Dienstag, 17. Dezember 2013

Rempelromantik

Liebe Mathilda,

die letzte Woche in diesem Jahr mit Flo ging schon mal sehr vielversprechend los. Obwohl das wahrscheinlich bei ihm einfach so ist und nicht so übermäßig viel mit mir zu tun hat. Oder doch? Was ist nach der Weihnachtsfeier passiert? Im Emotionalen wie im Realen.

Ich treffe Flo morgens wie immer in der Besprechung. Es ist unsere erste Begegnung nach einem wirklich schönen Abend, an dem wir uns heftig angeflirtet haben. Er kommt bartstoppelig und mit klaren blauen Augen zu spät und setzt sich neben mich auf den Platz, den ich für ihn freigelassen habe. Ein bisschen zu selbstverständlich wie bei einem Paar am Frühstückstisch. Ich sehe ihn nicht an, sondern drehe meinen Kopf als Gruß nur kurz in seine Richtung, da gerade von einer für mich wichtigen Klientin berichtet wird. Vor mir habe ich meine heutige Klientenliste und den druckfertigen Fortbildungsplan für 2014 ausgebreitet. Er nimmt sich - kaum das er sitzt - etwas besitzergreifend den Plan, um ihn sich anzuschauen. Mein Plan ist auch sein Plan! Parallel dazu beginnt er mich anzuflüstern. Innerlich beginne ich zu grinsen. Äußerlich höre ich weiter der offiziellen Besprechung zu. Und ich lasse mich natürlich gerne von ihm anflüstern. Hat was Vertrautes und was von Tuscheln in der Schule auf der letzten Bank wie er den Kopf zu mir neigt. Wohlgemerkt er fängt an, sucht Kontakt - extremen Blickkontakt (für mein Gefühl zumindest). Ich mache mit, neige meinen Kopf ebenfalls zu ihm und schaue ihn an. Da wir flüstern, müssen wir uns ziemlich nahe kommen. Geht ja praktisch gar nicht anders. Ich schätze, dass wir uns so im Abstand von 10 cm beäugen. Ich sehe seine klaren, blauen Augen. Er trägt heute (oder immer?) definitiv keine Kontaktlinsen. Es ist herrlich. Er gibt mir dabei natürlich Rückmeldungen zu dem Fortbildungsplan, hat bei einem Titel was einzuwenden. Möchte halt auch mal was am Fortbildungsplan mitentscheiden. Ich höre ihm zu und will mir eine Notiz in den Flyer machen. Ich suche gestisch nach einem Stift in meinem Kittel. Ich weiß, dass ich einen dabeihabe. Habe ihn schließlich 10 Minuten vorher in meine Kitteltasche getan. Aber das weiß Flo ja nicht, der sofort darauf anspringt, und mir Klick-Klick schreibfertig seinen schönen Stift anbietet. Hihi! Man muss bloß ein bisschen hilflos tun und schon trudeln die Hilfsangebote ein. Nachdem ich fertig geschrieben habe, klicke ich den Stift wieder rein und gebe ihn zurück. Dabei berühren sich unsere Hände. Ja, warum muss ich das so ausführlich schildern? Es gibt wohl erotischere Momente als der Austausch von Kugelschreibern, aber nicht in dieser Klinik. Ist das das höchste der Gefühle, was Flo mit mir auszutauschen bereit ist?

