dass sich unsere leitenden Ärzte seit Tagen drücken, mit ihr und der Familie zu sprechen. Einer schiebt es auf den anderen oder was weiß ich. Ich bin wohl besser über die Krankengeschichte informiert als die Mediziner um Frau Eilig herum, nur kann ich die Befunde ja schlecht weiterleiten. Ein einziges Chaos. Was mache ich also? Bin täglich mehrmals bei der Klientin, organisiere Betreuungspläne und den Hospizdienst. Heute ist Gott sei dank Dr. Radio wieder da, die sich dem Fall wohl annimmt. Es gibt keine Entschuldigung dafür, auch nicht für Prinz Flo, der weiter zuwächst und sich absondert. Hab ihn seit Tagen nicht gesehen und vermisse ihn auch nicht. Ist gerade nicht viel übrig von der so großen Menschlichkeit, die mich manches Mal so beeindruckt und zum Schmelzen gebracht hat. Und morgen das klinikinterne Symposium, wo sich dann alle wieder ihren Selbstdarstellungskünsten widmen können. Zum Kotzen!
 
Vielen Dank, dass ich mich hier entladen konnte. Ich drücke Dir die Daumen für Dein Seminar und freue mich, wenn wir unseres dann vorbereiten. Ich genieße die Sonne und habe Schuhe bestellt (rote Pumps).
 
Liebe Grüße,
Eva

Dienstag, 22. April 2014

Frau Eilig hat´s eilig

Liebe Mathilda,

ich bin ziemlich durchgeschüttelt von meiner Arbeit. Ausnahmsweise mal nicht von Florian, wobei das schon irgendwie mit ihm zu tun hat, dass ich auf diese Klientengeschichte so heftig reagiere. Naja, und weil das in aller Gesamtheit nur du und Betty verstehen könnt, bist Du mal wieder diejenige, die es zu lesen bekommt.

