Liebe Mathilda,
hier eine Zusammenfassung meiner vergangenen
Arbeitswoche. Ich fürchtete schon, dass es nach meinen Einsichten kaum noch
etwas zu berichten geben würde. Und dann kam heute!
Montag: Flo´s
unspektakulärer Besuch bei mir zum Absprechen der "Mini"-Fortbildung.
Dienstag: Hab ihn nur kurz
gesehen. Und die "Mini"-Fortbildung wurde von der leitenden Schwester
verschoben. Betty teilt mir ihre Fasten-Pläne (keine Schokolade in der Fastenzeit)
mit und ich überlege, wovon ich fasten könnte. Mir fällt Flo ein, worauf sie
sofort sagt, dass das nicht gehe und aussichtslos ist. Welche Strategie
verfolgt sie bei mir? Daraufhin zeige ihr ihr deinen Spruch:
"Sometimes
you just have to
erase the messages,
delete the numbers,
and move on.
You don´t have to
forget who that
person was to you:
you just have to
accept that they
aren´t that person
anymore."
Und Betty meint ketzerisch, dass da nur
"Lobotomie" helfe.
Mittwoch: Hab ihn noch
kürzer gesehen.
Donnerstag: Gewohnt lange
Visite und ausgedehnter Kontakt wegen einer Klientin, die es uns beiden angetan
hat.
Freitag: Zwischen uns
beiden geht es weiter um die besagte Klientin, die ich wohl in ambulante
Behandlung zu mir holen werde. Er meint, ihm kämen die Tränen, wenn er sie
sehen würde, so berührt sei er von ihr. Was ist da los? Ich habe keine Zeit,
mich das eingehender zu fragen, denn Barbara ist plötzlich erkrankt und
ich muss hier für 3 arbeiten. Nach einem Vormittag im Flow klopfe ich
kurzerhand an seine Zimmertür und frage ihn, ob er mit mir Mittagessen geht. Er
telefoniert gerade und gibt mir ein Zeichen, dass er gerne mitkommt und mich
gleich aus meinem Zimmer abholt, was er 90 Sekunden später tut. Wir gehen zu
zwei alleine Mittagessen. Kein Assistenzärzte. Keine Therapeutenkollegen. Kann
mich nicht erinnern, wann das mal passiert ist. Es wird sofort locker und persönlich.
Ich hatte vorher versucht, mich mit einer Assistenzärztin zum Essen zu
verabreden, da ich sie am Anfang der Woche vergessen hatte. Flo greift das
Thema auf und fragte echt flirtend, ob ich denn nun genug gebüßt hätte. Ich
befinde "Ja" und er weitet das Thema aus. Die meisten Beziehungen
würden nur mit solchen Leistungen und Wiedergutmachungen funktionieren. Und
manchmal müsse man in Vorleistung gehen. Ich stimme ihm zu und dass Erwartungen
da eine große Rolle spielen. Mir kommt mein Blog in den Sinn und wie ich mich
dort mit dem Thema auseinandersetzte, dass ich an ihn möglichst gar keine
Erwartungen stellen wollte und ihm das dann ja auch so gesagt hatte. Und dann
sagt er doch tatsächlich, dass das beim Sex ja noch viel ausgeprägter sei mit
den Erwartungen und Vorleistungen. Meine Güte, was ist da los bei ihm im Bett?
Und er grinst mich so von der Seite an. Ganz klar, der will mich provozieren,
anflirten, herauslocken. Ich frage ihn ebenso flirtend, was denn bei ihm im
Bett so los sei. Darauf antwortet er nicht mehr wörtlich sondern nur mit
einem Grinsen, denn wir sind in der Kantine angekommen. Essen als Sex des
Alters? Ich bin schon völlig durch (mein armes geschütteltes Frauenherz).und
bestelle das selbe Essen wie er. Ich genieße es, dass er sich mit mir in
eine ruhige Ecke an einen kleinen Tisch setzt.
Am Tisch sitzend steigen wir wieder bei besagter
Klientin ins Gespräch ein, die uns beide beschäftigt. Ich frage ihn, ob er denn
irgendetwas wie Supervision oder Balintgruppe machen würde, um seine
Belastungen loszuwerden. Da rückt er ein Stück näher an mich heran, wirft mir
einen unglaublichen Blick aus seinen braunen Augen zu und sagt ironisch
"Ich bin ein harter Typ. Ich brauch so was nicht." Und ich darauf
ebenso ironisch "Ja, klar. Das glaub ich Dir sofort." Und dann sagt
er eher ernst, dass er über so etwas ja viel mit den anderen Ärzten und vor
allem mit seiner Frau sprechen würde. Ich hätte ihm so schön anbieten können,
dass er auch mit mir darüber sprechen könnte, aber das fällt mir in der
Situation nicht ein. Und außerdem meine ich das ja nicht aufs Reden beschränkt,
sondern eher so emotional-körperlich-zwischenmenschlicher Austausch.
