Montag, 17. Februar 2014

Versuchungen an jeder Ecke



Liebe Mathilda,

was mir nach diesem WoEn klar ist: Ent-wicklung beibt bei den ganzen Ver-wicklungen nicht aus. Das ist beruhigend und hat so etwas von: Alles ist im Fluss. Und die Versuchung hat kein Ende...





An meinem vergangenen "Flo(w)freitag" habe ich mich abends mit Betty getroffen. Ursprünglich war angedacht, dass wir uns gepflegt die Kante geben. Allerdings hatten wir noch einen Vortrag für heute (bereits geschehen und gut gelaufen) vorzubereiten, so dass wir es uns im "Anna Blume" mit einer Flasche Prosecco gemütlich machten und tagten. Thema waren die Basics unserer täglichen Arbeit. Das Publikum: die Ärzte und Ärztinnen der Klinik. Wir hielten dieses Thema für sehr notwendig, um die Schnittstellen zwischen den Therapeuten und den Ärzten zusammenzuführen und einfach zu sagen wie wirs haben wollen und wie nicht. Natürlich auf die gewohnte berührende und humorvolle Art und Weise. Mein Chef fragte mich danach, wie ich es immer schaffen würde, die Aufmerksamkeit der Leute mit einem einzigen Bild oder einer einzigen Aussage zu catchen. Schönes Kompliment. Florian sah heute morgen erschöpft aus, mit strähnig zurückgegeelten Haaren (war wohl keine Zeit zum Waschen?). Er sprach mich nach dem Vortrag an, ob und wann es bei ihm mal medizinischen Aufklärungsbedarf bei Patienten gegeben hat, den wir als Therapeuten hätten nachbereiten müssen, um dann vorwegzunehmen, dass ich das in 1 1/2 Jahren nicht an ihn herangetragen hätte (Flo, wenn Du wüsstest, was ich in 1 1/2 Jahren alles nicht an Dich herangetragen habe) Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in dem Vortrag besonders auf diesen Punkt eingegangen sind. Unser Augenmerk lag mehr auf so Themen wie: Wie finden die Patienten zu uns? Wie stellen wir uns die interdisziplinäre Zusammenarbeit vor? Wie werden wir in der Visite vorgestellt. Um das zu karrikieren, brachten wir ein paar (natürlich anonyme) Aussprüche aus den letzten Wochen wie wir als Therapeuten tatsächlich vor den Patienten vorgestellt wurden:

"Für sowas haben wir hier die Frau Cormann."
"Da kann ich sie beruhigen. Die Frau Faber ist eine ganz Nette."
"Das ist Frau Cormann. Sie geht hier zu allen unseren Patienten. Und das ist Frau [Assistenzärztin]. Die kümmert sich um alles, was wichtig ist."