Ich schrieb letzte Woche schon einmal von meiner Klientin Frau Eilig, mit der ich seit 10 Monaten arbeite. Die total überangagierte, attraktive Apothekenfrau mit der Affäre. Von ihr ist die Pralinenmethapher für eine Affäre (Man brauch es nicht, aber ein gutes Stück Schokolage ist einfach mmmh...). Ich als ihre Therapeutin bin ihre Vertraute in dieser wie in vielen anderen Angelegenheiten und biete vermutlich reichhaltige Projektionsfläche. Ich habe sie in der Therapie ihrer Krebserkrankung begleitet. Erst die ganze medizinische Behandlung und im März fuhr sie zur Reha und kehrte mit Schmerzen vorzeitig zurück. Nun ist sie seit 1 Woche stationär und durchdiagnostiziert. Ergebnis: Meningiosis carcinomatosa. Solch einen rasanten Verlauf habe ich noch nicht erlebt. Frau Eilig, ihre Familie und ihre Behandler - alle sind erschüttert. Sie ist schon relativ eingeschränkt, vergißt ihre email-Zugangsdaten und ist zeitlich nicht immer orientiert. Neben der Angst vor dem Sterben ist ihr ganz dringend wichtig, dass sie die Situation mit ihrem Geliebten und mit ihrem Mann klärt. Sie wollte nie jemandem weh tun. Sie fragt sich, warum sie die Affäre eingegangen ist und beantwortet sich die Frage selbst. Sie hat riesige Schuldgefühle und ist davon überzeugt, dass sie wegen der Untreue krank geworden ist. Ihre Familie kümmert sich rührend und sitzt ständig am Bett. Es geht ihr besser, wenn sie nicht allein ist. Sobald ich mit ihr unter vier Augen spreche, geht es um ihren Geliebten. Sie muss großen Druck haben, da sie mit niemandem sonst darüber sprechen kann. Die Kommunikation mit ihrem Geliebten erfolgte größtenteils über email, so dass auch dieser Weg abgeschnitten ist. Sie selbst kam heute auf die Idee, dass sie ihn in meinem Beisein anruft, da sie ihre medizinische Situation nicht mehr gut erklären könne. Ich sitze also an ihrem Bett und sie wählt in ihrem Handy "Veronika", unter der sie die Nummer ihres Geliebten abgespeichert hat. Ich bin beeindruckt von so viel Gewieftheit. Flo steht in meinem Handy unter "Flo". Aber mir musste man ja auch erst beibringen, dass man sich einen zweiten emailaccount zulegen kann. Am Telefon meldet sich die männliche Stimme. Liebevoll begrüßen sie sich. Sie beginnt zu weinen als sie versucht, ihm die Situation zu erklären. Sie stellt mich vor und bittet mich zu übernehmen. Sie hält mir unabweisbar das Handy hin. In dem Moment kommt eine Schwester rein (wie immer der günstigste Moment überhaupt) um mitzuteilen, dass Frau Eilig zu einer Untersuchung abgerufen wird. Ich vereinbare ein Telefongespräch mit dem Geliebten in Abwesenheit der Klientin. Sie möchte, dass ich ihm alles über ihre medizinische Situation sage, was ich wenige Minuten später tue. Er ist sehr mitgenommen und ich überlege mir, zu wem er damit eigentlich gehen kann. Wohin geht ein Mann mit seinen Gefühlen, wenn die Geliebte stirbt? Ich mache ihm ein Gesprächsangebot. Aufgrund der prekären Lage hat Frau Eilig Angst vor persönlichem Kontakt zu ihrem Geliebten. Sie befürchtet, dass er ihrem Mann, ihren Kindern begegnet, die sich untereinander kennen. Vorerst also telefonischer Kontakt. Und er bittet mich, ihn anzurufen falls es sehr ernst wird. Ist das also das Schicksal von Affären? Dass sie unter Umständen gar nicht erfahren, wenn ihr Geliebter stirbt? Ich bin irgendwie geneigt, der Klientin ein persönliches Gespräch mit ihrem Geliebten zu ermöglichen, was ihr am liebsten wäre, aber was sie wegen der Ängste weit weg scheint. Soll ich ein Treffen in meiner Therapielounge arangieren? Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas einmal in Erwägung ziehe, aber das zeigt nur, dass ich es irgendwie doch bewerte. Abwerte? Es scheint sehr wichtig für Frau Eilig, ihre Beziehungen zu klären. Sie sagt, dass sie die Affären-Erfahrung am liebsten abschließen und einrahmen würde, um sich darüber freuen zu können, dass sie das einmal erlebt hat. Das ist auch das erste, was ich dachte als ich hörte, dass sie Metastasen hat: Ein Glück ist sie noch fremdgegangen. Sie setzt die Priorität auf ihre Familie, ihren Mann (ich bin mir nicht sicher, ob das nicht nur der "moralisch saubere" Weg ist). Sie sagt: "Lieben kann man viele, Familie hat man nur eine." Die Vernunft sagt ihr, dass sie die Affäre beenden muss. Sie hat auch Ängste, wie ihr Geliebter reagiert. Sie möchte weder, dass er ihr zustimmt (und damit bestätigt, dass er sie nicht mehr liebt) noch dass er zu sehr an ihr hängt. Eine praktisch nicht lösbare Aufgabe. Und das alles ist so nah an meinem eigenen Empfinden, weswegen mich das Ganze natürlich so mitnimmt. Beenden und Einrahmen? Oder weiter laufen lassen? Mir geht ja nichts verloren, wenn ich einfach so weitermache. Oder doch? Was könnte ich wohl mit der ganzen Lebenszeit anfangen, wenn ich hier nicht schreiben würde? Und dann sicher auch wieder die große Schuldfrage: Mache ich mich mit meinem Verhalten schuldig? Und kann ich das nicht nur ganz allein für mich entscheiden?
Fragen über Fragen!
Liebste Grüße,
Eva

Sonntag, 20. April 2014

Der Ostersonntag-Ermutigungspost: Both ways

Liebe Mathilda,

wenn ich mir die vergangene Woche die Frage stellte, ob ich das angebrochene oder das neue Marmeladenglas nehme, ist das eine Metapher für mein ständiges Pendeln zwischen Aufregung und Geborgenheit. Mittlerweile erkenne ich, dass das eine nicht ohne das andere geht. Ohne Geborgenheit lassen sich die neuen Dinge nicht erkennen. Und kann es eine Geborgenheit geben, wenn stets alles neu ist?

