Liebe Mathilda,
ich habe das Duplo verspeist ... mehr verschlungen als verspeist und habe dabei fast geheult. Wie es dazu kam, liest Du hier:
Die Begegnungen zwischen Flo und mir waren den Rest der Woche spärlich. Am Mittwoch als ich meinen grandiosen Vortrag gehalten habe, hat natürlich auch er mir eine positive Rückmeldung gegeben. Ich fühlte mich während des Vortrages ziemlich gut. So als sei ich wirklich Expertin in dem, was ich da von mir gebe. Kann man in 1 Jahr Expertin werden? Richtet sich wohl auch nach der Vergleichspopulation. Meine Vergleichspopulation: ca. 15 Ärzte, vom Chefarzt bis zum Assistenten. Von denen kann mir in der Thematik des posttraumatischen Wachstums keiner was vormachen. Ich berühre die Leute mit meinem Referat, erwische sie an einer empfindlichen Stelle. Ich war während des Vortrages so im Fluss, dass ich nicht bemerkte, dass eine der Ärztinnen den Raum verließ, weil sie es emotional nicht aushielt. Naja, habe ihr als ich davon erfuhr ein Gespräch angeboten. Und Flo? Sagt nach dem Vortrag erstmal gar nichts während Leute drumherum sind. Schisser! Mir geben unabhängig voneinander wirklich viele Leute die Rückmeldung, das es so toll war. Ein Oberarzt, von dem ich das gar nicht erwartet hätte: "Das war das beste, was ich seit langem gehört habe." Vielleicht sollten sich meine Erwartungen eher an andere Leute als an Flo halten. Mehr davon! Es tut so gut positive Rückmeldungen zu bekommen. Flo trifft mich einige Minuten später. Ich habe Betty im Schlepptau. Er schüttet auch Lob über mir aus, bezieht es vor allem auf die Bilder, die ich verwende. Jaja, ich weiß, dass Schrift und Buchstaben nichts für Legastheniker sind. Mit Bildern kann er eher was anfangen. Und er fragt, ob es viel Arbeit gemacht hat. Was hat er denn? Ich gehe nicht darauf ein. Kann ihm doch egal sein. Ich merke, dass ich langsam angepisst von ihm bin. Aber das ist eben meine Bewältigungsstrategie für seine so langweilig normalen Aktionen, die sich in keinster Weise von den Aktionen gegenüber anderen Leuten unterscheiden. "Es gibt Menschen, die Leben so vorsichtig, dass sie fast neu sterben." trifft es ganz gut. Er greift das Ressourcenthema immer mal wieder auf. In Gesprächen, die ich nur von Weitem mitbekomme. Es arbeitet sicherlich in ihm, aber dass sich dieses phlegmatische Weichei je in meine Richtung bewegen kann, ist so gut wie auszuschließen. Es gipfelt heute morgen - er ist gerade im Aufenthaltsraum - als ich schwungvoll hereinstürze (war heute den ganzen Tag schwungvoll, um alles erledigen zu können) und ihn positiv-beschwingt begrüße. Ich überlege ein Gespräch anzufangen, sehe ihn aber bereits hinausgehen. Da dreht er sich um und fragt, ob ich ihm meinen Vortrag "forwarden" kann. Oder ob ich ihn irgendwo auf dem Server abgelegt habe. Ich sehe seine Bemühung ihn sich selbst besorgen zu wollen (Was er übrigens auch gerne tun kann: Es sich selbst besorgen!). Ich habe den Vortrag natürlich auf dem Server abgelegt, sage ihm das aber nicht, denn es ist ein Grund ihm eine mail zu schreiben. Ich fürchte, das ist ein bisschen krank von mir. So ist mir aber wenigstens eine weitere Antwort von ihm sicher. Echt, ich sollte wirklich meine Anprüche in bezug auf ihn wieder hochschrauben. Ein paar Stunden später schicke ich ihm die mail mit dem Titel "Ressourcen per mail". Selbstwertschonend rechtzeitig, dass er noch antworten kann solange ich auf der Arbeit bin. Doch zurück in den Aufenthaltsraum als er mich nach dem Vortrag fragt. Als wir das geklärt haben, frage ich ihn wie lange er heute da ist. "Bis Viertel nach 2." antwortet er und fragt nicht weiter nach. Die Uhrzeit habe ich versucht herauszubekommen, weil ich ihn heute nicht verpassen wollte. Betty hat hier eine nette Tradition eingeführt: wir verschenken als Abteilung (Betty und ich) kleine Nettigkeiten. Unser Chef, Dr. Radio, die Sekretärin usw. Da darf Flo nicht fehlen. Nur ist der als es ans Geschenkeverteilen geht, nicht aufzufinden. Ich bin als Oberhaupt der Therapeutenabteilung im Zugzwang ihn anzurufen und tue das in beschwingt-süffisanter Stimmung. Achso, vorher habe ich bereits an seiner Zimmertür geklopft als ich aus einem anderen Grund in dem Gebäudeteil war. Er war nicht da. Das erkläre ich Betty und frage sie vor dem Telefonat, wo er denn nur sein kann. Sie meint sehr heilsam realistisch "Aufm Klo. Er ist ein Mann." Sehr gut, ihn sich da vorzustellen. Diese Erkenntnisse führen dazu, dass ich telefonisch Kontakt zu ihm aufnehmen muss. Es klingelt:
Flo: "Mollis."
