Freitag, 14. Februar 2014

Sexuelle Spannung an jeder Ecke


Liebe Mathilda,

hier eine Zusammenfassung meiner vergangenen Arbeitswoche. Ich fürchtete schon, dass es nach meinen Einsichten kaum noch etwas zu berichten geben würde. Und dann kam heute!

Montag: Flo´s unspektakulärer Besuch bei mir zum Absprechen der "Mini"-Fortbildung.


Dienstag: Hab ihn nur kurz gesehen. Und die "Mini"-Fortbildung wurde von der leitenden Schwester verschoben. Betty teilt mir ihre Fasten-Pläne (keine Schokolade in der Fastenzeit) mit und ich überlege, wovon ich fasten könnte. Mir fällt Flo ein, worauf sie sofort sagt, dass das nicht gehe und aussichtslos ist. Welche Strategie verfolgt sie bei mir? Daraufhin zeige ihr ihr deinen Spruch:

"Sometimes
you just have to
erase the messages,
delete the numbers,
and move on.
You don´t have to
forget who that
person was to you:
you just have to
accept that they
aren´t that person
anymore."

Und Betty meint ketzerisch, dass da nur "Lobotomie" helfe.


Mittwoch: Hab ihn noch kürzer gesehen.


Donnerstag: Gewohnt lange Visite und ausgedehnter Kontakt wegen einer Klientin, die es uns beiden angetan hat.


Freitag: Zwischen uns beiden geht es weiter um die besagte Klientin, die ich wohl in ambulante Behandlung zu mir holen werde. Er meint, ihm kämen die Tränen, wenn er sie sehen würde, so berührt sei er von ihr. Was ist da los? Ich habe keine Zeit, mich das eingehender zu fragen, denn Barbara ist plötzlich erkrankt und ich muss hier für 3 arbeiten. Nach einem Vormittag im Flow klopfe ich kurzerhand an seine Zimmertür und frage ihn, ob er mit mir Mittagessen geht. Er telefoniert gerade und gibt mir ein Zeichen, dass er gerne mitkommt und mich gleich aus meinem Zimmer abholt, was er 90 Sekunden später tut. Wir gehen zu zwei alleine Mittagessen. Kein Assistenzärzte. Keine Therapeutenkollegen. Kann mich nicht erinnern, wann das mal passiert ist. Es wird sofort locker und persönlich. Ich hatte vorher versucht, mich mit einer Assistenzärztin zum Essen zu verabreden, da ich sie am Anfang der Woche vergessen hatte. Flo greift das Thema auf und fragte echt flirtend, ob ich denn nun genug gebüßt hätte. Ich befinde "Ja" und er weitet das Thema aus. Die meisten Beziehungen würden nur mit solchen Leistungen und Wiedergutmachungen funktionieren. Und manchmal müsse man in Vorleistung gehen. Ich stimme ihm zu und dass Erwartungen da eine große Rolle spielen. Mir kommt mein Blog in den Sinn und wie ich mich dort mit dem Thema auseinandersetzte, dass ich an ihn möglichst gar keine Erwartungen stellen wollte und ihm das dann ja auch so gesagt hatte. Und dann sagt er doch tatsächlich, dass das beim Sex ja noch viel ausgeprägter sei mit den Erwartungen und Vorleistungen. Meine Güte, was ist da los bei ihm im Bett? Und er grinst mich so von der Seite an. Ganz klar, der will mich provozieren, anflirten, herauslocken. Ich frage ihn ebenso flirtend, was denn bei ihm im Bett so los sei. Darauf antwortet er nicht mehr wörtlich sondern nur mit einem Grinsen, denn wir sind in der Kantine angekommen. Essen als Sex des Alters? Ich bin schon völlig durch (mein armes geschütteltes Frauenherz).und bestelle das selbe Essen wie er. Ich genieße es, dass er sich mit mir in eine ruhige Ecke an einen kleinen Tisch setzt.
Am Tisch sitzend steigen wir wieder bei besagter Klientin ins Gespräch ein, die uns beide beschäftigt. Ich frage ihn, ob er denn irgendetwas wie Supervision oder Balintgruppe machen würde, um seine Belastungen loszuwerden. Da rückt er ein Stück näher an mich heran, wirft mir einen unglaublichen Blick aus seinen braunen Augen zu und sagt ironisch "Ich bin ein harter Typ. Ich brauch so was nicht." Und ich darauf ebenso ironisch "Ja, klar. Das glaub ich Dir sofort." Und dann sagt er eher ernst, dass er über so etwas ja viel mit den anderen Ärzten und vor allem mit seiner Frau sprechen würde. Ich hätte ihm so schön anbieten können, dass er auch mit mir darüber sprechen könnte, aber das fällt mir in der Situation nicht ein. Und außerdem meine ich das ja nicht aufs Reden beschränkt, sondern eher so emotional-körperlich-zwischenmenschlicher Austausch. Stattdessen stelle ich eine Frage zu seiner Frau (was sie denn nun genau beruflich macht), um das ganze Ehefrauenthema mal ein bisschen zu entkrampfen. Ich kann es nicht lassen und sage, dass ich zu Hause schon ganz gerne mal über andere Themen als Krankheit spreche. Und er kommt mir philosophisch entgegen "Wo fängt Krankheit an, wo hört sie auf?" Und dass es ihm ja nicht um Krankheit und Gesundheit gehen würde, sondern um das spannende Zwischenmenschliche. Okay, da sind wir uns wieder einig. Ich kann mir nicht helfen, dass schon ein gewisses Prickeln in der Luft liegt. Wie vermutet: Ich trete einen Schritt zurück und er kommt einen auf mich zu. Wobei, wenn er das so beschreibt, wie tiefgründig und ständig er mit seiner Frau spricht, hört sich das echt anstrengend an. Will ich so etwas überhaupt?
Dann grüßt er verschiedene Leute, die sich an die anderen Tische zum Essen setzen. Unter anderem fällt ihm ein Jüngling (wahrscheinlich ein Auszubildender) auf, über den er irgendetwas sagt. Der jüngste, den er jemals hier gesehen hat oder so. Ich setze wichtigtuerisch meine Brille wieder auf, um den Jüngling zu erkennen. Die Brille hatte ich abgelegt, weil mich der Rahmen so beim Unterhalten, beim Angucken störte. Das, was ich bereit war, vor ihm auszuziehen! Ich schaue durch meine Brille den Jüngling an und Flo gibt eine Spekulation über meine Gedanken ab: "Was du darüber denken könntest, wenn ich auf diesen Jüngling aufmerksam werde". Ja, was hätte er denn gerne, dass ich denke? Will er mir sagen, dass er im Grunde schwul oder gar pädophil ist? Unser Gespräch durchkreuzt ständig irgendwelche sexuellen Teilbereiche und das geht von ihm aus. Will er mich testen, herauslocken, provozieren? Ich sage ihm halbwegs schlagfertig "Das hast Du jetzt gedacht." und grinse. Flo kommt dann auf die Geschichte von Dorian Gray zu sprechen. Sagt Dir das was? Wikipedia sagt folgendes:

"Oscar Wilde´s Hauptfigur, der reiche und schöne Dorian Gray (= Flo???), besitzt ein Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden einschreiben. Während Gray immer maßloser und grausamer wird, bleibt sein Äußeres dennoch jung und makellos schön. Der seinerzeit als anrüchig geltende Roman war auch Gegenstand des Unzuchtprozesses gegen Wilde. Themen sind die Moralität von Sinnlichkeit und Hedonismus im Viktorianismus, die Dekadenz der englischen Oberschicht und der Ästhetizismus. Die Handlung sowie die eingearbeiteten Kunstbemerkungen lassen sich als Proklamation des Ästhetizismus lesen, doch ebenso als dessen Kritik."

Flo sprach von einer schwulen Beziehung zwischen Dorian und dem Jüngling, der wie ich jetzt nachgeselesen habe, der Maler des Gemäldes ist. Am Ende meuchelt Dorian erst den Jüngling und dann das Gemälde und damit sich selbst. Da tun sich ja Abgründe auf und recht lockere Assoziationen beim Florian. Will er mir tatsächlich sagen, dass er schwul ist? Ihm war nur noch in Erinnerung, dass es mit den beiden Figuren kein gutes Ende nimmt. Es sei immerhin 20 Jahre her, seit er das in der Schule gelesen habe. Und ein Problem mit dem Altern hat er meiner Meinung nach auch. Ich sage ihm, dass ich in der Schule andere Sachen gelesen habe. Und ihm fällt ein, dass ich ja in dem anderen System aufgewachsen bin. Jetzt sprechen wir etwas über mich und meine "Laufbahn". Über Lehrer, die sich nicht ändern und 40 Jahre den gleichen Lehrplan lehren. Er meint selbstkritisch, dass er ja auch immer das selbe tun würde. Ich darauf, dass er (und sein Handwerkszeug) sich ja weiterentwickeln können. Alles andere wäre langweilig. Das ist die Stelle, an der ich ihm Deinen Herzlinien-Avatar zeige: "If there are no ups and downs in your life, it means you are dead." Er versteht. Ich verstehe heute auch sehr viel. Würde ich mich leichter von ihm lösen können, wenn er schwul wäre? Und ist das sein Ansinnen? Und warum redet er mit mir übere Sex?

Huch, das war aber mal ein echt aufregendes Ende für eine Arbeitswoche.

Liebe Grüße von Eva.

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