Like to live both ways!
Am liebsten beides.

Liebe Grüße,
Eva

Donnerstag, 17. April 2014

Aufregung oder Geborgenheit?

Liebe Mathilda,

bei mir überschlagen sich diese Woche die Ereignisse, habe mir unvorsichtigerweise zu viele Termine aufgehalst. Eher angenehme Sachen, aber auch die können halt zu viel werden. Was heißt zu viel? 

Ich muss noch immer an den Großen Gatsby denken. Wie war das? Unaufhörlich gehen wir weiter, nur um stets mit unserer Vergangenheit konfrontiert zu werden. Und die Vergangenheit kann man nicht zurückholen, wobei der Gatsby ja anderer Meinung ist. Aber wo hat ihn das hingebracht? Auf der Wasseroberfläche seines Pools treibend! Tot! Unsere kleine Unterhaltung am Ende des Films zum Thema "Manche Filme und Geschichten werden einfach nicht besser..." ging mir noch nach. Ich fand das sehr lustig und auch sehr treffend. Und so muss ich das wahrscheinlich auch bei Flo sehen: Es wird einfach nicht besser! Vielleicht schafft er mit seinem Bartwuchs das, was er durch sein Verhalten bzw. Nicht-Verhalten das ganze Jahr über nicht geschafft hat: dass ich ihn hässlich finde. Es wird wirklich jeden Tag schlimmer! Seine schönen Gesichtszüge werden von dem reudigen Bewuchs täglich mehr zugedeckt. Reudig deshalb, weil es nicht gleichmäßig wächst, sondern so freie Stellen mittendrin zu finden sind. Wie bei einer reudigen Katze halt. Ich mag das nicht mehr anfassen, was ich bei seinem glattrasierten Gesicht immer gerne getan hätte. Was bleibt also von dem schönen Mann? Die Augen. Wir hatten auch schöne Begegnungen diese Woche, solange ich ihm in die Augen guckte. 7 cm t
iefer beginnt das Grauen, mit dem ich mich konfrontieren muss. Es ist fast so als würde mich das Leben anschreien: "Du musst Dir das angucken, damit Du endlich davon loskommst." Soviel ist klar: Das ist kein schöner Mann mehr! Aber ging es stets nur darum? Ging es nicht auch um die inneren Werte? Ein Totschlagargument wenn die Optik nicht mehr ausreicht. Es muss schon alles stimmig miteinander sein und das ist es wohl mit Bart nicht mehr. Frau Eilig - eine meiner Klientinnen - hat eine andere Theorie dazu. Sie, die eine Affäre hat, macht sich auf den Weg ins Sterben. So tragisch romantisch! Sie mutmaßt, dass es "nur" der Reiz des Neuen ist, der sie in die Affäre gelockt hat. Und ich gebe ihr die Stichworte "Aufregung / Neuheit" und "Sicherheit / Geborgenheit", auf deren Suche wir ständig sind und die irgendwie nicht miteinander vereinbar scheinen. Wie die beiden Marmeladengläser auf meinem Frühstückstisch. Letztendlich kommt es darauf an wie man alles für sich bewertet. Ist eine Affäre unmoralisch vor mir selber oder nicht? Vielleicht würde ja auch Fallschirmspringen genügen, um Aufregung ins Leben zu bringen. Die Klientin und ich sind da sehr nah beieinander und lernen voneinander. Ich gebe vermutlich zu viel von mir selbst preis, finde es aber einfach passend an der Stelle zu sagen "Ich würde nicht Fallschirmspringen..." Das mit der Affäre lasse ich offen.