Stattdessen stelle ich eine Frage zu seiner Frau (was sie denn nun genau
beruflich macht), um das ganze Ehefrauenthema mal ein bisschen zu entkrampfen.
Ich kann es nicht lassen und sage, dass ich zu Hause schon ganz gerne mal über
andere Themen als Krankheit spreche. Und er kommt mir philosophisch entgegen
"Wo fängt Krankheit an, wo hört sie auf?" Und dass es ihm ja nicht um
Krankheit und Gesundheit gehen würde, sondern um das spannende
Zwischenmenschliche. Okay, da sind wir uns wieder einig. Ich kann mir nicht
helfen, dass schon ein gewisses Prickeln in der Luft liegt. Wie vermutet: Ich
trete einen Schritt zurück und er kommt einen auf mich zu. Wobei, wenn er das
so beschreibt, wie tiefgründig und ständig er mit seiner Frau spricht, hört
sich das echt anstrengend an. Will ich so etwas überhaupt?
Dann grüßt er verschiedene Leute, die sich an die
anderen Tische zum Essen setzen. Unter anderem fällt ihm ein Jüngling
(wahrscheinlich ein Auszubildender) auf, über den er irgendetwas sagt. Der
jüngste, den er jemals hier gesehen hat oder so. Ich setze wichtigtuerisch
meine Brille wieder auf, um den Jüngling zu erkennen. Die Brille hatte ich
abgelegt, weil mich der Rahmen so beim Unterhalten, beim Angucken störte. Das,
was ich bereit war, vor ihm auszuziehen! Ich schaue durch meine Brille den
Jüngling an und Flo gibt eine Spekulation über meine Gedanken ab: "Was du
darüber denken könntest, wenn ich auf diesen Jüngling aufmerksam werde".
Ja, was hätte er denn gerne, dass ich denke? Will er mir sagen, dass er im
Grunde schwul oder gar pädophil ist? Unser Gespräch durchkreuzt ständig
irgendwelche sexuellen Teilbereiche und das geht von ihm aus. Will er mich
testen, herauslocken, provozieren? Ich sage ihm halbwegs schlagfertig "Das hast Du jetzt
gedacht." und grinse. Flo kommt dann auf die Geschichte von Dorian Gray zu
sprechen. Sagt Dir das was? Wikipedia sagt folgendes:
"Oscar Wilde´s Hauptfigur, der reiche und schöne
Dorian Gray (= Flo???), besitzt ein Porträt, das statt seiner altert und in das
sich die Spuren seiner Sünden einschreiben. Während Gray immer maßloser und
grausamer wird, bleibt sein Äußeres dennoch jung und makellos schön. Der
seinerzeit als anrüchig geltende Roman war auch Gegenstand des Unzuchtprozesses
gegen Wilde. Themen sind die Moralität von Sinnlichkeit und Hedonismus im
Viktorianismus, die Dekadenz der englischen Oberschicht und der Ästhetizismus.
Die Handlung sowie die eingearbeiteten Kunstbemerkungen lassen sich als
Proklamation des Ästhetizismus lesen, doch ebenso als dessen Kritik."
Flo sprach von einer schwulen Beziehung zwischen
Dorian und dem Jüngling, der wie ich jetzt nachgeselesen habe, der Maler des
Gemäldes ist. Am Ende meuchelt Dorian erst den Jüngling und dann das Gemälde
und damit sich selbst. Da tun sich ja Abgründe auf und recht lockere
Assoziationen beim Florian. Will er mir tatsächlich sagen, dass er schwul ist?
Ihm war nur noch in Erinnerung, dass es mit den beiden Figuren kein gutes Ende
nimmt. Es sei immerhin 20 Jahre her, seit er das in der Schule
gelesen habe. Und ein Problem mit dem Altern hat er meiner Meinung nach auch.
Ich sage ihm, dass ich in der Schule andere Sachen gelesen habe. Und ihm fällt
ein, dass ich ja in dem anderen System aufgewachsen bin. Jetzt sprechen wir
etwas über mich und meine "Laufbahn". Über Lehrer, die sich nicht
ändern und 40 Jahre den gleichen Lehrplan lehren. Er meint selbstkritisch, dass
er ja auch immer das selbe tun würde. Ich darauf, dass er (und sein
Handwerkszeug) sich ja weiterentwickeln können. Alles andere wäre langweilig.
Das ist die Stelle, an der ich ihm Deinen Herzlinien-Avatar zeige: "If
there are no ups and downs in your life, it means you are dead." Er
versteht. Ich verstehe heute auch sehr viel. Würde ich mich leichter von ihm
lösen können, wenn er schwul wäre? Und ist das sein Ansinnen? Und warum redet er mit mir übere Sex?
Huch, das war aber mal ein echt aufregendes Ende für
eine Arbeitswoche.
Liebe Grüße von Eva.
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