Nach der Besprechung frage ich in bezug auf unsere kleinere Stationsbesprechung erwartungsvoll "Gehen wir rüber?", was vielleicht ein bisschen zu intim wie "Gehen wir zu mir oder zu dir?" klingt. Schon schwierig mit den Grenzen. Flo will noch kurz über die Ambulanz gehen. Wie er mag, ich gehe ja bekanntlich gerne jeden Umweg mit ihm mit. Auf dem Gang rempeln wir nebeneinanderhergehend mal wieder, so dass unsere Oberarme über ein paar Schritte hinweg wie Magnete aneinandergeschmiegt sind. :-))))) Auf der Station fragt er dann mehr zu mir alleine als in die allgemeine Runde „Und…sind am Sonntag alle gut nach Hause gekommen?“ Der hat Nerven, das hier so in die Runde zu fragen. Er schiebt noch eine Frage nach, die jetzt konkret an mich gerichtet ist: „Hast Du die Anschlussbahn noch bekommen?“ Ich lache und beschließe ihm zu zeigen, dass es in der Anschlussbahn nicht so schön war wie bei ihm. „Ja und da wurde es dann etwas ungemütlich.“ sage ich kokett. „Ungemütliche Leute in der Bahn?“ fragt er ein bisschen besorgt. Wie süß! Normale nächtliche Bahnfahrer denke ich über meine Mitfahrer nach, aber so ziemlich alles ist ungemütlich im Verlgeich zu Flo. „Nein…aber...“ stammele ich etwas herum und werde vermutlich rot. Er sieht das. Er weiß es. Weiß wie es um mich bestellt ist. Er sagt „Naja, ich hatte es ja nicht mehr so weit als wir uns ... trennten und bin völlig müde ins Bett gefallen.“ Interessant, dass er "uns" und "Bett" in einem Satz verwendet. Gibt es hier einen Sprachwissenschaftler, der mir mal den Beweis dafür liefern kann, dass hier etwas stattfindet, dass über Kollegensein weit hinausgeht. 
Nachdem wir dann eine ausgiebige Visite gemacht und zu dritt mit Dr. Radio zurück in die Ambulanz gegangen sind, teile ich im Aufenthaltsraum den restlichen Kaffee aus der Kaffeekanne durch drei. Wir setzen uns kurz hin und brüten nochmal über dem Fortbildungsplan. Flo hackt schon wieder auf dem Titel „Radiologische Diagnostik bei Verdacht auf maligne Leberveränderungen“ herum. Ihm ist der „Verdacht“ zu themeneinschränkend. Ich hatte ihm vorhin schon gesagt, dass der Chef diesen Titel vorgeschlagen hat. Ich bin übermüdet (gestern um 2 Uhr ins Bett) und habe keine Motivation ihm dazu noch mehr zu sagen. Ich bin leer, denn alles ist gesagt. Ich sehne mich mit jeder meiner Fasern nach ihm. Ihm fällt das auf. Aha, er bemerkt, dass etwas anders ist. Er sagt „Du bist aber heute zurückhaltend.“ Wie meint er das? Heute? Im Vergleich zum Sonntagabend? Die meisten Leute halten mich ständig für zurückhaltend. Flo hat mich natürlich auch schon anders kennengelernt. Dr. Radio gibt auch noch ihren Senf dazu. Sie meint, dass ich wohl froh bin, dass das Programm so steht. Andererseits bemerke ich mit meinem internen Flo-Sensor, dass sie mit ihm zu flirten versucht. Das kann ich auch und erwache aus meinem Dornröschenschlaf. Flo vertilgt ein Stück Stollen und bekommt etwas Puderzucker in die Luftröhre. Er fängt an zu husten. Man merkt, dass es ihm peinlich ist. Er versucht es zu unterdrücken. Ich sage scherzhaft „Soll ich erste Hilfe leisten?“ Von wegen zurückhaltend. Kommt bloß auf das Thema an. Als er wenige Sekunden später wieder sprechen kann, antwortet er lachend „Nein, noch bin ich nicht blau angelaufen.“

Fazit: Schöne nahe Blicke, ein Rempelversuch, der seines gleichen sucht, und locker-leichte Kommunikation in völliger Übermüdung sind wohl ein guter Beweis dafür, dass ich nicht all zu viel verkehrt gemacht habe. Doch dieser Depp lässt sich einfach nicht zu mehr hinreißen. Ist eben noch nicht blau angelaufen.

Liebste Grüße von Eva

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