Wenn man es also nicht so macht wie der Große Gatsby, weil das Leben für einen früh gewählten Tod einfach zu schön ist, wie macht man es dann? Wie schafft man es, sich selbst treu zu bleiben, zu seinen Gefühlen zu stehen und das zu akzeptieren, was nicht machbar ist? Und wer bestimmt, was nicht machbar ist? Bartträger? Es gibt offensichtlich immer noch Sachen, die ich noch nicht durchgewalgt habe.

Liebe Grüße von Eva

Dienstag, 15. April 2014

Das Marmeladenglasorakel

Liebe Mathilda,
Florian und sein Über-Ich schienen gestern auf der Flucht vor mir. Ich wusste warum, denn er hatte noch immer nicht das Konsil ausgefüllt um das ich ihn schon lange gebeten hatte. Ich kam heute mit dem Vorsatz auf die Arbeit, ihn zur Rede zu stellen, was das Problem ist. Hatte mit Betty schon verschiedene Möglichkeiten durchgesprochen. Das hat er wohl gespürt, denn ich komme heute in mein Büro, in das er offensichtlich eingebrochen ist. Ich habe auch ein öffentlich zugängliches Fach, in das er den Bericht auch hätte legen können. Wollte es wohl zu seiner eigenen Beruhigung persönlich abliefern. Ich finde einen wirklich ausführlichen Bericht. Ohne Rechtschreibfehler! Doch zu früh gefreut, denn auf dem begleitenden Zettel schreibt er "Ewa" wieder mit "W". Er lernt es nie! Und es wird auch nicht besser. Und überhaupt sieht sein Bartwuchs einfach nur schlimm aus. Später begegnet er mir auf dem Flur. Er fragt das Konsil betreffend:

Flo: "War das so okay?"

Eva: "Ja, super."

Flo: "Ich hatte ein schlechtes Gewissen."

Eva: "... Dein Glück, dass du es nun abgeliefert hast..."

Flo: grinst

Eva: "..sonst hätte ich mir was überlegt."

Flo: grinst weiter

Ich auch. Er hat ja sowieso Angst vor mir. Da kommt es darauf auch nicht mehr an.

Als ich heute morgen am Frühstückstisch saß, ist mir ein weiterer Aspekt zum Thema "Einmal angefangene Sachen zu Ende führen" eingefallen. Ich saß vor 2 Marmeladengläsern - eines bereits geöffnet und fast leer, das andere noch verschlossen. Ich zuckte und wollte das Angefangene nehmen. Da merkte ich wie ich eigentlich mehr Appetit auf das Neue hatte. Ich griff also zum neuen Glas und das fühlte sich richtig gut an. Ich war auch so ein Kind, dass immer erst die Hausaufgaben gemacht hat, bevor es spielen ging. Ich war immer viel zu artig. Ich geh jetzt spielen.

Liebe Grüße von Eva

Sonntag, 13. April 2014

Der Sonntagabend-Ermutigungspost: Beards are back?

Liebe Mathilda,

um die Bartfrage hier mal zum Thema des allwöchentlichen Ermutigungsposts zu machen, kommt hier als Reflexion über das Thema eine kleine Pictureshow:












Was meinst Du? "To beard or not to beard ?"

Liebe Grüße,
Eva

Donnerstag, 10. April 2014

Leben Barträger unvorsichtiger?

Liebe Mathilda,

wir haben heute eine Verabredung mit dem Großen Gatsby und ich freu mich schon wie sau drauf! Alles wie gehabt: 20.00 Uhr bei mir?

