Liebe Mathilda,
was mir nach diesem WoEn klar ist: Ent-wicklung beibt bei den ganzen
Ver-wicklungen nicht aus. Das ist beruhigend und hat so etwas von: Alles
ist im Fluss. Und die Versuchung hat kein Ende...
An meinem vergangenen "Flo(w)freitag" habe ich mich abends
mit Betty getroffen. Ursprünglich war angedacht, dass wir uns gepflegt die
Kante geben. Allerdings hatten wir noch einen Vortrag für heute (bereits
geschehen und gut gelaufen) vorzubereiten, so dass wir es uns im "Anna
Blume" mit einer Flasche Prosecco gemütlich machten und tagten. Thema
waren die Basics unserer täglichen Arbeit. Das Publikum: die Ärzte und
Ärztinnen der Klinik. Wir hielten dieses Thema für sehr notwendig, um die
Schnittstellen zwischen den Therapeuten und den Ärzten zusammenzuführen und
einfach zu sagen wie wirs haben wollen und wie nicht. Natürlich auf die
gewohnte berührende und humorvolle Art und Weise. Mein Chef fragte mich danach,
wie ich es immer schaffen würde, die Aufmerksamkeit der Leute mit einem
einzigen Bild oder einer einzigen Aussage zu catchen. Schönes Kompliment.
Florian sah heute morgen erschöpft aus, mit strähnig zurückgegeelten Haaren
(war wohl keine Zeit zum Waschen?). Er sprach mich nach dem Vortrag an, ob und wann es
bei ihm mal medizinischen Aufklärungsbedarf bei Patienten gegeben hat, den wir
als Therapeuten hätten nachbereiten müssen, um dann vorwegzunehmen, dass
ich das in 1 1/2 Jahren nicht an ihn herangetragen hätte (Flo, wenn Du
wüsstest, was ich in 1 1/2 Jahren alles nicht an Dich herangetragen habe)
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in dem Vortrag besonders auf diesen
Punkt eingegangen sind. Unser Augenmerk lag mehr auf so Themen wie: Wie finden
die Patienten zu uns? Wie stellen wir uns die interdisziplinäre Zusammenarbeit
vor? Wie werden wir in der Visite vorgestellt. Um das zu karrikieren, brachten
wir ein paar (natürlich anonyme) Aussprüche aus den letzten Wochen wie wir als
Therapeuten tatsächlich vor den Patienten vorgestellt wurden:
"Für sowas haben wir hier die Frau Cormann."
"Da kann ich sie beruhigen. Die Frau Faber ist eine ganz
Nette."
"Das ist Frau Cormann. Sie geht hier zu allen unseren Patienten. Und
das ist Frau [Assistenzärztin]. Die kümmert sich um alles, was wichtig
ist."
Nun ja, kann sein, dass sich Flo in der letzten Aussage wiedergefunden
hat, die er tatsächlich so getätigt hat. Ich habe mich auch echt drüber
geärgert und wollte ihm das persönlich stecken, aber es passte so gut in den
Vortrag. Ganz klar, er versuchte sich in seiner anschließenden Frage um
seine Aufklärungspflichten zu rechtfertigen und kam mir ein bischen angepisst
vor. Wie auch immer, das schien nicht an mir zu liegen (ich bin mittlerweile
echt gut darin geworden, seine negativen Reaktionen nicht auf mich zu beziehen),
sondern sein Thema zu sein und bestätigt seine Unsicherheit. Er wurde dann auch
gleich zugänglich als er und ich und Betty im Anschluss an den Vortrag
noch darüber sprachen. Er fragte nun - ehrlich interessiert - ob und wo wir
denn Bedarf an medizinischen Informationen hätten. Betty wie aus der
Pistole geschossen: "Was ist ein Platzbauch?", weil das Thema in der
vorangegangenen Übergabe war. Flo fühlt sich ge"bauch"pinselt und in
seinem Narzissmus bedient, weil wir an seinen Lippen hängen. Er erklärt den
Platzbauch und beschreibt genüßlich die Struktur der Bauchmuskeln, "die
bei Männern so schön aussehen." und malt dazu das Waschbrett auf seinen
Kittel. Ich frage mich, was ist wohl darunter? Ist hier schon wieder
Dorian Gray unterwegs? Und er schränkt ein "bei manchen Männern". Mir
fällt dazu nur ein: "Bei unseren Männern natürlich"
schaue Betty an und denke stolz an Tinos Waschbrett. Das ist wieder eine
kleiner Augenblick, in dem sich die erotische Spannung nicht verleugnen lässt.
