Freitag, 6. Dezember 2013

Aufgescheuchte Hühner

Liebe Mathilda,
und weiter im Thema "Wie viel Lebenszeit verbringe ich mit Gedanken an Florian Mollis?" Gestern habe ich mal drauf geachtet und festgestellt, dass ich mich gedanklich wirklich oft damit beschäftige. Bei der Fahrt auf die Arbeit, bei der Fahrt wieder zurück, in der Badewanne, beim Fernsehen, überhaupt natürlich beim Blogschreiben usw. Immer wenn eine Gehirnhälfte freie Kapazität hat. Was könnte ich mit der ganzen Kapazität wohl anfangen? Oder ist es gerade das? Dass ich damit irgendwelche Löcher fülle, die ich sonst nicht auszufüllen wüßte? Naja, ich habe mir vorgenommen das zu reduzieren und eher wieder mit "echten" Freunden in Kontakt zu treten. Wenn bloß nicht diese Aufmerksamkeitsfokussierung wäre. Seit Florian weiß ich, was darunter zu verstehen ist.
Er ist heute nicht da, weil seine Kinder krank sind. Und trotzdem ist er präsent. Er fliegt am Nachmittag ein (sehr dramatisch), um seinen Vortrag zu halten. Irgendwie fühle ich mich geschmeichelt, dass anscheinend nur ich das weiß. Mein Chef erzählte es mir heute morgen brühwarm. Seitdem sprechen mich stündlich Mitarbeiter an, wer denn heute die Patientenveranstaltung macht, wo doch Herr Dr. Mollis nicht da ist. Diagnose: aufgescheuchter Hühnerhaufen, weil der Hahn nicht da ist. Kann mich nicht an ähnliche Aufregungen bzgl. dieser seit gefühlten 10 Jahren existierenden Patientenveranstaltung erinnern. Ich werde wie angekündigt nicht zu seinem Vortrag da sein (es ist schwer, aber ich werde es durchhalten; ok, ich werde ihm wohl noch eine mail schreiben). Eben kam die Sekretärin herein, um mir noch die neuesten Neuigkeiten von Herrn Dr. Mollis zu vermelden. Sogleich darauf kam unsere leitende Schwester herein, ob er sich denn heute selbst durch seinen Vortrag begleitet. Alles während ich diese mail schreibe. Schlimmer als wenn er tatsächlich anwesend wäre. Und nur so als Info: Ich habe letzten Monat ganz allein die Patientenveranstaltung bestritten, aber ich bin ja auch kein Hahn :-) Das ist auch mit ein Grund, warum ich mir seinen Anblick heute nicht gönne. Barbara ist abgestellt, ihm seinen Blumenstrauß zu überreichen, und hat den Rest im Griff, den der holde Herr vielleicht nicht im Griff hat.
In der morgendlichen Kaffeerunde bin ich an der Reihe, denjenigen aus einer Los-Box zu ziehen, der als nächstes ein Türchen im stationseigenen Weihnachtskalender öffnen darf. Ich falte den Zettel auseinander und lese "Mollis". Natürlich, war ja klar! Ich bin nicht alleine schuld an der Aufmerksamkeitsfokussierung. Es rennt mich ja praktisch um. Ich frage kess in die Runde "Hat er keinen Vornamen verdient?" Komme mir ein bisschen Robin-Hood-mäßig vor, wie die Rächerin verkappter Ärzte, die es nicht so leicht haben in einem Team von aufgescheuchten Frauen. Immerhin die anderen Namen inklusive meinem eigenen, die bisher aus der Box gezogen wurden, waren Vornamen. Die Schwestern, die am Tisch sitzen, befinden, dass, wenn sie ihn nicht beim Vornamen nennen dürfen (Neid auf der ganzen Linie), dieser auch nicht auf dem Zettel stehen müsse. Ok, aber sagen sie sonst "Mollis" zu ihm? "Mollis, wo ist die Akte?" Ein bisschen netter geht es schon zu bei uns. Sofort werden alle seine Spitznamen benannt: "Prinz Flo", "Goldlöckchen", "Fräulein M." usw. Die Diskussion, die ich angestoßen habe, läuft eindeutig aus dem Ruder. Das hatte ich nicht bezweckt mit meiner Nachfrage nach dem Vornamen. Zeigt mir nur einmal mehr, dass er ganz schöne Unruhe und Diskussion in die Klinik gebracht hat und immer noch dafür sorgt. Auch wenn er gar nicht da ist. Wegen seiner Abwesenheit werde ich genötigt, seinen Zettel wieder ins Körbchen zu legen, und ziehe den nächsten Zettel. Was für ein Wirrwarr!
Liebe Grüße von Eva

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