War heut wie gehabt auf der Arbeit. Hatte also ein Wiedersehen mit "meinem Großen Gatsby" (so romantisch schön morbide wie der Typ auch ist, gestört ist er trotzdem - ich meine den Gatsby :-)). Meine letzte Nachricht, die ich Flo vor meinem Kurzurlaub hinterlassen hatte, war die Bitte um einen Konsil für eine Klientin, die ich gerade in Behandlung nehme. Ich hatte ihn mündlich vorgewarnt und legte ihm dann das Schreiben in sein Fach. Diesmal habe ich es gewagt, das Schreiben mit einem der kleinen Zitatezettel, die du mir mal geschenkt hast, zu begleiten. Ich schrieb meine Notiz über das "Es gibt Menschen, die leben so vorsichtig, das sie fast wie neu sterben." und freute mich diebisch über diese kleine Provokation. Bisher ist der Bericht noch nicht zu mir zurückgekehrt, so dass ich Prinz Flo im Sinne der Klientin mal wieder auf die Füße treten muss. Tss. Dafür lässt er sich jetzt einen Bart wachsen! Ich dachte noch so, dass er wohl ganz schön lange nicht zum Rasieren gekommen sein muss. Ich komme in die Teeküche hinzu, wo sich Flo und Betty gerade über meine mitgebrachten Cupcakes (Prachtexemplare für die Nach-Urlaubslage) hermachen. Er genießt offensichtlich einen verboten leckeren Kuchen und fragt mich, was drin ist. Ich sage:
Eva: "Das harmloseste, was drin ist, ist Frischkäse."
Flo: lacht
Eva: "...und Prosecco."
Flo: lacht noch mehr "Dann weiß ich ja jetzt, warum es mir so gut geht."
Die anderen Kalorienbomben verschweige ich und ernte lieber Lob für die extreme Leckerheit. Ich frage ihn:
Eva; "Und ... Du läßt dir jetzt nen Bart wachsen? Oder bist Du nicht zum Rasieren gekommen?" Er sagt locker:
Flo: "Ja, ... bei verschiedenen Männern sieht das total gut aus."
Alter Schleimer, als wenn er bei seinem Aussehen noch einen draufsetzen müsste. In dem Moment kommt der CA rein und Flo teilt nun öffentlich mit, dass er sich einen Bart wachsen lässt. Ich frage
Eva: "Hast Du das mit der Unternehmenskommunikation abgesprochen?" (Ein Insiderwitz: Unsere Abteilung für Unternehmenskommunikation will über jeden Pup informiert werden.) Er spielt ertappt:
Flo: "Oh Mist, habe ich noch nicht gemacht."
Er fühlt sich natürlich total geschmeichelt, der kleine Narzißt, dass ich seinen Bartwuchs für eine Pressemitteilung würdig halte. Bärte, überall Bärte! Wenn ich an die albern übersteigerten Bärte aus Walter Mitty denke, muss ich lachen. Und an seinen Spruch "Dumbledore steht ein Bart, aber Dir nicht." Und bei H&M gibt es praktisch nur noch bärtige Männermodells. Warum erlebt die Gesichtsbehaarung gerade so ein Revival? Ist das die neue Männlichkeit in einer verweiblichten westlichen Welt? Bärte statt echter Kerle? Wenigstens das Kinn eines Naturburschen imitierend? Naja, all diese Fragen stelle ich Flo nicht, sondern bin mit dem Verdauen der Nachricht, dass auch er sich so ein kratziges Ding zulegt, beschäftigt. Flo kratzt sich sein Bärtchen und informiert mich über die verschiedenen Versuche, sich einen Vollbart wachsen zu lassen, die wegen Jucken abgebrochen (gut so! ich will nämlich nicht, dass er einen Bart trägt!) wurden. Ich habe noch Hoffnung, dass es bei diesem Versuch auch wieder juckt. Er meint, dass er schon 6 Tage durchhalten würde. Ich bin in Gedanken amüsiert, dass dieses kleine Bärtchen in 6 Tagen gewachsen sein soll. Konstantin sieht so regelmäßig nach 2 Tagen Rasurvermeidung aus. Ich verkneife mir aber eine Bemerkung, weil das zu sehr nach "Schwanzvergleich" aussehen würde ("Aber der Bart meines Mannes wächst viel stärker"). Genau genommen hat sich Flo seit ich in Urlaub gegangen bin nicht mehr rasiert. Ich weiß, dass das vermutlich nichts mit mir zu tun hat, aber ein bisschen träumen ist wohl erlaubt. Manche Fußballspieler rasieren sich doch nicht während eines Turniers. Oder ist es eine direkte Auswirkung meines Zettels und seine Form von "unvorsichtig leben"? Während der ganzen Bart-Unterhaltung stehen wir an die Küchenzeile gelehnt nebeneinander. So nah, dass wir uns an den Schultern berühren. Ich glaub schon, dass er ganz froh ist, dass ich wieder da bin. Meine Cupcakes schmecken ihm. Ich erkenne als erste, dass er sich einen Bart wachsen lässt und traue mich, es anzusprechen. Was will ich mehr?