Nun ja, kann sein, dass sich Flo in der letzten Aussage wiedergefunden hat, die er tatsächlich so getätigt hat. Ich habe mich auch echt drüber geärgert und wollte ihm das persönlich stecken, aber es passte so gut in den Vortrag. Ganz klar, er versuchte sich in seiner anschließenden Frage um seine Aufklärungspflichten zu rechtfertigen und kam mir ein bischen angepisst vor. Wie auch immer, das schien nicht an mir zu liegen (ich bin mittlerweile echt gut darin geworden, seine negativen Reaktionen nicht auf mich zu beziehen), sondern sein Thema zu sein und bestätigt seine Unsicherheit. Er wurde dann auch gleich zugänglich als er und ich und Betty im Anschluss an den Vortrag noch darüber sprachen. Er fragte nun - ehrlich interessiert - ob und wo wir denn Bedarf an medizinischen Informationen hätten. Betty wie aus der Pistole geschossen: "Was ist ein Platzbauch?", weil das Thema in der vorangegangenen Übergabe war. Flo fühlt sich ge"bauch"pinselt und in seinem Narzissmus bedient, weil wir an seinen Lippen hängen. Er erklärt den Platzbauch und beschreibt genüßlich die Struktur der Bauchmuskeln, "die bei Männern so schön aussehen." und malt dazu das Waschbrett auf seinen Kittel. Ich frage mich, was ist wohl darunter? Ist hier schon wieder Dorian Gray unterwegs? Und er schränkt ein "bei manchen Männern". Mir fällt dazu nur ein: "Bei unseren Männern natürlich" schaue Betty an und denke stolz an Tinos Waschbrett. Das ist wieder eine kleiner Augenblick, in dem sich die erotische Spannung nicht verleugnen lässt. Als er mit seiner Bauchmuskelorgie fertig ist, erwähne ich die Patientin, die sich fragte woher ihr Wundwasser käme. Und dann kommen wir auf den OP zu sprechen und dass das für uns Therapeuten bisher ein großes Mysterium ist. Ich habe Florian irgendwann mal erzählt, dass ich den OP bisher immer vermieden habe, da ich mit 19 Jahren beim Anblick einer großen Wunde mal ohnmächtig geworden bin. Ich sage "Vielleicht traue ich mich jetzt auch mal in den OP." sage ich. Und das ist offensichtlich dass, was man bei Flo bedienen muss: Interesse und Bewunderung für seine "großartige" Arbeit. Er steigt sofort drauf ein. Ich denke, dass ich sein Angebot annehmen werde. Dabei schlage ich 2 Fliegen mit einer Klappe: Ich setze mich mit meiner Angst vor großen Wunden auseinander und ich gewöhne mich an Flos Nähe, wenn wir da zusammen im Op stehen. Das sagt die Verhaltenstherapeutin zum möglichen Blutdruckverhalten: Der herkömmliche Blutdruckabfall bei Blut-Spritzen-Verletzungsphobie sollte sich mit dem Blutdruckanstieg bei Verliebten ausgleichen. Und sollte ich trotzdem umfallen, kann ich darin meine romantischen Retterfantasien ausleben. Wobei Betty ganz trocken meint, dass er mich fallen und liegen lassen würde, denn schließlich hat er eine "großartige" Arbeit zu tun. Naja, vielleicht wäre aber auch das heilsam. We will see.
Bei anschließenden Kaffeetrinken, zu dem Flo noch kurz dazukommt, zeigt sich nochmal, dass er wohl kein schönes Wochenende gehabt hat. Es geht um die Fastenzeit und wovon man den so fasten, sprich abstinent sein könnte. Und Flo meint nur so im Herausgehen "Man(n?) kann von allem fasten." Das wirkt schon sehr verzweifelt, so dass ich ihn fast nehmen und schütteln möchte "Nein, kann man(n) nicht." Aber ich lasse ihn ziehen und denke, das muss er selbst herausfinden. So fühlte ich mich ganz stark und mutig. Bis er mir auf dem Flur einen merkwürdig innigen, keinesfalls fröhlichen Blick zuwirft. Manchmal kriege ich Paranoia und vermute, dass er meinen Blog lesen könnte. Dann packt mich wieder die Verzweiflung: Was, wenn er gar niemals auf den Blog aufmerksam wird? Ist es das? Möchte ich, dass er das liest? Dass er mitbekommt, was er mir mit all dem in meinem Leben durcheinandergebracht hat? "2 Seelen wohnen in meiner Brust..." Manchmal bin ich echt verwirrt über seine Reaktionen. UND WAHRSCHEINLICH MACHT ER SICH NICHT DEN BRUCHTEIL DER GEDANKEN DARÜBER; DIE ICH MIR MACHE. Ich bin noch ganz in diese Gedanken versunken als ich ins andere Gebäude gehe und beherzt die Tür aufreiße, hinter der er steht und heraus will. Konfrontation an allen Ecken und Enden. Wie soll ich da nur arbeiten? Ich kriege einen merklichen Schreck und will ihm eigentlich in die Arme stürzen. Er registriert, dass er mich erschreckt hat, lässt mich durch die Tür treten und fängt an zu lächeln... Ein Lächeln, dass ich erwidere und dass mich in meiner Entwöhnung von Flo nicht weiterbringt. Die Versuchung lauert an jeder Ecke.


"Temptation
You can take it or leave it
Temptation
But you'd better believe it"
Heaven 17 - Temptation


Liebste Grüße an Dich,
Eva

1 Kommentar:

  1. Nur kurz��: nicht nur wahrscheinlich sondern sicher macht er sich weniger Gedanken als du! Das liegt in der Natur des männlichen Gehirns!!��und mit ihm in den op zu gehen wird genau das Gegenteil von Entwöhnung einbringen!!! Lg Mathilda

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