Eva: "Hallo, Eva hier."
Flo: "Mmmhh" (erwartungsvoll)
Eva: "Sag mal, bist Du noch in der Klinik?"
Flo: "Ja."
Eva: "Die versammelte Therapeutenabteilung muss Dich unbedingt nochmal sprechen. Du kannst dich nicht so einfach aus dem Staub machen. Wo bist Du denn"
Flo: lacht "Wo bist Du denn?" (Will wohl nicht verraten, wo er ist. Vielleicht wirklich aufm Klo.)
Eva: "Hier in unserer Einsatzzentrale."
Flo: "Welche?" (Mann, steht der aufm Schlauch! Er ist verunsichert, ob ich den neuen oder den alten Raum meine.)
Eva: "Hier im Büro."
Flo: "Ich komme gleich nochmal rüber."
Eva: "Ok, bis gleich."
Flo: "Bis gleich."
Er trifft ein paar Minuten später ein. Wir beschenken gerade unsere Stationsschwester, die wir ebenfalls zur Audienz zu uns gebeten haben. Aufgelockerte Stimmung. Nachdem sie herausgegangen ist, macht Flo die Tür hinter sich zu. Betty sagt "Komm rein, du hast ein Therapiegespräch." und meint todernst, dass das so nicht geht. Einen kurzen Moment überrascht sie mich auch damit. Ein bisschen Schiss hatte er auch vor so einer geballten Therapeutenmacht, was mir gut gefällt. Was mir nicht gefällt, ist, dass Betty offensichtlich genausoviel mit ihm flirtet wie ich selber gerne würde. Habe als Oberhaupt die unausgesprochene Aufgabe, ihm unser Gabensäckchen zu überreichen. Es kommt von Herzen. Er freut sich ehrlich. Small talk und absolut kein Platz für eine echte Begegnung. Alles nur Contenance. Ich bin ziemlich erledigt danach und frage mich "Das soll nun unsere letzte Begegnung für dieses Jahr gewesen sein?" Aber es gibt noch ein letztes Abschiedswort zwischen uns. Mehr ein Blick, ganz allein. Als er um 13.45 nochmal in die Ambulanz stürmt, bereits in zivil, stehe ich ausnahmsweise am Empfangstresen und lege ein Plakat in einen Bilderrahmen ein. "Schöne Weihnachten" wünscht er mir mit intensivem Blick. Schöne Weihnachten für mich und meine Familie wünschte er mir bereits in seiner Antwortmail. Was mich etwas besänftigt ist unser Blickkontakt, der schon sehr vertraut ist. Ich transportiere ihm mit meinem Blick "Alles Liebe und Du Arsch, dass Du mich entbrannt so hier stehen lässt." Aber alles bleibt unausgesprochen, was für ihn symptomatisch ist, für mich jedoch nicht. Naja, danach musste das Duplo dran glauben. Mehr, damit es weg ist, nicht weil ich so Appetit drauf hatte. Das nennt man wohl Übersprunghandlung. War schon etwas angeschmolzen in meiner Tasche und es war einfach nur ein Duplo. Keine Altlasten mehr. Habe überlegt das Papier aufzuheben und habe diesem an Absurdität kaum zu übertreffenden Drang nicht nachgegeben. In den Müll damit! Tja, und das führte dazu, dass mir die Tränen dann doch wieder ziemlich nahe waren. Bin am Jahresende immer ein bisschen sentimental. Aber soll es das nun wirklich gewesen sein? Meine große Liebesgeschichte? Zu einem Weichei? Zu einem phlegmatischen Weichei?
Liebe Grüße von Eva