Ich sehe schon, ich werde hier viel Spáß haben. Vor allem find ich mich so cool, dass ich parallel über ihn poste und im realen Leben mit ihm flirte. Das ist doch Flirten oder?

Liebe Grüße und bis heute Abend,
Eva

Freitag, 4. April 2014

Haß oder Liebe?

Liebe Mathilda,

nach laaaaaanger Zeit Mal wieder eine mail von mir.

Ich hatte Anfang der Woche ziemlichen Ärger auf der Arbeit mit einer Krankenschwester, die sich für den Dreh- und Angelpunkt der Station hielt und ihre Grenzen überschritt, so dass selbst ich nicht mehr an mich halten konnte und wollte. Und so wies ich sie auf dem Flur laut diskutierend / schreiend in ihre Schranken. Seitdem war es erträglicher mit ihr und ich war erleichtert. Und ich find toll, dass ich so etwas kann: Diskutieren und Schreien.

Nun hat sich alles etwas beruhigt und heute haben Betty und ich unseren todschicken neuen Raum mit einem Empfang mit Sekt und Häppchen eingeweiht. Wir hatten letzte Woche per Rundmail alle eingeladen, vorbeizuschauen. Fazit: Voller Erfolg auf der ärztlichen Ebene, Boykott von der Pflege. Eine Nachwirkung meiner Grenzsetzung oder einfach Desinteresse. Es kam keine Schwester von der Station dafür 8! Chefärzte, Verwaltungsleitung und jede Menge Leute, die bei der Umsetzung mitgeholfen hatten. Mit denen, die da waren, war es wirklich schön. Ob Flo kommen würde, blieb wie immer spannend...wobei, eigentlich glaubte ich schon, ihn überzeugt zu haben. Die ganze Woche hatten wir schon nette Begegnungen ohne große Höhepunkte. Er schenkte mir oft Kaffee ein oder nach. Heute hatte ich nicht mal ne Tasse und er schnappte sich eine, füllte sie und reichte sie mir. Muss er mich irgendwie versorgen, um mit sich im Reinen zu sein, oder so? Wir saßen allein im Aufenthaltsraum und er hatte mir gerade den Kaffee gereicht. Dann sagte er, dass er wohl heute zu unserer Einweihungsfeier nur auf einen schnellen Sekt vorbeikommen kann. Schien also ein Besänftigungs-Tut-mir-Leid-dass-ich-nicht-kommen-kann-Kaffee zu sein. Er würde heute Nachmittag operieren und müsse dann zu einer Fallkonferenz fahren, die um 16 Uhr beginnt. Ich fragte amüsiert (hatte echt keine Lust auf Problemdiskussionen, wollte es einfach locker und leicht): "Einen schnellen Sekt...damit Du besser Autofahren kannst?" Er lacht und denkt laut nach: "Wenn ich so spät aus dem OP komme, dass es sich nicht mehr lohnt, zur Fallkonferenz zu fahren...natürlich unwillig." Daraufhin traue ich mich was und sage: "Ja, dann mach das doch mal "ganz unwillig" und operiere so lange, dass es sich nicht mehr lohnt." Wir grinsen uns an. Schön. Und ganz unwillig nach seiner Meinung. Ich finde mich klasse und schätze, dass er zu 90% tun wird, was ich ihm vorschlage. Und tatsächlich kommt Prinz Flo um Viertel vor 4 bei uns hereingeschneit. Er trinkt einen langsamen Sekt in dem ganzen Gewusel. Dann gehts in die Besprechung, an der er nun teilnehmen kann und die nur einen Raum weiter stattfindet. Anschließend ist noch soviel übrig, dass wir