Als er mit seiner Bauchmuskelorgie fertig ist, erwähne ich die Patientin, die
sich fragte woher ihr Wundwasser käme. Und dann kommen wir auf den OP zu
sprechen und dass das für uns Therapeuten bisher ein großes Mysterium
ist. Ich habe Florian irgendwann mal erzählt, dass ich den OP bisher immer
vermieden habe, da ich mit 19 Jahren beim Anblick einer großen Wunde mal
ohnmächtig geworden bin. Ich sage "Vielleicht traue ich mich jetzt auch
mal in den OP." sage ich. Und das ist offensichtlich dass, was man bei Flo bedienen
muss: Interesse und Bewunderung für seine "großartige" Arbeit. Er
steigt sofort drauf ein. Ich denke, dass ich sein Angebot annehmen werde. Dabei
schlage ich 2 Fliegen mit einer Klappe: Ich setze mich mit meiner Angst vor
großen Wunden auseinander und ich gewöhne mich an Flos Nähe, wenn wir da
zusammen im Op stehen. Das sagt die Verhaltenstherapeutin zum möglichen
Blutdruckverhalten: Der herkömmliche Blutdruckabfall bei
Blut-Spritzen-Verletzungsphobie sollte sich mit dem Blutdruckanstieg bei
Verliebten ausgleichen. Und sollte ich trotzdem umfallen, kann ich darin meine
romantischen Retterfantasien ausleben. Wobei Betty ganz trocken meint,
dass er mich fallen und liegen lassen würde, denn schließlich hat er eine
"großartige" Arbeit zu tun. Naja, vielleicht wäre aber auch das
heilsam. We will see.
Bei anschließenden Kaffeetrinken, zu dem Flo noch kurz dazukommt,
zeigt sich nochmal, dass er wohl kein schönes Wochenende gehabt hat. Es geht um
die Fastenzeit und wovon man den so fasten, sprich abstinent sein könnte. Und Flo
meint nur so im Herausgehen "Man(n?) kann von allem fasten." Das
wirkt schon sehr verzweifelt, so dass ich ihn fast nehmen und schütteln möchte
"Nein, kann man(n) nicht." Aber ich lasse ihn ziehen und denke, das
muss er selbst herausfinden. So fühlte ich mich ganz stark und mutig. Bis er
mir auf dem Flur einen merkwürdig innigen, keinesfalls fröhlichen Blick
zuwirft. Manchmal kriege ich Paranoia und vermute, dass er meinen Blog lesen
könnte. Dann packt mich wieder die Verzweiflung: Was, wenn er gar niemals
auf den Blog aufmerksam wird? Ist es das? Möchte ich, dass er das liest? Dass
er mitbekommt, was er mir mit all dem in meinem Leben durcheinandergebracht
hat? "2 Seelen wohnen in meiner Brust..." Manchmal bin ich echt
verwirrt über seine Reaktionen. UND WAHRSCHEINLICH MACHT ER SICH NICHT DEN
BRUCHTEIL DER GEDANKEN DARÜBER; DIE ICH MIR MACHE. Ich bin noch ganz in diese
Gedanken versunken als ich ins andere Gebäude gehe und beherzt die Tür
aufreiße, hinter der er steht und heraus will. Konfrontation an allen Ecken und
Enden. Wie soll ich da nur arbeiten? Ich kriege einen merklichen Schreck und
will ihm eigentlich in die Arme stürzen. Er registriert, dass er mich
erschreckt hat, lässt mich durch die Tür treten und fängt an zu
lächeln... Ein Lächeln, dass ich erwidere und dass mich in meiner Entwöhnung
von Flo nicht weiterbringt. Die Versuchung lauert an jeder Ecke.
"Temptation
You can take it or leave it
Temptation
But you'd better believe it"
You can take it or leave it
Temptation
But you'd better believe it"
Heaven 17 - Temptation
Liebste Grüße an Dich,
Eva
Nur kurz��: nicht nur wahrscheinlich sondern sicher macht er sich weniger Gedanken als du! Das liegt in der Natur des männlichen Gehirns!!��und mit ihm in den op zu gehen wird genau das Gegenteil von Entwöhnung einbringen!!! Lg Mathilda
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