wieder in unseren schönen Raum gehen. Auch Flo ist sofort wieder da und ich frage ihn einladend: "Na, machen wir weiter?" Er stimmt zu, trinkt Kaffee, nimmt Häppchen und unterhält uns. Er zeigt sich beeindruckt, was Betty und ich buffettechnisch gezaubert haben. Betty zählt auf, wer alles am Buffet mitgewirkt hat. Auch der Kuchen, den mein Vater gebacken hat wir erwähnt. Sie sagt "Dieser Kuchen ist von Opa Uli." Rührt daher, dass wir uns oft über unsere Kinder und was die so sagen unterhalten. Das sorgt für Belustigung und Flo fragt bei mir nach, ob das mein Vater, der Mann mit den eingefrorenen Wasserleitungen sei. Da durchfährt es mich, denn ich habe es ihm im letzten Februar erzählt, dass die Wasserleitungen im Haus meines Vaters eingefroren waren als die Heizung ausfiel während er verreist war. An keinem geringerem Tag als dem alles entscheidenden Abend als ich mich mit ihm im Uranium traf. Ich denke so bei mir, dass das das erste Mal ist, dass er irgendwas, was an diesem Abend gesprochen wurde, erwähnt. Das ist jetzt über 13 Monate her! Manchmal glaube ich schon selbst, dass das gar nicht stattgefunden hat, weil es zwischen uns so totgeschwiegen wird. Offensichtlich ist dem aber nicht so. Flo scheint sich alles gemerkt zu haben. Warum erstaunt mich das so? Es ist ein bisschen wie ein Hieb, ein Stoßen auf eine fast überwunden geglaubte Zeit, so als wollte er testen, ob es außer den gefrorenen Wasserleitungen auch noch erhaltene Gefühle von damals gibt. Wir haben einen kurzen Moment, wo wir uns intensiv ansehen. Prüfend. Testend, was in dem anderen vorgeht. Ganz sauber ist der Typ nicht! Er muss mich und sich nicht dran erinnern. Er kann alles in meinem Blog nachlesen. Ganz sauber bin ich auch nicht! Es ist mittlerweile irgendwie eine Haß-Liebe. Klar, finde ich ihn noch immer wahnsinnig sympathisch, aber immerhin würde ich nicht sofort mit ihm mehr in die Kiste steigen, wenn er es mir anböte. Und ich genieße es, ihn in allem ein bisschen zappeln zu lassen und registriere negative Eigenschaften an ihm (Fingernägel, schütter werdendes Haar, wirklich hässliche Schuhe, eine schlechte Haltung usw.). Und außerdem genieße ich es, mich vor ihm in Flirtereien mit anderen zu stürzen. Es war richtig schade, dass er noch nicht da war als der CA der Kardiologie da war und offensichtlich mit mir flirtete. Typ: sympathischer Junge (kann kaum 40 sein) mit schlagfertigen Antworten und reduzierter interindividueller Distanz. Der Typ kommt richtig nah an mich heran, ist lustig und zwinkert mir zu. Ich finde das ganz nett ohne dass es mich aus der Bahn wirft. Auch ich bin heute schlagfertig, aber das einzige, woran ich denken kann, ist, dass Flo das nicht sieht. Das käme ja einer Kastration gleich, wenn ich jetzt statt mit ihm mit einem Chefarzt flirte. Alles in allem, eine sehr gelungene Feier. Und mit Betty eine tolle Kollegin und Freundin, die mich recht häufig von Flo absorbiert.


Ich wünsch Dir schöne freie Tage (hoffentlich mehrere?),
Eva